„14.000 Kilo“ ist eine sogenannte Stückentwicklung, das heißt: Es gab zunächst nur ein Thema, der Text und die Szenen werden von der Regisseurin mit dem Ensemble im Lauf der Proben entwickelt. Untertitel: „Ein Abnehmkampf frei nach Moby Dick“. Thema: Körperfett, Diskriminierung und verinnerlichte Stigmata. Die 14.000 Kilo im Titel stehen für das Gewicht eines weiblichen Pottwals, aber auch für all die Kilos, die Übergewichtige im Lauf ihres Lebens abnehmen (und oft auch wieder zunehmen).
Mit Melvilles Roman vom Kampf des Kapitäns Ahab gegen einen Pottwal hat das Stück nicht viel zu tun, der Klassiker ist eher als Metapher zu verstehen. „Alle, die auf der Bühne stehen, sind sowohl Käpt’n als auch Wal“, erklärt Regisseurin Sendlhofer. „Sie setzen die Segel, um die Jagd auf den schlanken Körper aufzunehmen, sich selber zu hetzen.“
Ina Holub findet den Bezug zu „Moby Dick“ auch deshalb stimmig, „weil die meisten Mehrgewichtigen, die ich kenne, schon einmal als Wal beschimpft worden sind“. Holub ist 40 und sagt, dass sie noch vor zehn Jahren sicher nicht bei einem Projekt wie diesem mitgemacht hätte. „Ich hätte mir das nicht einmal angeschaut“, sagt sie. „Du musst das schon aushalten können.“
„Ja, ich bin das!“
Holub kommt vom Tanz, genauer gesagt vom Voguing, und hat immer wieder erlebt, dass man sie für die Assistentin oder die Stylistin gehalten hat. „Immer wieder bestätigen zu müssen: ,Ja, ich bin das! Ja, ich tanze! Ja, auch mit diesem Körper!`, ist superanstrengend. Das macht was mit dem Selbstbewusstsein. Auch deshalb können viele sich diesen Beruf gar nicht vorstellen für sich.“
Die Ausbildung ist auch für Maria Sendlhofer, 37, ein Hauptgrund dafür, dass man auf der Bühne weniger Übergewichtige sieht als auf der Straße. „Es ist halt ein wahnsinnig homogenisierender Weg, bis jemand einmal auf einer Bühne steht. Man muss sich sich selbst dort erst einmal vorstellen können, dann braucht es eventuell die Aufnahme in eine Schauspielschule – alles Schritte, die damit zu tun haben, sich zu exponieren.“ Sendlhofer selbst hat am Reinhardt-Seminar Regie studiert, wobei man da in den ersten Jahrgängen auch die Schauspielausbildung mitmacht. Und wenn einmal Szenen mit Kostüm geprobt wurden, war klar, dass sie sich etwas von zu Hause mitnehmen muss. „Im Fundus gibt’s nur Größe 40.“
„Es geht um mehr“
Der Volkstheater-Star Samouil Stoyanov, 35, kommt vom Ballett, hat aber keine Ballettfigur. Er wuchs in der Tanzschule seines Vaters in Linz auf, und wenn er im engen Kostüm tanzen musste, hat er sich manchmal geniert für seinen Körper. „Als Jugendlicher habe ich mich oft unwohl gefühlt, aber das war privat“, sagt er. „Im Theater haben sie dann super gefunden, wie ich bin und wie ich mich ausdrücke. Das hat mir Selbstbewusstsein gegeben.“
Stoyanov, der mit Kay Voges ans Volkstheater kam und auch unter dem neuen Intendanten Jan Philipp Gloger dort bleiben wird, hat auf der Bühne aber schon auch Fatshaming-Erfahrungen gemacht. Als er an den Münchner Kammerspielen einen Boxer spielte, haben in den Schulvorstellungen 600 Jugendliche gelacht, wenn er seinen Bauch zeigte. „Da denkt man kurz: Hey, die machen mich gerade fertig! Aber im nächsten Moment muss man sich wieder auf die Szene konzentrieren.“
Als die Regisseurin Claudia Bauer am Volkstheater Ingeborg Bachmanns Roman „Malina“ auf die Bühne brachte, besetzte sie ihn als Liebhaber. „Für mich war das total neu, aber es hat funktioniert: Man kriegt auch mit Bauch Sexyness hin. Weil es um mehr geht. Das war, glaube ich, der letzte Moment, wo ich mir darüber Gedanken gemacht habe.“
„Nimm bloß nicht ab!“
Dafür, dass Ausnahmeerscheinungen trotz Mehrgewicht Karriere machen können, ist auch Stefanie Reinsperger, 37, ein gutes Beispiel. Dafür, dass das für eine Frau noch viel härter ist, aber auch. Sie wurde wegen ihres Körpers dermaßen beschimpft und beleidigt, dass sie ein Buch („Ganz schön wütend“) darüber geschrieben hat.
Der Schauspieler Rainer Galke, 53, der am Volkstheater und am Burgtheater spielte und derzeit in Stuttgart engagiert ist, erinnert sich daran, dass ihm sein Arzt nach einem Bandscheibenvorfall einmal geraten hat, Gewicht zu reduzieren. „Und die damalige Volkstheaterdirektorin Anna Badora meinte: Nimm bloß nicht zu viel ab! Das war natürlich Spaß – aber eines ist schon klar: Man hat auch Typen im Ensemble. Und der Dicke soll dann gefälligst auch dick bleiben.“
„14.000 Kilo“ hat am 30. 4. im Wiener Kosmos Theater Premiere.