Montag, 6:15 Uhr, Firmengarage in Wien-Meidling: Bei einem kurzen gemeinsamen Frühstück gibt Iring Süss-Leopold, Chef des Baumschnittunternehmens TreeBee, das Einsatz-Briefing zum Tag. Eine halbe Stunde später werden die Einsatzfahrzeuge für die jeweiligen Baustellen gepackt, gegen sieben Uhr rücken dann die einzelnen Teams aus. Für eine herausfordernde Aufgabe hat das Unwetter im September gesorgt: Der über Wien wütende Sturm hat eine fast 90 Jahre alte Robinie entwurzelt.
Zum Teil auf die Hausmauer gestürzt, droht der 30 Meter hohe Baum nun komplett umzufallen – eine Gefahr für die Bewohner und das Gebäude. Also wurde ein Team aus erfahrenen Baumschneidern, -pflegern und Kletterern gerufen, um das Problem zu lösen. Am Einsatzort angekommen, beginnen die Baumprofis mit der Einrichtung der Baustelle. Während der Teamleiter mit dem Hausbesitzer noch Details zur Durchführung klärt, wird der Arbeitsbereich abgesperrt.
Sobald Ausrüstung und Werkzeug vorbereitet sind, machen sich zwei Baumkletterer und das Bodenteam fertig zum Einsatz. Doch in diesem Fall kommt noch ein Arbeitsschritt dazu: Bevor die beiden Kletterer geschickt ihre Seile im Baum montieren, „müssen spezielle Stützen eingebaut werden, damit der hohe Baum nicht weiter absinkt und dabei Stock für Stock Fenster und Mauer beschädigt“, erklärt der Teamleiter. Immerhin, die Wetterlage passt, es ist windstill, ein kleiner Vorteil.
Die sogenannte Seilklettertechnik ermöglicht es den Experten, sich mithilfe von Seilen und Gurten frei in den Baumkronen zu bewegen. Im Gegensatz zu herkömmlichen Methoden, wie dem Einsatz von Leitern oder Hubwagen, bietet diese Technik eine flexible und präzise Arbeitsweise. Dies erhöht nicht nur die Effizienz, sondern auch die Sicherheit. In den nächsten Stunden wird penibel gearbeitet. Jeder Schritt, jede Befestigung, Sicherungsmaßnahme und jede Schneideaktion läuft abgestimmt und wird zwischen den Kletterern und dem Bodenteam mit speziellen Kommandos akkordiert. Eine spektakuläre Aktion, die insgesamt eineinhalb Tage dauert.
Regelmäßig Bäume überprüfen lassen
Denn erst am nächsten Tag ist der ganze Baum abgetragen und der Innenhof wieder freigegeben. „Der Baum dürfte nicht regelmäßig geprüft worden sein“, stellt der Experte fest. „Er war stark von Efeu bewachsen und allein dadurch schon etwas angeschlagen.“ Eine regelmäßige Baumkontrolle, vor allem beim Altbestand, sei wichtig, denn so könne man in den meisten Fällen Folgeschäden vermeiden. Süss-Leopold: „Es ist ähnlich wie bei einer Vorsorgeuntersuchungen beim Menschen. Früherkennung ist das Um und Auf.“
Auch wenn in Österreichs Städten und Gemeinden immer wieder Bäume gefällt werden: Wir sehen uns als Baumpfleger und fühlen uns dem Erhalt der Bäume verpflichtet, ist sich das TreeBee-Team einig, „denn jeder Baum ist ein Beitrag zum Klimaschutz“. Bei alten Bäumen geht es oft um Kronensicherungen, um den Spagat zwischen Sicherheit und Baum-Erhalt zu schaffen. Die Baumprofis führen nicht bloß Schneidarbeiten durch, sondern haben den ganzen Baum im Blick und achten stets auf das Zusammenspiel von Wind und Wetter, Baumart und Größe, Standort und Nutzen, Wurzelraum und Krone.
Die europäisch einheitliche Ausbildung zum European Treeworker ähnelt einer Lehre und umfasst über einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren modulweise Theorie und vor allem viel Praxis. Auf alle Fälle braucht es für die Tätigkeit sowohl fachliches Know-how als auch körperliche Fitness: „Man ist den ganzen Tag nicht nur auf den Beinen, sondern klettert aktiv durch den Baum“, so der Experte. Ebenso ist ein Verständnis für biologische Vorgänge erforderlich, für Statik und technische Lösungen, denn kaum ein Baum gleicht einem anderen.
Unterschiede Nadel- und Laubbäume
„Nadelbäume haben zumeist einen Terminaltrieb, also einen einzelnen Stamm, von dem in regelmäßigen Abständen alle Äste ringförmig abzweigen. Laubbäume hingegen wachsen weitaus verschiedenartiger, verlieren das Laub im Winter und sind auch entsprechend komplexer zu bearbeiten.“ Abgesehen von Extremwetter – wie erkennt man, ob ein Rückschnitt der Äste, das Auslichtung der Krone oder gar das Fällen notwendig ist? „Maßnahmen an Bäumen sind in der Regel nur notwendig, wenn es zu Veränderungen gekommen ist“, sagt der Baumprofi.
Und die können sehr unterschiedlich sein: nachlassende Vitalität (Verfärbungen am Laub bzw. absterbende Äste); Wachstum, sodass der Baum bereits an Gebäuden reibt oder in den Verkehrsraum ragt; Stamm-, Wurzel-, Astschäden; Veränderungen im Wurzelbereich (etwa durch nahe Bautätigkeiten); Faulungen und Höhlungen; Astausbrüche oder Pilzkonsolen. Nicht zuletzt habe auch der Klimawandel enorme Auswirkungen auf Bäume. Süss-Leopold: „Natürlich gibt es in unseren Breiten Gewinner und Verlierer unter den Baumarten, aber auch die Gewinner plagen sich mit den häufiger werdenden Wetterextremen.“ – Susanne Pikhart
Zahlen und Fakten
Baumbestand: In Wien werden jährlich zwischen 2.000 und 3.500 Bäume gefällt, je nach Zustand des Baumbestands, wegen Bauprojekten, Sturm- oder Krankheitsschäden. In kleineren Städten und Gemeinden Österreichs ist die Zahl der Baumfällungen geringer, liegt jedoch auch im Bereich von mehreren Hundert bis Tausend pro Jahr. In den meisten österreichischen Städten ist die Fällung von Bäumen streng geregelt. In Wien zum Beispiel gilt eine Genehmigungspflicht für das Fällen von Bäumen mit einem Stammumfang von mehr als 40 cm in einer Höhe von einem Meter (Wiener Baumschutzgesetz). Ähnliche Regelungen existieren auch in anderen Städten, z. B. Graz und Salzburg. In der Regel müssen alternative Maßnahmen geprüft werden, bevor eine Fällung erlaubt wird. Für jeden gefällten Baum muss eine Ersatzpflanzung vorgenommen werden. So soll der Baumbestand langfristig erhalten oder sogar erweitert werden. In Wien liegt die Ersatzpflanzquote bei 1:1 oder höher.