Das hat die Frau geschrieben, aus deren Feder kurz zuvor die Feminismus-Bibel „Das andere Geschlecht“ floss? Simone de Beauvoirs Urteil über andere Frauen, egal, ob sie als Erzählerin Anne spricht oder ob sie es Männern in den Mund legt, ist verblüffend chauvinistisch. Etwa beglückwünscht sich ihre Erzählerin „wieder einmal dazu, eine Frau zu sein. So hatte ich es mit Männern zu tun, was sehr viel weniger Probleme mit sich bringt.“ An anderer Stelle fragt ihr Hauptdarsteller, was Leben bedeute. „Aus dem Munde einer Frau bedeutet das immer, dass man sich mit ihr beschäftigt.“ Beispiele dieser Art gibt es zuhauf. Bis auf Anne sind eigentlich alle Frauen blöd oder gestört. Annes Blick, so schreibt Nicole Seifert im Nachwort, „ist die verinnerlichte Misogynie einer Gesellschaft, die das Männliche verehrt“.
In „Die Mandarins von Paris“ geht es um die kulturelle Elite Frankreichs am Ende des Zweiten Weltkriegs, wo Paris zwar arm, aber sexy ist – voll billiger Jazzbeisln, in denen man sich nach Mitternacht verabredet, tanzt und trinkt. Mehr als ein halbes Jahrhundert galt der 1.000-Seiten-Wälzer als Schlüsselroman. Die Erzählerin sei de Beauvoir selbst, ihr Partner, der 20 Jahre ältere Schriftsteller Robert Dubreuilh (den sie siezt, während er sie duzt) ihr Gefährte Jean-Paul Sartre und dessen Widerpart, der Schriftsteller Henri Perron, Sartres Freund und Konkurrent Albert Camus.
In der nun vorliegenden Neuübersetzung von Amelie Thoma und Claudia Marquardt erfährt man: Stimmt so nicht. Der Roman stehe für sich. Das nimmt ihm allerdings auch einiges von seinem Reiz.
Liegt der doch darin, sich bei den seitenweisen politischen Diskussionen Sartre und Camus vorzustellen. Etwa, wie man, nachdem die Amerikaner die Atombombe auf Hiroshima geworfen hatten, nicht Kommunist werden konnte? (Camus konnte). Und was ist mit den Arbeitslagern der KP? Bedeutet, von diesen zu berichten, nicht auch, die Feinde der UdSSR zu unterstützen? Die Faszination dieser Dialoge liegt im Wissen, wie Sartre und Camus tatsächlich darüber stritten und wie sehr das – nicht nur die französischen – Linksintellektuellen bis heute beschäftigt.
Lesenswert dieser zart aus der Zeit gefallene Roman dennoch. Unter anderem für diese Definition von Literatur: Warum schreiben? „Ich kenne einen Haufen sehr unterschiedlicher Leute, und ich möchte jedem zeigen, wie die anderen wirklich sind.“