Im Frühjahr 2020 wurde die Welt von der Corona-Krise erschüttert, das österreichische Fußballmagazin „Ballesterer“ stand in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten kurz vor dem Aus. Die Werbeanzeigen, mit denen sich das Heft finanziert, wurden weniger, der Verkauf im Stadion fiel weg, die Zeitschrift sollte eingestellt werden. Mit der Kampagne „Ballesterer brennt!“ startete das Heft einen Versuch aus der Krise zu kommen und war damit schließlich erfolgreich: Neue Abonnent:innen und Unterstützer:innen im „Supporters Club“ garantieren dem Magazin für Fußballkultur bis heute den Fortbestand.
Den größten Moment seiner Geschichte erlebte der Ballesterer vor rund zehn Jahren, als einem Journalisten des Blattes eine besondere Ehre zuteilwerden sollte: Am 13. Juli 2014 besiegte Deutschland Argentinien mit 1:0 und krönte sich zum vierten Mal zum Fußballweltmeister. Das Finale selbst war spielerisch zwar ausgeglichen, die DFB-Elf wollte den Sieg aber mehr: Sinnbildlich dafür wie sich Bayern-Urgestein Schweinsteiger abklopfen ließ und das Match mit einem Cut beendete. Es waren ikonische Szenen, an die sich wohl jede:r Zuschauer:in erinnert: Der Bodycheck an Christoph Kramer und die nachfolgende Auswechslung des benommenen Verteidigers, Higuaíns Abseitstor und dann natürlich der einzige Treffer des Spieles: Nach Flanke von Schürrle komprimierte Mario Götze – laut Zeit-Journalist Oliver Fritsch – sein überragendes Talent mit der wohl wichtigsten Aktion seiner gesamten Karriere: Er schaffte es die harte Flanke am Fünfmeterraum mit der Brust zu kontrollieren, ließ sich dabei leicht nach hinten fallen und legte den Ball mit seinem schwächeren Fuß sanft in die Seitentasche des Tors. Für Fritsch eines der schönsten Tore, das er je gesehen hatte; für ganz Fußballdeutschland der Schlüssel zur Erfüllung eines Traumes.
Für die (überraschende) österreichische Beteiligung anlässlich des WM-Sieges unserer Lieblingsnachbarn sorgte der Ballesterer, der sich in Person von Robert Florencio in Brasilien, im Maracanã und auch bei der Post-Match-Pressekonferenz des frischgebackenen Weltmeisters befand. Den großen Auftritt für ein kleines Magazin wusste Florencio zu nutzen, als er die erste Frage an den Weltmeistertrainer Joachim Löw stellen durfte. Florencio fragte den DFB-Teamchef, ob dieser Sieg Revanche für seinen ungerechten Rausschmiss als Trainer der Austria zehn Jahre zuvor gewesen sei. Löw stutzte. Mit dieser Frage hatte er nach 120 Minuten intensivem Kampf nicht gerechnet. Nach kurzem Überlegen antworte der Baden-Württemberger schließlich: „Nachbetrachtet war dieser Rausschmiss mein großes Glück.“
Die Veilchen hatten „Jogi“ damals im März 2004 nach einer Niederlage gegen den Letzten der Liga trotz Tabellenführung vor die Türe gesetzt; nur wenige Monate später heuerte Löw als Co-Trainer von Klinsmann beim DFB an. Zwei Jahre später trat er Klinsmanns Nachfolge an und führte Deutschland zuerst ins EM-Halbfinale. 2010 wurde Deutschland schließlich WM-Dritter um zwei Jahre später erneut im EM-Halbfinale zu scheitern. Bei Turnier in Brasilien sollte letztendlich alles passen und Löw gelang, was kaum einem Trainer gelingt. Im Presseraum des legendären Stadions von Rio fanden die übrigen Journalist:innen Florencios Frage lustig – viele hatten noch nie etwas von Austria Wien gehört. Die skurrile erste Frage bei der WM-Finale-PK schaffte es in einige internationale Medien.
In Wien-Favoriten erklärte der damalige FAK-Geschäftsführer Markus Kraetschmer derweilen, Löw sei bei den Veilchen – wenn er denn die Zeit für einen Besuch fände – immer willkommen und auch der jetzige Sturm-Sportchef Andi Schicker erinnerte sich an seine Zeit mit dem späteren Weltmeistertrainer: „Er hat mit uns jungen Spielern oft Einzelgespräche geführt, das war nicht selbstverständlich.“ Nachdem Löw 2021 seinen Rücktritt erklärt hat, ist es ruhig um ihn geworden. Vielleich war er tatsächlich in dem ein oder anderen österreichischen Stadion schon zu Gast -als Ex-Bundesliga und Weltmeistertrainer.
Marie Samstag, abseits.at