Ausreden für Sadismus
Die Kriegsverbrechen von Medizinern beschäftigen den Krebsspezialisten naturgemäß besonders: „Da sind Experimente an Roma und Sinti gemacht worden, die wurden mit Eis zugeschüttet – damit man schaut, wie lange deutsche Flieger es in Sibirien aushalten. Oder sie mussten Meerwasser trinken, damit man sieht, wie lange es jemand am Meer ausgesetzt aushält, ohne zu verdursten. Das waren nur Ausreden, denn das war alles Sadismus.“
Die Konsequenzen für die Täter waren verschwindend. Im Roman erwähnt Zielinski den Internisten Hans Eppinger: „Der hat sich dem Ärzteprozess in Nürnberg durch Selbstmord entzogen. Aber er hatte einen Mitarbeiter, Wilhelm Beiglböck, der war genauso ein Kriegsverbrecher. Der ist halt ein paar Jahre gesessen und dann ist er Primarius in einer mittelgroßen deutschen Stadt geworden, hat weiter praktiziert. Das waren elegante, in der Gesellschaft akzeptierte Herren. Keiner hat gesagt, schau, das war ein Täter.“
Nur eine Figur in Zielinskis „Laurenzerberg“ bricht einmal das Schweigen. Ada ist eine Frau, die auf ihren gesellschaftlichen Status viel Wert legt und sich lieber nicht so viel mit den armen Verwandten zeigt. Die aber auch nach den vielen Jahren darauf wartet, dass ihr verschollener Sohn noch auftaucht und wieder am Mittagstisch sitzt. Als ihr Gegenüber munter erzählt, wie ihm als Soldat in Lemberg auch Zeit für Vergnügungen geblieben ist, sagt sie: „Dann waren wir ja gleichzeitig in Lemberg. Sie im Theater und ich im Versteck“. Wenn es überhaupt ein betretenes Schweigen gibt, ist es kurz.
Wie wenig Empathie für die Schicksale der nun wieder zur Flucht genötigten Juden geherrscht hat, zeigt eine Episode um den Schulbuben, der seine Lehrerin enttäuscht. Er kann keinen Bericht über einen Friedhofsbesuch schreiben, weil seine toten Verwandten in einem anderen Land bestattet sind. Das erbost die Lehrerin mit dem engen Horizont sehr.
Das alles trug zu einem Gefühl des Fremdbleibens bei, das in „Laurenzerberg“ die vorherrschende Atmosphäre ist. „Die Menschen die nach Österreich kommen, lassen das Land, aus dem sie gekommen sind, nie ganz zurück. Migranten haben das an sich, dass sie eigentlich nirgendwo zuhause sind. Da gibt es das treffende Zitat von Alfred Polgar: ,Ich bin überall ein bisschen ungern.‘“
2,5 Prozent Überleben
Seine Eltern waren während des Kriegs „auf ewiger Flucht, sie haben es mit Mühe mit falschen Papieren aus Westgalizien geschafft. Timothy Snyder hat in seinem Buch ,Bloodlands‘ vorgerechnet, dass die Erfolgschance dafür 2,5 Prozent war.“
Das Fremdbleiben hat sich bei seinen Eltern unterschiedlich gezeigt. „Meine Mutter war Slawistin, sie hat an der Uni unterrichtet und blieb also in dem Kreis. So habe ich die Ehre gehabt, dass ich schon als Bub mit vielen Intellektuellen aus Osteuropa zusammengekommen bin. Mein Vater wollte sich integrieren. Aus meiner Sicht sogar ein bisschen zu sehr: Er hat Freunde gehabt, mit denen ich heute nichts mehr rede. Da gibt es ja den Spruch: Geschichte spiegelt sich darin, dass Väter das vergessen, woran Söhne sich erinnern.“
Wie geht es Zielinski, wenn Elon Musk einen Hitlergruß auf offener Bühne macht? „Die Dimension der Verachtung dafür kann ich eigentlich nicht schildern.“ Auch die kürzlich von US-Vizepräsident JD Vance oder auch Musk getätigten Äußerungen in Richtung der EU erzürnen Zielinski: „Diese Herrschaften kommen aus einem Land, wo die Autochthonen systematisch vernichtet worden sind, und die wollen uns jetzt erklären, wie man mit Vergangenheitsbewältigung umgeht, was man sagen darf und was nicht. Ich sehe nicht ein, dass man nur auf einem Kontinent Geschichte aufarbeiten muss. Die USA hat eine Geschichte des Rassismus bis zum heutigen Tag. Der Reichtum des Landes im 19. Jahrhundert wurde aufgebaut auf dem Rücken der schwarzen Sklaven und nicht anders.“
Antisemitismus erlebt Zielinski laufend: „Ich hatte eine verehrte Nachbarin, die hat mich gefragt: ,Woher haben Sie denn die blauen Augen?‘ Wenn man zu einer Minderheit gehört, begleitet einen das ein Leben lang. Der Antisemitismus ist in Österreich nicht subkutan, der ist kutan.“