Wer das tut, verschenkt Lebenszeit. Und wer dann die Zeitaufzeichnung frisiert, begeht Urkundenfälschung.
Der Montag ist Kerstins* freier Tag. Die Sekretärin eines kleinen Unternehmens genießt die Vier-Tage-Woche von Dienstag bis Freitag. Ganz arbeitsfrei sind ihre Montage trotzdem selten. Meist schaut die 39-Jährige zumindest einmal in ihre Mails, hin und wieder arbeitet sie in ihrer Freizeit sogar manches vor oder nach, und zwar nicht nur montags, sondern öfter nach Dienstschluss und sogar im Urlaub. Nicht, weil sich diese Dinge in ihrer 20-Stunden-Woche nicht ausgehen würden, sondern weil sie ihrer Vertretung nicht zutraut, alles so ordentlich zu erledigen, wie sie es selbst tun würde. Ihre Arbeitszeit schreibt sie aber brav so auf, wie sie in ihrem Dienstvertrag steht: Dienstag bis Freitag jeweils 8 bis 13 Uhr. Weil „das bissl Mails checken, geh bitte“, meint Kerstin.
„Ein schwerwiegender Vertrauensbruch“
Auch Herbert* nimmt es nicht so genau mit der Arbeitszeit und ihrer Erfassung. Oder eigentlich schon. Er hat nämlich am Freitag im Homeoffice von 7 bis 22:30 Uhr gearbeitet, also fast doppelt so lang wie seine vorgeschriebene Arbeitszeit. Aus seiner Sicht stellt es daher überhaupt kein Problem dar, am Montagvormittag mit seiner Familie zur Zweitwohnung nach Teneriffa zu fliegen und dort erst um 12:30 Uhr den Laptop einzuschalten. Als Arbeitszeit trägt Herbert aber für Freitag 8 bis 16:12 Uhr und für Montag 9 bis 17:15 Uhr ein.
Blöd nur, dass der Arbeitgeber auf die Schummelei draufkommt und Herbert entlässt. Warum? Weil der Dienstnehmer zwar tatsächlich nicht weniger gearbeitet hat als vorgeschrieben, sondern sogar eher mehr, aber er hat dabei mehrfach gegen das Arbeitsrecht verstoßen, wie der Oberste Gerichtshof (OGH) später in Herberts Berufungsverfahren feststellen wird. Erstens genießt gerade im Homeoffice „der Arbeitnehmer eine besondere Vertrauensstellung, weil […] weder eine exakte Überwachung der Arbeitszeit noch eine genaue Kontrolle der Tätigkeit möglich ist“ – und Herberts wahrheitswidriger Eintrag ins Arbeitszeiterfassungssystem stellt „keine bloße Ordnungswidrigkeit […], sondern einen schwerwiegenden Vertrauensbruch“ dar, so der OGH.
Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz
„Zweitens begeht jemand, der seine Arbeitszeiterfassung frisiert, genau genommen Urkundenfälschung, und da können wir ins Strafrecht kommen“, erläutert dazu die Anwältin und Arbeitsrechtsexpertin Alexandra Knell im Gespräch mit der WZ. Drittens sieht sie Herberts reale Arbeitszeit von 7 bis 22:30 Uhr höchst problematisch, weil diese 15,5 Stunden weit über der gesetzlichen Maximalarbeitszeit liegen. Diese beträgt bis zu zwölf Stunden pro Tag – nur spezielle Berufsgruppen wie Polizei, Feuerwehr oder das Gesundheitswesen dürfen längere Schichten haben. Und Herbert gehört zu keiner davon. Viertens hätte er, wenn der nächste Tag ein Arbeitstag gewesen wäre und er wie gewohnt um 7 oder 8 Uhr angefangen hätte, mit seiner inoffiziellen Spätschicht am Freitagabend sehr leicht gegen die ebenfalls vom Gesetzgeber vorgeschriebene ununterbrochenen Ruhezeit von elf Stunden zwischen Arbeitsende und Arbeitsbeginn verstoßen können.
Unbezahlte Mehrarbeit
Was Kerstins freiwillige Mehrarbeit in der Freizeit und ihren Umgang damit betrifft, so verstößt sie damit gegen kein Gesetz. Sie schenkt bloß jedes Mal ein Stück Lebenszeit her. „Es ist auch nicht gesetzwidrig, im Urlaub dienstliche E-Mails zu lesen, damit macht die Arbeitnehmerin weder sich noch ihren Arbeitgeber strafbar“, ergänzt Anwältin Knell. „Sie dürfte aber niemals dazu gezwungen werden. Urlaub ist arbeitsfreie Zeit.“ Somit könnte Kerstin nicht nachträglich eine Bezahlung ihrer Arbeitsleistung im Urlaub einfordern. Genau das passiere aber öfter in Arbeitsrechtsprozessen nach Kündigungen oder Entlassungen, berichtet Knell. Und sie stellt klar: Wenn man nicht explizit Bereitschaftsdienst hat, der extra zu bezahlen ist, besteht nach dem Ende der Arbeitszeit keinerlei Verpflichtung, dienstliche E-Mails zu lesen oder das Telefon abzuheben.
Die strengen Arbeitszeitgesetze dienen dem Schutz der Mitarbeiter:innen.
Anwältin Alexandra Knell, Expertin für Arbeitsrecht
Ein weiteres häufiges Thema beim Arbeitsgericht sind Arbeitsunfälle. Diese gelten nämlich nicht als solche, wenn der/die Dienstgeber:in nachweisen kann, dass er/sie nicht davon wusste und auch nicht hätte wissen müssen, dass in der Freizeit gearbeitet wurde. Allerdings kann der zweifelsfreie Nachweis der einseitigen Überschreitung der klar definierten Arbeitszeit durch ihre Beschäftigten für Unternehmen oft schwierig sein. Die Judikatur sagt nämlich dazu: Die Anordnung von Überstunden ist dasselbe wie die Entgegennahme und Duldung einer Arbeitsleistung in der Freizeit. Sprich: Wäre dieser Artikel nach Dienstschluss geschrieben und abgegeben worden, hätte ihn die WZ-Chefredaktion gar nicht annehmen und online stellen dürfen.
Arbeits- und Freizeit verschwimmen
Insbesondere in der Kreativbranche, der IT sowie jenen Branchen, in denen viel online beziehungsweise remote gearbeitet wird, verschwimmen Arbeits- und Freizeit immer mehr, stellt Knell fest, „weil oft schon auf dem Weg zur Arbeit, der ja noch gar nicht zur Arbeitszeit zählt, zum Beispiel E-Mails gelesen oder berufliche Telefonate geführt werden.“ Man könnte da bereits den Arbeitsweg als Arbeitszeit eintragen – allerdings nur dann, wenn der/die Arbeitgeber:in mitspielt.
Hier kommt das Arbeitsrecht mit seinen engen Grenzen der Praxis in die Quere, meint Knell. „Gerade Kreativität und Flexibilität stehen oft in einem starken Spannungsfeld mit den gesetzlichen Vorgaben.“ Selbst Betriebsvereinbarungen können die zwölf Stunden Maximalarbeitszeit oder die elf Stunden Ruhezeit nicht aushebeln. Die Expertin findet diese strengen Gesetze aber gut, „weil sie dem Schutz der Mitarbeiter:innen dienen“. Denn der Grad zur Selbstausbeutung ist gerade im Homeoffice ein schmaler. Etwa dann, wenn sich Arbeitnehmer:innen schlecht fühlen, aber nicht in Krankenstand gehen, sondern sich daheim halbkrank durch den Tag kämpfen. Hier wurde in der Vergangenheit tatsächlich über einen Teilkrankenstand diskutiert, erzählt Knell, nach dem Motto: Wer zu krank für einen ganzen Arbeitstag ist, macht vielleicht nur drei Stunden und kriecht danach zurück ins Bett. „Diese Debatte ist aber im Sand verlaufen. Krankenstand heißt arbeitsunfähig – das bedeutet, es wird nicht gearbeitet.“
Die Arbeitsrechtsexpertin sieht beide Seiten gefordert: Seitens der Arbeitnehmer:innen ist Eigenverantwortung gefragt, auch einmal Nein zu sagen und klar Job und Privatleben zu trennen. Und die Arbeitgeber:innen sind gefordert, eine Unternehmenskultur zu leben, in der die Freizeit ihrer Beschäftigten respektiert wird. Das bedeutet unter anderem, klarzustellen, dass Selbstausbeutung nicht erwünscht ist. Und wenn man doch einmal untertags eine Pause machen und dafür abends länger arbeiten will, dann bitte entsprechend eintragen.
* Die Namen von Kerstin und Herbert wurden von der Redaktion geändert.
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Infos und Quellen
Genese
Das nach Feierabend abzuschalten vergessene Diensthandy bimmelt, weil eine neue E-Mail eingelangt ist. Was tun? Ignorieren bis zum nächsten Arbeitstag? Oder doch schauen, was es Neues gibt, und sich durch den kurzen Blick vielleicht später Zeit ersparen? Vor dieser Frage steht WZ-Redakteur Mathias Ziegler immer wieder – und wollte nun wissen, was das Arbeitsrecht zu dieser Situation sagt.
Gesprächspartner:innen
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Alexandra Knell ist Rechtsanwältin und Mediatorin, einer ihrer Schwerpunkte ist das Arbeitsrecht.
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Kerstin heißt in Wirklichkeit anders, ist aber tatsächlich Sekretärin mit einer 20-Stunden-Vier-Tage-Woche.
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Herbert wurde ebenfalls anonymisiert – sein OGH-Fall ist hier nachzulesen.