Startseite Politik Auf die Straße setzen, an der Grenze abweisen? Was Asylsuchenden drohen könnte

Auf die Straße setzen, an der Grenze abweisen? Was Asylsuchenden drohen könnte

von Max

In Österreich wird diskutiert, ob Sozialleistungen für Asylsuchende gekürzt werden sollen. In Deutschland fordern oppositionelle Politiker der Unionsparteien, Asylsuchende gleich an der Grenze abzuweisen. Aber in den Niederlanden will die neue Regierung den angekündigten harten Kurs gegen die illegale Migration nun auch tatsächlich durchsetzen: 

Die Vier-Parteien-Koalition, in der Rechtspopulist Geert Wilders die Fäden zieht, will nicht länger für die Unterbringung abgelehnter Asylbewerberinnen und Asylbewerber zahlen. „Ab dem 1. Jänner 2025 wird der staatliche Beitrag für die Unterbringung von Menschen, die schon längst hätten ausreisen müssen, eingestellt“, teilte Asylministerin Marjolein Faber mit. Die abgewiesenen Asylsucher müssten zurückkehren und sollten nicht „subventioniert werden“, so die Ministerin von Wilders‘ PVV-Partei. 

Was bedeutet das genau?

Rund 30 Millionen Euro gab die niederländische Regierung bisher jährlich für die abgewiesenen Asylbewerber aus. Das Geld sollte als Überbrückung dienen, bis zur Ausreise ins Herkunftsland oder ein anderes Land. Diese Grundversorgung erhielten die abgewiesenen Personen in fünf niederländischen Städten – in Amsterdam, Rotterdam, Utrecht, Eindhoven und Groningen. Diese Notversorgung hieß „Bett-Bad-Brotregelung“. In Österreich gibt es so einen sofortigen Stopp der Grundversorgung nach Zurückweisung des Asylantrages nicht.

Wie viele Menschen wären betroffen?

In den vergangenen Jahren haben 2.700 Abgewiesene von dieser „Bett-Bad-Brotregelung“ profitiert. Rund 600 Personen sind derzeit in dieser Betreuung. Insgesamt besaßen in den Niederlanden im Vorjahr rund 21.270 Drittstaatsangehörige kein Aufenthaltsrecht und wurden zur Ausreise aufgefordert.

Wie werden die fünf Städte mit dem Finanzstopp umgehen?

Die Sorge, dass damit Hunderte Menschen auf der Straße landen, dass sie obdachlos oder gar gezwungenermaßen kriminell werden, ist groß. Amsterdam, Utrecht und Eindhoven haben bereits angekündigt, die Versorgung zumindest für ein weiteres Jahr aus dem eigenen Budget zu stemmen. Im Tunnel unter dem Hoog Catharijne Shopping Center hatten vor einigen Jahren Dutzende Migranten ohne Papiere gehaust. Diese Situation wolle man nicht noch einmal, sagte ein Sprecher der Stadt Utrecht:  „Deswegen wird Utrecht weiter die Verantwortung übernehmen, die Migranten ohne Asylstatus zu versorgen.“

Ziel dieses Versorgungsstopps ist es, die Menschen zur sofortigen Ausreise zu bewegen. Wird das klappen?

Das niederländische Unterstützungs-Zentrum für Asylsuchende ASKV bezweifelt das: „Diese Leute sind oft schon lange in den Niederlanden und werden nicht einfach so verschwinden. Die Städte und Gemeinden werden die Folgen dieses Schrittes spüren – Folgen, die man auf den Straßen von Paris oder Brüssel sieht.“

Einen ähnlichen Schritt hat bereits Ungarn gesetzt. Worum ging es?

Mehr als hundert Vertriebene aus der Ukraine wurden Ende August im nordungarischen Kocs auf die Straße gesetzt; landesweit dürften es bis zu 3.000 sein, schätzt die NGO Helsinki-Komitee. Videos des regierungskritischen Portals Telex zeigen Frauen und Kinder, die auf Beton schlafen, viele wirken verzweifelt. Ungarns Regierung hat ihnen jegliche staatliche Unterstützung gestrichen: Laut einem neuen Dekret dürfen nur mehr Vertriebene aus den direkt von den Kämpfen betroffenen Gebieten in der Ukraine bleiben.

Widerspricht das nicht den gemeinsamen EU-Regeln gegenüber Schutzbedürftigen aus der Ukraine?

Rund 4,2 Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine befinden sich in der EU. Ihr vorübergehender Schutz wurde vorerst bis März 2026 verlängert – das gilt auch für Ungarn, das allen Flüchtlingen aus der Ukraine Grundversorgung bieten muss. Das Helsinki Komitee in Ungarn, aus dessen Sicht die Neuregelung „klar gegen EU-Recht verstößt“, hat Beschwerde bei der EU-Kommission eingelegt.

Nach der Messerattacke in Solingen hat sich die Migrationsdebatte auch in Deutschland verschärft. Die Opposition fordert, Asylsuchende gleich an der Grenze abzuweisen. Ist das möglich?

Laut der CDU reisen Syrer und Afghanen auf ihrem Weg nach Deutschland durch sichere EU-Mitgliedstaaten; sind daher nicht mehr bedroht, wenn sie an der deutschen Grenze angelangen – und müssten laut Dublin-Abkommen daher in den EU-Ersteinreisestaat zurückverwiesen werden. In der Dublin-III-Verordnung ist aber auch festgelegt, dass vor einer jeden solchen Überstellung zwingend ein Vorverfahren zu durchlaufen ist. 

CDU-Chef Friedrich Merz sprach auch davon, dass Deutschland eine „Notlage“ ausrufen könnte, wodurch Zurückweisungen an den Grenzen möglich wären. Damit berief er sich offenbar auf den „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ (AEUV). Die Voraussetzung für eine solche „Notlage“ wäre aber ein plötzlicher Zustrom von Drittstaatsangehörigen. Das ist derzeit nicht der Fall, die Anzahl der Asylanträge in Deutschland ist im ersten Halbjahr 2024 im Vergleich zu 2023 deutlich zurückgegangen. Außerdem könnte Deutschland mit einer „Notlage“ nicht einfach alleine vorpreschen, sondern die EU-Kommission müsste laut Artikel 78 AEUV „vorläufige Maßnahmen“ zugunsten Deutschlands vorschlagen. 

Migrationsforscher Gerald Knaus hält Abweisungen an der Grenze weder rechtlich noch praktisch für umsetzbar, wie er in einem MDR-Interview erklärte. 

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