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Auf neuen (Nor-)Wegen

von Max

Sie kamen weit vor Kolumbus in Amerika an. Jüngste Untersuchungen von Holzfunden haben ergeben, dass die Wikinger sogar fast 500 Jahre Vorsprung hatten. Wie lange sie blieben, ist hingegen unklar. Jedenfalls entstanden keine permanenten Siedlungen. Erst in der Kolonialzeit und während der Immigrationswellen im 19. Jahrhundert ließen sich die Skandinavier dauerhaft in der Neuen Welt nieder.

Gekommen, um zu bleiben

Manche flohen vor religiöser Verfolgung, andere vor Hungersnöten durch Ernteausfälle. Hunderttausende Bauernfamilien sollen es gewesen sein, die ihr Glück auf dem Kontinent suchten. So ganz genau dokumentiert wurden die Einwanderer nicht. Und auch heute weiß man – Volkszählung hin oder her – nur annähernd, wie viele US-Amerikaner norwegische Wurzeln haben. Geschätzt wird ihre Zahl auf rund 4,5 Millionen. Viele davon leben heute im Mittleren Westen. Dass Minnesotas Football-Helden Vikings heißen, kommt jedenfalls nicht von ungefähr.

The Commons fügt sich schön in den Vesterheim-Campus und in den Commercial Historic District von Decorah, Iowa, ein.

Eine der größeren Siedlungen, die im frühen 19. Jahrhundert entstanden, ist die Stadt Decorah in der hügeligen Nordostecke Iowas. Die Einwanderer betrachteten die Region als ihre „westliche Heimat“ und nannten sie schlicht Vesterheim. Heute ist Vesterheim der Name eines Kulturcampus, der sich im lebendigen Commercial Historic District über einen ganzen Block erstreckt und an die Water Street, die wichtigste Geschäftsstraße der City, grenzt. Der Campus beherbergt unter anderem eine Folk Art School, eine Bibliothek und ein Archiv. Vor allem aber das Norwegisch-Amerikanische Nationalmuseums, das eine der weltweit umfangreichsten Sammlungen norwegisch-amerikanischer Artefakte zeigt. Neben 33.000 Exponaten gibt es im Freilichtmuseumsdorf auch 12 volkstümliche Bauten zu sehen, die die amerikanische Einwanderungsgeschichte durch die Brille der Immigranten aus Europas hohem Norden erlebbar machen.

Ein Schiff wird kommen

Seit kurzem ist das Gelände um ein Haus reicher: The Commons. Um die bestehenden Vesterheim-Gebäude, die kommerziellen District-Strukturen aus dem 19. Jahrhundert und die verschiedenen Eingänge des Komplexes zu vereinen, schufen die Planer von Snøhetta einen gut 700 Quadratmeter großen Bau. Er dient als zentrales Besucherzentrum und zur architektonischen Einstimmung auf das Programm dieses besonderen Ortes.

Inspiriert von den traditionellen, skandinavischen Schiffen, mit denen die Einwanderer einst in den USA landeten, entwarf Snøhetta das Eingangsvordach als horizontales Segel. Es wölbt sich weit nach oben über den Gehsteig und schafft einen einladenden Eingang und öffentlichen Raum, der nicht von den angrenzenden Gebäuden zurückgesetzt ist, sondern sich durch eine markante Präsenz an der Straße auszeichnet. Die geschwungene Kante und die Konstruktion aus Douglasie stehen im Kontrast zu den flachen, hellen Ziegeln und dem Glas der neuen Fassade.

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Die geschwungene Vordachkonstruktion aus Douglasie tritt kühn aus der hellen Ziegelfassade hervor.

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Das Mauerwerk des angrenzenden Cary-Gebäudes bildet einen schönen Kontrast zum Sichtbeton im Treppenhaus.

Auch sonst nahm Snøhetta, das renommierte Büro für Architektur, Landschaftsarchitektur, Innenarchitektur und Brand Design mit Hauptsitz in Oslo und weiteren Niederlassungen in New York City, San Francisco und Innsbruck, beim Design der Vesterheim Commons Elemente der norwegischen Kultur auf. Die massive Holzrahmenbauweise nimmt Bezug auf die norwegischen „stabbur“, die Hochspeicher der alten Bauerhöfe, und auf die traditionellen Lagerhäuser. Der strukturierte Beton des Sockels ist durch die Arbeit von Erling Viksjø inspiriert, dem Architekten des norwegischen Regierungsgebäudes, das als Y-Block bekannt ist. Die Haptik und Farbe der hellen Ziegel erinnern an den Kalkstein, der auch in den dramatischen Landschaften Norwegens zu finden ist, die durch die Gletscherschmelze geformt wurden. Und das Innere des Gebäudes ähnelt den Zelten der indigenen Samen, die als Lavvu oder auch Koten bekannt sind.

Lokale Materialien, regionale Produktion

Dennoch fügt sich The Commons perfekt in seine Nachbarschaft ein. So wurde zum Beispiel das freiliegende Mauerwerk aus Kalkstein und Ziegeln, das von der ursprünglichen Ostwand des angrenzenden Cary-Gebäudes stammt, in den Entwurf integriert, um einen Teil des Charakters und der Geschichte zu erhalten.

Zudem setzt der nachhaltige Neubau auf lokale Materialien und regionale Produktion. Der Massivholzrahmen wurde von Bell Structural Solutions in Albert Lea, Minnesota, hergestellt. Die in unterschiedlichen Schattierungen leuchtenden 2×20-Zoll-Ziegel der Außenwände stammen von Glen-Gery aus Adel, Iowa. Es sind dieselben Werkstoffe, auch denen auch die auf dem Gelände versammelten und unter Berücksichtigung der Sonnenausrichtung errichteten Volksbauten bestehen. Damit zelebriert The Commons einmal mehr die traditionellen Verbindungen zwischen Menschen, Architektur und umgebender Landschaft.

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Tausende Artefakte: Besucher dürfen tief in die Geschichte der norwegischen Immigranten eintauchen.

Als Ergänzungsgebäude innerhalb des historischen Bezirks dient The Commons als eindrucksvoller neuer Zugang zum Kultur-Campus. Das einladend-transparente Erdgeschoss umfasst eine Lobby, in der Besucher ihr Vesterheim-Erlebnis planen können. Und zwar ganzjährig bei Tageslichtbeleuchtung, wie der Projektleiter von Snøhetta, Matt McMahon, betont: „Die Holzlamellendecke der Lobby steigt im Inneren an und bringt mehr Tageslicht von der Straße herein. Im Sommer beschattet das Vordach den Gehweg und den darunter liegenden Eingang. Im Winter lässt die tieferstehende Sonne das Licht tief in die Lobby fallen.“

Mehr als ein Foyer

Von der Lobby aus gelangt man direkt zum Westby-Torgerson Education Center und in die Folk Art School, um Kurse zu besuchen, oder aber in den Museumsshop. Über die Nordterrasse und den umgebenden Heritage Park ist der Neubau auch mit allen anderen Vesterheim-Gebäuden verbunden. Es lohnt sich jedoch, erst einmal The Commons selbst zu erkunden. Hat es doch so viel zu bieten. Neben der zentralen Lobby beherbergt der dreistöckige Bau nämlich unter anderem einen großen öffentlichen Raum für bis zu 100 Besucher, in dem regelmäßig Vorträge über die norwegische Volkskunst und -kultur stattfinden, Tagungen, Konzerte und Empfänge. Oder aber Gala-Dinners und Bankette. Eine voll ausgestattete Großküche macht’s möglich.

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Das Foyer: Platz für Kulturveranstsaltungen. Durch das Oculus kann man von der Galerie im zweiten Stock aus teilnehmen.

Das Herzstück des Foyers ist aber eine ovale Oculus-Öffnung, die die oberen Etagen visuell mit dem Erdgeschoss verbindet. Von unten betrachtet gleicht es einem Bullauge. Steht man jedoch in der Galerie im zweiten Stock, erinnert es an einen Schiffsbug, der aus dem Boden ragt. Um den Schall von unten zu zerstreuen, arbeiteten die Architekten mit Arup zusammen, die das Innere des Oculus mit Zedernplanken unterschiedlicher Größe auskleideten. Außen wurde geschwärztes Holz eingesetzt – für einen noch dramatischeren Effekt.

Design mit Durchblick

Der intime Galerieraum auf der zweiten Etage beherbergt eine sehenswerte Volkskunst-Sammlung. Weitere Exponate finden sich auf der dritten Etage. Sie sind jedoch nur im Rahmen von Gruppenführungen zugänglich. Um die Artefakte zu untersuchen, stehen Wissenschaftlern und interessierten Laien dort auch ein Studienraum und Büros zur Verfügung. Außerdem gibt es noch ein digitales Labor und Produktionsstudio, um die Sammlungen und Forschungsaktivitäten des Vesterheim-Campus weltweit via Internet zugänglich zu machen.

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Designelement für spannende Durchblicke: das Oculus.

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Zedernholzplanken dämpfen den Schall.

Ein Besuch auf dem Vesterheim-Campus ist eine Reise in die Vergangenheit. Gleichzeitig überbrückt das neue Gebäude Raum und Zeit. Denn auch wenn The Commons mit seiner Architektur, taktilen Sensibilität und der Betonung von Handwerkskunst perfekt auf die Geschichte norwegisch-amerikanischer Traditionen einstimmt, ist es doch ein zeitgemäßer Entwurf. Durch die Struktur aus Massivholz und die umfangreiche Verwendung von Holzoberflächen minimiert das Gebäude seinen ökologischen Fußabdruck, ohne Abstriche beim Design zu machen.

The Commons als Krönung

„The Commons ist ein atemberaubendes Gebäude mit durchdachten und schönen Details“, freut sich Ruth Schultz, Vorstandsvorsitzende von Vesterheim. Auch weil das Projekt die Krönung eines umfassenden, langfristigen Planungsprozesses ist. 2018 hatte man begonnen, mit Snøhetta zusammenzuarbeiten, um einen Masterplan zu entwerfen, der das Museum und die Bildungseinrichtungen durch eine denkwürdige Campus-Landschaft vereint und aufwertet. Durch The Commons ist der Campus mit dem Heritage Park nun sehr gelungen auch an die Water Street angebunden.

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Der Durchgang zum Heritage Park.

Vesterheim-Heritage-Park

Auch von der Terrasse im 2. Stock gelangt man hierher.

„Als amerikanisch-norwegisches Unternehmen ist Snøhetta dankbar und aufgeregt, einen Teil dazu beizutragen, die Erfahrungen, die Kunst und das Kunsthandwerk der norwegischen Einwanderer in den Vereinigten Staaten seit den 1820er-Jahren in einen neuen Kontext zu stellen“, betont Snøhetta-Gründungspartner Craig Dykers. „The Commons und der Heritage Park werden zudem zur Vitalität von Decorah und der Region beitragen.“

„Neue Wikinger“ zieht The Commons jedenfalls bereits an. Zwei der neuen Mississippi-Routen von Viking River Cruises bieten Gästen die Möglichkeit, einen Tagesausflug nach Decorah zu buchen und Vesterheim zu erkunden.

Text: Daniela Schuster Bilder: Michael Grimm; Snøhetta


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