Die eigenwillige, schwer lesbare Schrift, mit der Martin Kušej viele erzürnt hatte, ist über den Sommer verschwunden: Drei plastisch wirkende Schilder mit den Schlagwörtern „OFFEN“ „ECHT“ „JETZT“ in schnörkellosen Versalien hängen über den zentralen Eingangstüren des Burgtheaters.
Kušej hatte zwar aus Groll immer wieder behauptet, dass die Kulturpolitik die Burg ohne Not in eine tiefe Krise stürze (eben weil sie seinen Vertrag nach nur fünf Jahren auslaufen ließ). Aber von einer solchen ist nichts zu merken. Schon lange gab es keinen unaufgeregteren Direktorenwechsel. Er war einfach kein Thema – weder im Ensemble, noch in den Medien. Der KURIER fragte bei Direktor Stefan Bachmann, 1966 in Zürich geboren, nach.
KURIER: Wundert Sie eigentlich, wie reibungslos Ihr Start über die Bühne gegangen ist – abgesehen davon, dass Jens Harzer seine Rolle in der Eröffnungsproduktion spät zurückgelegt hat?
Stefan Bachmann: Für mich ist Theater etwas, das im Fluss, im Prozess ist. Nur weil es einen neuen Direktor gibt, ist die Burg nicht komplett anders. Denn es ist natürlich nicht alles Müll gewesen – und ich habe viele Produktionen übernommen, auch Inszenierungen von Martin Kušej. Ich glaube nicht einmal an die überlieferte Geschichte, dass Claus Peymann das Burgtheater komplett neu gestaltet hat. Auch er hat auf vielem aufgebaut, was vor ihm stattgefunden hat.
Was schon erstaunt: Es gab überhaupt keine Erregung, sondern viele positive oder zumindest wohlmeinende Kritiken.
Wir sind ja in Wien …
… wo man mit Niederträchtigkeiten rechnen muss …
Das haben Sie gesagt! Was mich daher am meisten alarmiert, ist Lob. Ich überlege mir schon, was ich falsch gemacht habe. Wie drücke ich es aus, damit es nicht blöd klingt? Es ist sicher in meinem Wesen auch grundsätzlich etwas Versöhnliches.
Sie meinen: Sie haben sich reingeschmust …
Vielleicht ein bisschen. Wobei das nicht unbedingt eine Absicht war. Wir sind bloß bemüht, gutes Theater zu machen – allerdings ohne Brimborium drumherum.
Man beginnt ja nur einmal als Burgtheaterdirektor. Sie wussten: Der Start muss gelingen.
Natürlich habe ich mit meinem Chefdramaturgen Thomas Jonigk Stücke überlegt, die auf breites Interesse stoßen könnten und als „Gesten der Umarmung“ gelesen würden. Aber dann braucht man auch Fortüne. Man weiß ja nicht, ob etwas so aufgeht, wie man es sich erträumt hat. Und ich kann nach zweieinhalb Monaten feststellen, alle bisherigen Neuproduktionen vertreten zu können, ohne lügen zu müssen. Das heißt viel! Dafür bin ich wirklich sehr dankbar.
Claus Peymann begann 1986 mit Thomas Bernhards „Theatermacher“ und dem Satz: „Was hier in dieser muffigen Atmosphäre …“ Das sorgte für Heiterkeit. Und auch Sie setzten Bernhard an – mit „Holzfällen“. Darin stellt ein Burgschauspieler fest, dass es Lieblingsburgschauspieler gäbe, aber niemals Lieblingsburgtheaterdirektoren. Er habe schon viele Direktoren kommen und gehen gesehen …
Ja, das war eine Belustigung im Saal! Nicholas Ofczarek hat die Produktion vorgeschlagen. Die Premiere war ein echter Glücksmoment. Wenn man dann im Zuge der Aufführung erfährt, dass es nie einen Lieblingsdirektor gegeben hat: Das steckt man gerne weg. Wie auch die Drohung, dass am Anfang alle lieb sind, man aber nach ein, zwei Jahren mit Schimpf und Schande aus der Stadt gejagt wird.
Sie umarmen, aber zündeln auch – mit Cross-Gender-Besetzungen. Wollten Sie das konservative Publikum aufrütteln?
Nein, weil das nicht als Provokation gedacht war. Für mich ist das eine Normalität. Ich finde: Alle sollen alles spielen dürfen, schwarze Schauspieler auch weiße Rollen und Frauen auch Männerrollen. Ich wollte und will die Auflösung dieser starren Zuordnung, wer welchem Charakter oder welchem Rollenprofil entspricht, vorantreiben. Und es geht mir darum, einen Mehrwert zu kreieren. Provokation interessiert mich nicht. Ich bin am Geschichtenerzählen interessiert.
Und das wird auch honoriert?
Wir haben insgesamt eine Steigerung der Auslastung um zehn Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahrs erzielen können, im Akademietheater sogar um 15 Prozent. Das find ich ganz gut. Aber jetzt fängt die eigentliche Arbeit erst an. Denn es sind jeden Tag die vielen Plätze zu füllen. Ich hoffe, die zehn Prozent sind eine Tendenz, die ansteckend wirkt. Die beste Werbung für ein Theater ist, wenn Menschen vor einer Repertoirevorstellung mit einem Zettel in der Hand nach einer Karte suchen. Das kommt jetzt vor. Und zum ersten Mal seit vielen Jahren bilden sich wieder Schlangen beim Start des Vorverkaufs.
Ihr Vorgänger hatte seinen letzten Spielplan unter das Motto „Aufwachen, bevor es wieder finster wird“ gestellt. Sie hingegen erteilen dem politischen Theater eine Absage.
Mir gefällt diese Bewegung nach rechts überhaupt nicht. Und ich verabscheue das, wofür die FPÖ steht. Jeder dritte Erwachsene, dem ich auf der Straße begegne, hat Ende September diese Partei gewählt. Trotzdem will
ich mich nicht daran beteiligen, die Spaltung in der Gesellschaft weiter voranzutreiben, sondern würde gerne mal darüber nachdenken, ob es nicht doch noch Gemeinsamkeiten gibt, ob man noch Brücken bauen kann, ob man sich über die große Distanz hinweg vielleicht noch in irgendwelchen Punkten einig ist. Am Theater müssen wir auf Komplexität und Differenzierungen beharren. Und je toller die Literatur ist, desto mehr stellen wir das auch unter Beweis. Zum Beispiel mit der „Schachnovelle“ von Stefan Zweig. Diese Stimme aus einer anderen Epoche ist durchaus auch eine Form der Warnung. Ich glaube nur bedingt, dass sich Geschichte wiederholt. Aber trotzdem merken wir, dass es Analogien gibt. Daher macht der Abend auch so betroffen.
Ein Schnellschuss, um Flagge zu zeigen, kommt nicht infrage?
Vom Beflaggen halte ich nicht viel. Und: Wir sind ja keine Tageszeitung, sondern ein Theater. Wir programmieren lange im Voraus und müssen daher Dinge voraussehen. Zum Beispiel eine Literaturnobelpreisträgerin.
Sie bringen im Mai „Die Vegetarierin“ nach dem Roman von Han Kang heraus. Respekt! Aber Sie lenken ein bisschen ab …
Man tut sich, glaube ich, keinen Gefallen, wenn man das vermeintlich aktuellste Stück ansetzt. Nach dem Motto: Alle müssen jetzt zum Beispiel „Arturo Ui“ spielen. Das nutzt sich irgendwie ab. Viel interessanter sind Stücke, die auf den ersten Blick nicht eins zu eins zur gegenwärtigen Situation passen, aber dann fast noch mehr Aktualität erzeugen. Ich würde sogar warnen, schnell ein Register zu ziehen, um auf eine politische Situation zu reagieren. Und das Driften nach rechts ist nicht das Einzige, was auf der Welt passiert. Es gibt noch andere wichtige Themen! Und es gibt zum Glück immer auch das Ausgleichende. Den Ansatz „Die Zeiten sind düster, wir machen nur noch düsteres Theater“ finde ich daher falsch. Ich möchte der gegenwärtigen Stimmungslage etwas entgegensetzen. Theater kann immer ein Gegenpol sein oder paradox zur Zeit formulieren. Ich will nicht, dass wir uns – wie im Berlin der 20er-Jahre – zu Tode amüsieren. Aber manchmal ist eine gewisse Leichtigkeit auch eine Hilfe, um für diese Zeiten gewappnet zu sein.
So viel Heiteres entdecke ich aber nicht in Ihrem Spielplan …
Warten Sie ab! Barbara Frey inszeniert noch den „Tartuffe“ von Molière und Thomas Jonigk zwei Stücke von Marius von Mayenburg an einem Abend – mit Caroline Peters und Dörte Lyssewski in Hauptrollen. Und für die nächste Saison ist die Uraufführung eines Auftragswerks von Ferdinand Schmalz geplant.
Gut. Haben wir noch was Wichtiges vergessen?
Ja, die Basisabgeltung des Bundes. Sie wird nicht an die Inflation angepasst, aber die Löhne steigen sehr wohl. Und die Personalkosten sind extrem hoch. Wenn die Finanzierung auf dem gegenwärtigen Stand bleibt, wäre unser künstlerisches Budget in zwei Jahren komplett von den Lohnkosten aufgefressen. Wir wären handlungsunfähig. Das betrifft auch die Staatsoper und die Volksoper. In Köln (wo er ab 2013 Intendant des Schauspiels war, Anm.) gab es eine Inflationsanpassung, damit man Planungssicherheit hat. Dass man hier das Budget jedes Mal neu erstreiten muss, finde ich ein bisschen unwürdig – und auch unnötig. Die Bundestheater sind ja das kulturelle Flaggschiff Österreichs.