Als Karl-Heinz Grasser vergangenen Freitag vor fünf Richtern des Obersten Gerichtshofs (OGH) steht, um ein letztes Mal seine Unschuld zu erklären, wandert sein Blick zu einem Gemälde beim Eingang: „Legitime Certantibus“, für die „rechtmäßig Streitenden“, steht über dem Gemälde von Ferdinand II. Grasser macht sich des Kaisers Wahlspruch zu eigen. Auch er sei ein rechtmäßig Streitender, sagt der 56-Jährige. „Ich kann mich in den Spiegel schauen.“ Und was ihn bis zuletzt habe funktionieren lassen, sei der Gedanke gewesen, am Ende eines 16 Jahre währenden Gerichtsverfahrens Gerechtigkeit zu erfahren.
Seit Dienstag, 11.43 Uhr, weiß Grasser: Die Hoffnung auf einen Freispruch war vergebens. Die Urteile werden vom OGH weitgehend bestätigt, der Ex-Minister, sein Trauzeuge Walter Meischberger und andere müssen in den nächsten Wochen eine Strafhaft antreten.
Die Angeklagten sehen sich als Justizopfer, von einem „Fehlurteil“ ist die Rede, sie wollen vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen.
Disziplin
Ehe man sich die stellenweise bemerkenswerte Begründung des OGH für seine historische Entscheidung ansieht (das Verfahren dauerte 16 Jahre, es ging um ein Geschäft von 961 Millionen Euro), lohnt der Blick auf Grasser selbst: Wie 2017 bis 2020 vor dem Straflandesgericht, übt sich der Ex-Minister auch vor dem OGH in Disziplin. Eindreiviertelstunden lang referiert Senatsvorsitzende Christa Hetlinger die Beweggründe. Und während des gesamten Vortrags ist dem früheren Regierungsmitglied kaum eine Regung anzumerken.
Grasser lauscht stoisch. Während Sitznachbar Meischberger gegen Ende hin mehrfach den Kopf schüttelt und sein Gesicht in den Händen vergräbt (er wird später sagen, sein Glaube an den Rechtsstaat sei heute erloschen), nimmt Grasser zwischendurch nur kurz das Handy zur Hand und nippt am Wasserbecher.
Viel von dem gestern von der Senatschefin Gesagten ist bekannt und entspricht der Stellungnahme der Generalprokuratur, die dem OGH empfohlen hat, die Buwog-Urteile in großen Teilen zu bestätigen.
All den, von den Angeklagten vorgebrachten Vorwürfen, Strafrichterin Marion Hohenecker sei voreingenommen gewesen und habe den Prozess unfair geführt, widerspricht das Höchstgericht: „Die Vorsitzende hat das Verfahren vorbildlich geführt.“
Da es nicht alle Tage vorkommt, dass ein Ex-Finanzminister wegen einer hohen Haftstrafe vor dem Obersten Gerichtshof steht, hält der OGH an diesem Dienstag auch öffentlich fest, was nicht seine Rolle ist: den Prozess zu wiederholen, sprich: Zeugen zu befragen und Tatsachen zu überprüfen.
Die letzte Instanz der Gerichtsbarkeit studiert vor allem Akten, und das bedeutet im Fall der Buwog: Die fünf Höchstrichter haben das 1.280 Seiten starke Urteil auf Widersprüche, Fehler und andere Mängel durchforstet und folgende Frage geklärt: Haben sich Hohenecker und die Laienrichter beim Prozess mit allen wesentlichen Fakten beschäftigt? Wurde alles Erhebenswerte erhoben?
Der OGH ist der Ansicht: ja, so ist es. Und was die abgeleiteten Schlüsse – und damit auch das Urteil – angeht, ist nur von Relevanz, ob all das, was das Straflandesgericht vor fünf Jahren entschieden hat, auch schlüssig und nachvollziehbar erscheint.
Die schlechte Nachricht lautet an diesem Tag für Karl-Heinz Grasser: Der OGH hat zwar kleine Mängel festgestellt. Insgesamt ist der Sachverhalt aber umfassend und nachvollziehbar erhoben worden – das Urteil ist schlüssig und nachvollziehbar.
Ein spannendes Detail: In der Sache, also beim Korruptionsdelikt, haben die Höchstrichter nicht im Detail bewertet, nämlich: Wie wahrscheinlich es ist, dass Meischberger von seinem Freund Grasser das Höchstgebot der CA Immo erfahren und damit einen entscheidenden Bietervorteil für seinen Kunden, die Immofinanz, bekommen hat.
Der OGH argumentiert anders: Grasser wusste, dass die Immofinanz Meischberger und dessen Partner Peter Hochegger fast zehn Millionen Euro als Zuschlagsprovision bezahlen wollte. Und damit stand Grasser vor einem Loyalitätskonflikt. Als Finanzminister der Republik, der mit dem Verkauf der Buwog-Wohnung betraut war, hätte er im Wissen um diese Provision gar nicht verkaufen dürfen – die Immofinanz war ja bereit, nicht 961 Millionen Euro, sondern 961 Millionen plus 9,6 Millionen Euro Provision auszulegen. Senatschefin Hetlinger: „Herr Magister Grasser hat nicht im bestmöglichen Interesse der Republik gehandelt.“
Damit ist man dann auch bei den Strafen: Diese hat der Oberste Gerichtshof deutlich reduziert, bei Grasser von acht auf vier, bei Meischberger von sieben auf 3,5 Jahre.
Allerdings nicht, weil man die Straftaten „bagatellisieren wollte“, wie der Senat festhält, im Gegenteil: Die Höchstrichter lassen keinen Zweifel aufkommen, dass es für sie kaum etwas Schlimmeres gibt als ein Mitglied der Bundesregierung, dessen „erste und einzige Aufgabe der Staatshaushalt ist“, und das sich an diesem Geld der Steuerzahler „persönlich bereichert“.
„Das ist beispiellos“, sagt Hetlinger empört.
Warum also dann die reduzierten Haftstrafen?
Auch dieser Aspekt ist bemerkenswert: Denn tatsächlich stoßen sich die Höchstrichter an der 16 Jahre währenden Dauer des Verfahrens. Diese sei so „exorbitant lang und unangemessen“, dass man sogar von einer Menschenrechtsverletzung sprechen kann.
Nur dieses eine Mal wird Christa Hetlinger persönlich: Ungeachtet der Straftaten sei es „unerträglich“, mit welch Spott und Häme die Angeklagten mehr als ein Jahrzehnt lang konfrontiert waren. Dass die Angeklagten alle ihnen zur Verfügung stehenden Rechtsmittel und Möglichkeiten des Rechtsstaates ausgeschöpft haben, tue nichts zur Sache.
Warum? „Sie haben ein Grundrecht ausgeübt.“