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„China will wieder Zentrum der Welt sein“

von Max

Sie war schon als Schülerin Anti-Vietnamkriegsaktivistin, wurde dann Universitätsprofessorin, spricht fließend Chinesisch, reist aber nicht mehr in das Land, weil sie offen reden will, ohne Folgen befürchten zu müssen.

KURIER: Beim „Kitz Summit“ haben Sie mit der Aussage aufhorchen lassen, dass es die Gefahr eines Dritten Weltkriegs gebe. Welche Rolle spielt China dabei? Viele Experten meinen ja, dass es nicht die Frage ist, ob China in Taiwan einmarschiert, sondern nur wann.

Susanne Weigelin-Schwiedrzik: So sehe ich das nicht. Aber die Gefahr eines militärischen Angriffes auf Taiwan ist in dem Augenblick gegeben, wo Taiwan seine Unabhängigkeit von China erklären würde. Das ist eine rote Linie für die Volksrepublik China.

Wobei der neue Präsident Taiwans durchaus selbstbewusst auftritt.

Gleichzeitig ist er aber auch schwach, weil nur 40 Prozent der Wähler für ihn gestimmt haben. Die anderen beiden Kandidaten haben je 30 Prozent. Umso mehr ist er darauf angewiesen, sich mit Amerika zu koordinieren. Allerdings denke ich, dass die USA derzeit kein Interesse an einer größeren Auseinandersetzung mit China haben.

Weil die USA wegen des Nahostkrieges andere Probleme haben?

Ja, weil sie schon an zu vielen Stellen gleichzeitig aktiv sind und keine überhitzte Stimmung im US-Wahlkampf haben wollen. Der taiwanesische Präsident sieht die Gelegenheit gekommen, zu sagen, was er will und fordert Gespräche auf Augenhöhe: das heißt von Staat zu Staat und nicht von Zentralregierung zu Provinz, wie es Xi Jinping haben möchte.

Macht es einen Unterschied, ob Kamala Harris oder Donald Trump gewinnt? Beide haben sich dazu bedeckt gehalten. Im Umkreis von Trump gibt es Berater, die eine Unabhängigkeitserklärung Taiwans für richtig halten und meinen, dass die USA im Falle des Falles auch militärisch eingreifen sollten. Die Konzentration auf Asien – die sowohl von Demokraten als auch von Republikanern betont wird – könnte ein proaktiveres Vorgehen beinhalten.

Wäre ein Krieg nicht für alle Seiten und in jeder Hinsicht katastrophal?

Ja, es könnte eine noch größere Eskalation als durch den Ukraine-Krieg geben.

Welches Ziel hat China eigentlich wirklich?

In den Augen der chinesischen Eliten spielte ihr Land eine zentrale Rolle, was mit den Opiumkriegen Mitte des 19. Jahrhunderts verloren ging. Diese herausragende Funktion will es zurückerlangen: China will wieder Zentrum der Welt sein.

Durch den Ukraine-Krieg hat sich Russland an China angenähert. Bilden die beiden Staaten nun mit dem Iran eine Achse des Bösen?

Das ist eine Bezeichnung aus dem Blickwinkel Washingtons. Viele Länder würden das nicht so sehen. Mit dieser Allianz müssen wir leben. Sie ist das natürliche Ergebnis der augenblicklichen Konstellation.

China treibt einen Keil in Europa. Warum besuchte Xi Jinping bei seiner Europareise ausgerechnet Ungarn?

Das Bemerkenswerteste ist, dass er nicht nach Brüssel gereist ist, sondern nach Frankreich. Für China bedeutet Gaullismus, dass Frankreich Abstand zu den USA sucht. Nach Ungarn ging Xi Jinping wegen Orbans Positionierung gegenüber Russland und China, die nicht auf Krieg, sondern auf Frieden ausgerichtet ist. Unter den drei großen Nuklearmächten USA, Russland und China ist ja im Augenblick China das Land, das auf Frieden setzt.

Interessant ist auch, dass China in Afrika als neuer Kolonialherr auftritt. Ist es dort am Ende erfolgreicher als Europa?

Da sind die letzten Würfel noch nicht gefallen. China hat die Entwicklungschancen Afrikas besser erkannt, samt der vielen Rohstoffe, die dort liegen. Aber jetzt sind auch Europäer, Amerikaner und Russen aufgewacht. Die Situation Afrikas hat sich verbessert, weil unterschiedliche Geldgeber um den Kontinent werben. China kann nicht mehr seine Bedingungen diktieren.

Warum hat China ein so hohes Interesse, Häfen zu kaufen? Piräus und Antwerpen besitzt es schon, an Hamburg ist es dran.

Weil China eine ökonomische Weltmacht sein will. Häfen sind wichtig, um die Lieferketten in der Hand zu haben.

Asien-Expertin: „China will wieder Zentrum der Welt sein“

In Österreich gibt es Sorge, von den vielen chinesischen Studenten ausspioniert zu werden. Eine Gefahr?

Wir sollten die Anwesenheit chinesischer Studenten hierzulande nicht überschätzen, denn Chinesen gehen nur an Universitäten, die im Topranking sind. Das treibt ihre Gehälter sofort in die Höhe. Solche Universitäten haben wir in Österreich nicht. Wir sind aber in einzelnen Bereichen gut aufgestellt, etwa in der Quantenphysik.

Sie waren oft in China, sprechen Chinesisch. Aber können Sie sich überhaupt kritisch äußern, ohne Restriktionen zu befürchten?

Ich fahre seit 2018 nicht mehr nach China, weil ich sagen möchte, was ich meine, ohne befürchten zu müssen, kein Visum mehr zu bekommen. Ich bin inzwischen im Ruhestand und kann mir das erlauben.

Woher kommt Ihr großes Interesse an China?

In meiner Familie wurde viel über Politik diskutiert. Mein Bruder, der in München in der Studentenbewegung aktiv war, brachte mir Zeitschriften aus der Volksrepublik China mit, in der Menschen lachten, rote Backen hatten und große Äpfel in der Hand hielten, Dann war ich 1971 als 16-jährige Schülerin in den USA. Und obwohl auch dort positiv über China berichtet wurde, stolperte ich über einen Artikel, in dem beschrieben wurde, wie chinesische Professoren während der Kulturrevolution auf Knien über Glasscherben durch den Uni-Campus getrieben wurden. Da habe ich mir gedacht: Da muss ich hin, um herauszufinden, was jetzt richtig ist. Ich habe Chinesisch gelernt und bin 1975 als Stipendiatin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes nach China gereist.

Das ganze Gespräch mit Susanne Weigelin-Schwiedrzik

Damals war es modern, die Mao-Bibel zu lesen. Ihr Mann, der Regisseur Wolfgang Schwiedrzik, war Maoist, sehr links und auch in der KPD Aufbauorganisation aktiv. Hatten Sie dafür auch Sympathien?

Ich war schon als Schülerin eine Aktivistin der Anti-Vietnamkriegsbewegung. Heute denke ich manchmal darüber nach, wie wenig meine Studierenden wissen, wie die USA damals agiert haben. Das habe ich eben quasi als meine erste politische Taufe erlebt. Ich war dann in China, als Mao Zedong starb und einen Monat später die sogenannte Viererbande abgesetzt wurde. Von diesem Moment an wusste ich erstens, dass in China zu sein überhaupt nicht bedeutet, zu verstehen, was dort los ist. Zweitens, dass ich mich damit wissenschaftlich beschäftigen musste. Und drittens, dass die Dinge in China nicht so schön sind, wie sich das so manche vorgestellt haben.

Regt sich kein Widerstand gegen die Menschenrechtsverletzungen in China?

Der großen Mehrheit der Bevölkerung sind die Stabilität und die ökonomische Entwicklung des Landes wichtiger. Es gibt 56 nationale Minderheiten. Hier regt sich massiver Widerstand. Sie machen nur sechs Prozent der Bevölkerung aus, leben aber in den rohstoffreichsten Gebieten. Um diese für die chinesische Wirtschaft weiter ausbeuten zu können und um ein Auseinanderfallen des Landes wie in der Sowjetunion zu verhindern, wird jeder Widerstand mit großer Gewalt unterdrückt. Kommt es aber wirklich zu wirtschaftlichen Problemen des ganzen Landes, dann könnte sich innerhalb der Elite Widerstand gegen die Regierung regen. Das hat auch zum seinerzeitigen Sturz der Viererbande geführt.

Was kann Chinas Erfolgsweg stoppen?

Oh, es kann sehr viel passieren. Die innere Stabilität dieses Regimes ist nicht selbstverständlich. Wenn zum Beispiel die chinesische Wirtschaft nicht boomt, dann gibt es kein soziales Auffangnetz. In diesem Sinne ist China neoliberal. Und niemand weiß, ob China einen eventuellen Krieg gegen die USA gewinnen kann. Dieser kann zu einer nuklearen Auseinandersetzung führen, was nicht nur das Ende Chinas wäre, sondern auch das Ende der Welt, in der wir heute leben.

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