Ganz vorne an der Armlehne des dunkelbraunen Stuhls, dort wo man die Hand auflegen würde, ist das Holz deutlich heller und weist kleine Kerben auf. „Seht ihr das?“, fragt Kate Clements. Jene aus der Gruppe, die um den Holzstuhl stehen, lehnen sich ein wenig weiter nach vorne. „Da hat Churchill immer den Siegelring und die Finger in die Lehne gedrückt, wenn die Gespräche hitzig wurden.“ Der Tiefe der Kerbe nach zu urteilen, geschah das nicht selten.
Kate Clements bittet uns, weiterzugehen und erinnert noch eimmal: „Nichts berühren!“ Es ist nicht ganz leicht, der Aufforderung zu folgen; der Platz rund um den quadratischen Konferenztisch ist, ebenso wie die umliegenden Gänge, eng. Doch ihre Vorsicht ist nachvollziehbar.
Schließlich ist alles in diesem Raum – von der roten Korrespondenzbox über das schwarze Scheibentelefon bis hin zu Notizpapier und Aschenbecher (mit Ausnahme der darin liegenden Zigarre) – ein historisches Artefakt.
Es handelt sich um den Konferenzraum, in dem Winston Churchill während der entscheidenden Jahre der 1940er regierte.
Die entscheidende Stunde
Als Churchill am 10. Mai 1940 zum britischen Premierminister ernannt wurde, waren viele Briten überrascht, manche sogar entsetzt. Nach dem Rücktritt von Neville Chamberlain galt eigentlich Lord Halifax als Favorit für das Amt. Er stand für Verlässlichkeit; der 65-jährige Churchill galt politisches Pulverfass.
Doch auch wenn Churchill polarisierte: Seine Entschlossenheit im Kampf gegen Nazi-Deutschland, seine unerschütterliche Widerstandskraft und seine mitreißenden Reden zeigten, dass er der richtige Mann zur richtigen Zeit war.
„Ich hatte das Gefühl“, schrieb er später über diesen Moment, „dass mein ganzes bisheriges Leben nur eine Vorbereitung auf diese Stunde und auf diese Prüfung war. … Ich war sicher, dass ich nicht versagen würde.“
Heute, 150 Jahre nach seiner Geburt, gibt es in London einen Ort, der sein Erbe lebendig hält. Wer in der Whitehall, nahe dem Westminster-Palast, in die King Charles Street abbiegt, entdeckt bei den Clive Steps einen schwarzen Eingang. Darüber prangt in goldenen Lettern: „Churchill War Rooms„.
Rückzug in den Boden
„Die Briten wussten“, fährt Kate Clements, die Kuratorin der Churchill War Rooms, fort und führt dabei durch enge Gänge, „dass Deutschland aus der Luft angreifen würden. Also haben die Briten einen Ort gesucht, an dem die Regierung sicher arbeiten könnte.“
Unterschiedliche Optionen wurden in Betracht gezogen, darunter auch Landhaussitze. Schließlich fiel die Wahl auf den Keller unter dem heutigen Finanzministerium, der bis dahin als Archiv genutzt wurde. Alte Aktenschränke wurden hastig geräumt, die Decken mit Stahlträgern verstärkt und eine neue Lüftungsanlage eingebaut.
„Trotzdem war die Luft hier unten nie besonders gut“, sagt Clements. Churchill sei ohne Zigarre schließlich undenkbar gewesen.
Churchill War Room
Die Churchill War Rooms feiern heuer ihr eigenes Jubiläum: Sie wurden vor exakt 40 Jahren eröffnet. Man kann als Besucher die reguläre Dauerausstellung oder die „Behind The Glass“-Tour buchen, bei der es direkt in die Zimmer hineingeht, in denen während des zweiten Weltkriegs die großen Entscheidungen getroffen wurden
Mehr Infos gibt es hier.
Imperial War Museum
Das Imperial War Museum zeigt bis zum 23. Februar in einer Sonderausstellung zu Cartoons über den ehemaligen Premierminister.
Details dazu gibt es hier.
In der Hochphase arbeiteten rund 500 Menschen in diesem unterirdischen Labyrinth, darunter die wichtigsten Regierungsmitglieder und die höchsten Generäle des Landes. Über eine versteckte Treppe im Finanzministerium gelangten sie zunächst ein Stockwerk hinauf, dann zwei hinunter in die War Rooms. Alle mussten Geheimhaltungserklärungen unterschreiben – niemand außerhalb durfte wissen, wo sie sich befanden.
Das Herzstück der Kriegsregierung
Hier wurden Strategien entworfen, Entscheidungen getroffen und Reden vorbereitet. Im kleinen, spartanischen Schlafzimmer kann man den dunklen Holzschreibtisch besichtigen, von dem aus sich Churchill am 18. Juni 1940 an die kriegsmüde Nation wandte. In seiner berühmten Rede „Their Finest Hour“ rief er sie zu unermüdlichem Widerstand auf.
Im benachbarten Kartenzimmer leuchteten fast ununterbrochen die Telefone auf; hier wurden die neuesten Truppenbewegungen und Schiffspositionen durchgegeben und auf der riesigen Weltkarte mit Stecknadeln festgehalten.
Das Kartenzimmer war das einzige, das rund um die Uhr besetzt war.
Zeitkapsel mit Würfelzucker
Und dann, ebenso hastig wie die Räumlichkeiten bezogen wurden, wurden sie wieder verlassen. Der Wandkalender im Kartenzimmer zeigt noch heute den 16. August 1945. Auf einem der Schreibtische liegen drei kleine Zuckerwürfel – die Wochenration von Wing Commander John Heagerty.
Während langer Arbeitsnächte rieb er kleine Scheiben herunter, um sich einen Energieschub zu gönnen. Doch die Nachricht vom Kriegsende war so überwältigend, dass er sie beim Verlassen des Bunkers vergessen haben musste.
Die Türen zu den War Rooms wurden damals verriegelt, wie in weiser Voraussicht. Heute sind sie eine Zeitkapsel der dunkelsten Stunden Großbritanniens – und ein Denkmal für den Mann, der sein Land durch diese Krise führte.