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„Da leide ich wirklich extrem mit“

von Max

Im Herbst 2021 erlebte der Österreichische Skiverband einen Paradigmenwechsel. Auf Langzeit-Präsident Peter Schröcksnadel, ein Patriarch alter Prägung, folgte mit Roswitha Stadlober die erste Frau in diesem Amt. Die ehemalige Rennläuferin schlägt ganz andere Töne an und interpretiert ihre Rolle auch völlig konträr zu ihrem Vorgänger.

ÖSV-Präsidentin Roswitha Stadlober

Seit einer Strukturreform kommen Stadlober als Präsidentin aber auch vorrangig nur mehr repräsentative Aufgaben zu, während Peter Schröcksnadel die Geschicke des Verbandes noch nach dem Motto „Der ÖSV bin ich“ geführt hatte.

Eines hat sich freilich nicht verändert. Die Frage vor einem Großereignis nach dem Medaillenziel. In der Ära Schröcksnadel lautete die Antwort stets: 6 bis 8. Was wohl Nachfolgerin Roswitha Stadlober für die Heim-WM in Saalbach-Hinterglemm als Ziel ausgibt?

KURIER: Sie könnten originell sein und andere Vorgaben machen.

Roswitha Stadlober: Ich sage nur so viel: Mit ein bisschen Glück können wir in jedem Bewerb eine Medaille machen.

Spricht da jetzt die Zweckoptimistin in Ihnen?

Nein. Das ist absolut realistisch. Natürlich hatten wir noch nicht die Erfolge, die wir uns alle erwünscht haben. Aber wir sind die gefährlichen Außenseiter. Und das ist eine gute Ausgangsposition.

Finden Sie wirklich? 

Die absolute Favoritenrolle ist nicht gut bei einer Heim-WM, der Druck, der dann auf dem Team lastet, ist immens. Ja, Marcel Hirscher mag es 2013 in Schladming geschafft haben, aber das ist eine Ausnahme. In unserer Situation können wir nur gewinnen und überraschen.

Aber die Außenseiterrolle kann nicht der Anspruch des ÖSV sein.

Natürlich müssen wir auf lange Sicht der Favorit sein. Das ist unser Anspruch, da wollen wir wieder hin. Aber die aktuelle Situation ist eben eine andere.

Wann ist für Sie die WM ein Erfolg? Definieren Sie das nur über die Medaillen?

Der sportliche Erfolg steht natürlich über allem. Aber es spielt bei einer Heim-Weltmeisterschaft viel mehr herein. Wir wollen die österreichische Gastfreundschaft präsentieren und natürlich auch zeigen, was unser Land im Skisport kann. Und das Wichtigste für mich ist, dass wir hoffentlich viele junge Menschen inspirieren über diese WM. Wenn das gelingt, dann haben wir schon viel erreicht. Denn dann haben wir wieder einen Schub beim Ski-Nachwuchs.

MARKENLAUNCH SKI AUSTRIA: STADLOBER

Hat Österreich Nachwuchssorgen?

Die Gesellschaft hat sich verändert in den letzten Jahrzehnten. Das fängt an beim Geburtenrückgang und geht weiter beim Freizeitangebot, das heute viel breiter ist. Und der gesellschaftliche Bewegungsmangel kommt dann noch gravierend hinzu. Ich bin ja sowieso der Ansicht, dass Bewegung und das Erlernen von motorischen Fähigkeiten und Fertigkeiten wie Bildung angesehen sein muss. Nach dem Vorbild der Musikschulen, die diesen Status bei uns sehr wohl haben. Da sind wir als Gesellschaft gefragt, dass Sport und Bewegung auch als Bildung anerkannt werden, weil es so etwas Wertvolles ist.

Heißt das, Sport ist in Österreich kein Kulturgut?

Leider nein. Man muss die Situation ja nur mit den USA vergleichen: Dort bieten die Universitäten alle ein riesiges Sportangebot an. Was macht Norwegen anders? Die haben eben eine Bewegungskultur, die fest verwurzelt ist in der Gesellschaft.

Eine Bewegungskultur lässt sich nicht per Gesetz verordnen.

Natürlich muss so etwas wachsen und entstehen. Und dafür braucht es gar nicht so viel. Es wäre schon einmal ein Anfang, wenn die Kinder wieder in den Wald gehen, wenn sie zum Beispiel über herumliegende Baumstämme balancieren und solche einfachen Sachen machen. Das haben wir leider verlernt, vielen Kindern ist diese Neugier und die Freude am Bewegen abhandengekommen. Diese Entwicklung spüren wir natürlich auch als Sportverband.

Wie viel steht für den ÖSV bei dieser WM auf dem Spiel? Hängt der Ruf als Skiverband Nummer 1 von den nächsten zwei Wochen ab?

Der ÖSV ist nach wie vor eine starke Marke, die emotionalisiert und manchmal natürlich auch polarisiert. Ich bin auch überzeugt, dass diese Strahlkraft lange anhält bei den Partnern und Sponsoren, die wir haben und für die wir als Verband dankbar sind.

Dafür braucht es aber auch Idole und Typen: Im Moment scheinen die Teenager eher Leute wie Pinheiro Braathen oder Mikaela Shiffrin zu faszinieren.

Die Jungen werden heute mit einem Hermann Maier oder Marcel Hirscher nicht mehr viel anfangen können. Die zieht natürlich jemand wie Pinheiro Braathen an, der ist der ultimative Popstar des Skisports und der bedient das auch via Social Media. Jeder, der wegen ihm eine Begeisterung für den Skisport entfacht, ist ein Gewinn. Der Skisport braucht eine positive Stimmung. Und da haben wir vor allem im Osten des Landes Aufholbedarf.

Welche Stimmung orten Sie dort?

Ich habe schon den Eindruck, dass man im Osten von Österreich dem Skisport eher kritisch gegenübersteht. Da heißt es dann: Das braucht doch keiner. Das interessiert niemanden. Und diese Stimmen werden lauter.

Können Sie die Kritik nachvollziehen? Der ÖSV betreibt gerade im Skifahren einen enormen Aufwand, der sportliche Ertrag ist überschaubar. Das Herren-Team wartet seit 31 Weltcuprennen auf einen Sieg.

Im Moment sind uns andere Nationen vielleicht ein bisschen voraus. Die Schweiz ist zum Beispiel sehr gut aufgestellt, die Norweger haben nicht das größte Budget, sie arbeiten in ihrer kleineren Mannschaft sehr effizient. In Norwegen wird die meiste Arbeit in den Skivereinen gemacht, die schon sehr professionell arbeiten Und dann haben sie dort einen Riesenvorteil.

Welchen Vorteil denn?

Erstens gibt es in Norwegen eine Skihalle, und zweitens haben sie im ganzen Land Flutlichtpisten, somit können sie ganzjährig auf Schnee sein. Und so bekommen die Sportler dort schon in jungen Jahren viel mehr Skitage zusammen.

Heißt das im Umkehrschluss, dass Österreich eine Skihalle braucht?

Ich glaube, dass es nicht mehr allzu lange dauern wird, bis es in den Köpfen drinnen ist, dass wir um so eine Schneeerlebniswelt nicht herumkommen. Bis jetzt war der Leidensdruck von vielen, die im Tourismus oder Wintersport tätig sind, offenbar noch nicht so groß. Aber wenn wir wollen, dass die österreichische Bevölkerung auch in Zukunft Schneesport betreibt, dann müssen die Menschen in Berührung mit dem Schnee kommen. Sonst werden sie nicht Skifahren.

Wie realistisch ist eine Skihalle?

Wenn der Tourismus, die Wirtschaftskammer, die Seilbahnwirtschaft und andere Entscheidungsträger Interesse zeigen, dann kann das durchaus realisierbar sein. Es wird einen Investor brauchen und den richtigen Standort. Ein anderes Zukunfts-Projekt ist eine Skisprungschanzen-Anlage für Wien und für die dortigen Stadtadler. Das wäre auch ein wichtiger Schritt. Mit dem Projekt 2030 sind wir schon weiter.

Das Projekt 2030?

Wir als ÖSV stellen allen Vereinen Know-how in vielen Bereichen zur Verfügung. Es soll einen roten Faden geben, damit alle Trainer von oben bis hinunter in den Kinderbereich von den gleichen Dingen bezüglich Training reden. Das war ein notwendiger Schritt. Erträge wird man erst in einigen Jahren sehen.

Müssen sich die Skifans also auf düstere Zeiten einstellen?

Das glaube ich nicht. Das kann manchmal schnell gehen, wenn ich mir etwa die Entwicklung bei Abfahrer Stefan Eichberger und seinen Kollegen ansehe. Wir haben vielleicht nicht die große Masse, aber da kommen schon gute Athleten daher. Ich lass’ mich positiv überraschen.

Themenwechsel: Was sind die unangenehmsten Seiten des Amtes?

Ich würde nicht von unangenehm sprechen, es gibt Situationen, die mir aber nahe gehen. Vor allem wenn sich Sportler verletzen. Weil ich als ehemalige Skirennläuferin und Mutter einer Athletin weiß, was es bedeutet, wenn ein Traum platzt. Da leide ich wirklich extrem mit.

Wie viel Kontakt pflegen Sie eigentlich zu den Sportlern? Ich mische mich rund um die Wettkämpfe bewusst nicht ein, weil die Sportler und Sportlerinnen keine Ratschläge von mir brauchen. Da halte ich Abstand.

Wie werden Sie nach dreieinhalb Jahren im Amt wahrgenommen?

Das müssen andere beurteilen. Ich denke aber, dass ich mir ein gutes Image aufgebaut habe. Natürlich läuft es anders als unter Peter Schröcksnadel, seine Schlagzeilen kann ich nicht liefern. Sagen wir einmal so: Ich bin wahrscheinlich ein bisschen berechenbarer als er. Und ich wage zu behaupten, dass ich mich in mehr Sportarten gut auskenne.

Abschließend: Glaube Sie, dass Sie die Heim-WM genießen können?

Es kommen viele Termine auf mich zu, aber ich werde mir die Zeit für sportlichen Ausgleich nehmen. Alpin-, Touren- und Langlauf-Ski sind eingepackt, ich hoffe, dass ich die WM genießen kann – so wie alle anderen auch, die dort sind.

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