Für die einen bedeutet Weihnachten Besinnlichkeit, für die anderen: besinnlich ins Burnout. Über Weihnachten und unbezahlte Fürsorgearbeit.
Während der Weihnachtsmann (der von Père Noël bis Santa Claus zahlreiche Namen trägt), genauso wie Nikolaus sehr eindeutig männlich ist, ist das Geschlecht des Christkinds, das in Österreich und Süddeutschland zu Weihnachten die Geschenke bringt, unklar. Jedes Jahr in der Vorweihnachtszeit taucht verlässlich eine sinnbefreite Frage in meinen Social Media Feeds auf: Ist das Christkind weiblich oder männlich? Oder doch ein geschlechtsloser Engel?
Das Geschlecht von real nicht existierenden Fabelgestalten ist glücklicherweise gänzlich irrelevant, nicht irrelevant ist allerdings die Arbeit, die den Fabelgestalten zugeschrieben wird. Diese Arbeit nämlich wird ziemlich ausschließlich von einem Geschlecht verrichtet. Und das unsichtbar.
Unbezahlte Arbeit
Frauen in Österreich leisten jeden Tag 4,5 Stunden unbezahlte Arbeit – zwei Stunden mehr als Männer. Frauen arbeiten insgesamt mehr als Männer, werden aber für wesentlich weniger Arbeitszeit bezahlt: Nur 40 Prozent der geleisteten Arbeitsstunden von Frauen sind bezahlte Erwerbsarbeit. Männer hingegen werden für den Großteil der von ihnen geleisteten Arbeit bezahlt. Frauen tragen nach wie vor den Großteil der Last unbezahlter Fürsorgearbeit, Pflegearbeit, Beziehungsarbeit, Reproduktionsarbeit, Haushaltsarbeit und Mental Load auf ihren Schultern. Während Männer sich zuhause erholen können, schuften Frauen nach der Erwerbsarbeit weiter: Sie kochen Abendessen, planen den nächsten Wochenendeinkauf, bringen der Mutter Medikamente vorbei, putzen und staubsaugen, räumen den Geschirrspüler ein und aus, waschen Wäsche, lesen sich erledigte Hausaufgaben durch und erinnern daran, nicht erledigte zu erledigen, prüfen für den Geschichtetest ab, hören zu und trösten, wischen Rotz und Tränen ab und im Krankheitsfall Kotze weg, wechseln Windeln und packen Jausenbrote.
Kognitive und emotionale Arbeit
Neben der Arbeit, die Frauen unbezahlt physisch verrichten, fällt aber auch noch kognitive Arbeit und Mental Load an – und diese wird in Zeitverwendungsstudien, die ohnehin schon eine äußerst ungleiche Verteilung von unbezahlter Arbeit zuungunsten von Frauen zeigen, nicht abgebildet. Haushaltsmanagement und Familienmanagement bleiben ebenso bei den Frauen hängen, das selbstverständliche Sich-verantwortlich-Fühlen, das selbstverständliche Planen und Vorausdenken und Mitdenken. Studien zeigen immer wieder, dass Frauen ungleich mehr Denkarbeit übernehmen, sie denken darüber nach, welche Aufgaben in Haushalt und Kinderbetreuung anfallen werden, in welcher Reihenfolge sie am besten zu erledigen sind, treffen Entscheidungen, planen Haushaltstätigkeiten, haben Termine im Kopf, organisieren und denken die Bedürfnisse anderer mit.
Frauen erledigen auch den Großteil des „kin-keeping“ in Familien: Sie machen die Beziehungsarbeit, sind verantwortlich für Kommunikation, Konfliktkultur und emotionalen Support, managen Verbindungen, sind verantwortlich für das Herstellen und das Erhalten von Harmonie, sind Friedensstifterinnen und Mediatorinnen.
Besinnlich ins Burnout
Die besinnliche Vorweihnachtszeit schmeißt auf diesen ohnehin schon kaum bewältigbaren Berg noch einen ganzen Haufen drauf: Da müssen Nikolaussackerl gefüllt werden, Adventkalender entweder gekauft oder der Inhalt gekauft und die Adventkalender gebastelt werden. Da muss ein Adventkranz gekauft oder gebunden werden, da muss für die Wichtelaktion in der Volksschule eingekauft werden, es müssen Kekse für das Schulfest gebacken werden, Kekse für die gesamte Familie für Adventszeit und Weihnachtsfest ebenso und sowieso. Man muss gemeinsam mit den Kindern Briefe ans Christkind schreiben (Kindern, denen man erzählt, dass dieses Christkind im Verborgenen für sie arbeitet, während man das eigentlich selbst tut), muss Geschenkeinkäufe planen und durchführen und dann die Geschenke verpacken. Es müssen Weihnachtskarten mit Weihnachtsgrüßen verschickt werden. Es muss ein Baum gekauft werden, der auch aufgeputzt werden muss. Dann muss das Weihnachtsessen geplant werden, für das Weihnachtsessen eingekauft werden, das Weihnachtsessen gekocht werden. Gäste müssen eingeladen werden. Es muss weihnachtlich dekoriert und die Geschenke unter den Baum gelegt werden. Der Heilige Abend und Familienbesuche müssen organisiert und gemanaged werden – inklusive dem Management der familiären Harmonie.
Die Unsichtbarmachung von Arbeit
Kaum etwas ist besser darin, die ohnehin schon kaum sichtbare unbezahlte Arbeit, die Frauen leisten, so effizient unsichtbar zu machen wie das Weihnachtsfest und die Vorweihnachtszeit. Denn zu Weihnachten und in der Vorweihnachtszeit wird die Zusatzarbeit tatsächlich Fabelwesen zugeschrieben: dem Nikolaus, dem Weihnachtsmann, dem Christkind oder irgendwelchen Weihnachtswichteln oder Weihnachtselfen oder Weihnachtshexen, die emsig im Verborgenen daran arbeiten, dass zu Weihnachten und vor Weihnachten alles rund läuft. Die Mütter, die die Arbeit tatsächlich erledigen und bis Weihnachten in aller Regel auch von der Arbeit erledigt sind, haben dann auch noch die Zusatzaufgabe, ihren Kindern zu erklären, dass all das (der Christbaum, die Geschenke, die Lichter) ganz von Zauberhand passiert ist, ganz mühelos und magisch von einem Fantasiewesen vollbracht wurde, ohne ihr Zutun.
Für Frauen bedeutet Weihnachten vor allem eine erhebliche zusätzliche Belastung durch unbezahlte Arbeit, durch Organisation und Managementarbeit, durch emotionale Arbeit, kognitive Arbeit, durch Fürsorgearbeit, durch Haushaltsarbeit und durch die Aufrechterhaltung von Traditionen (vom Basteln des Adventkranzes bis zum Schmücken des Baums), die ebenso an ihnen hängenbleibt.
Die Frage nach dem Geschlecht des Christkinds lässt sich also sehr klar beantworten: Es war immer schon die Mama. Der Weihnachtsmann aber auch.
Beatrice Frasl schreibt alle zwei Wochen eine Kolumne zum Thema Feminismus. Alle Texte findet ihr auch in ihrem Autor:innenprofil.
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Infos und Quellen
Zur Autorin
Beatrice Frasl war schon Feministin, bevor sie wusste, was eine Feministin ist. Das wiederum tut sie, seit sie 14 ist. Seitdem beschäftigt sie sich intensiv mit feministischer Theorie und Praxis – zuerst aktivistisch, dann wissenschaftlich, dann journalistisch. Mit ihrem preisgekrönten Podcast „Große Töchter“ wurde sie in den letzten Jahren zu einer der wichtigsten feministischen Stimmen des Landes.
Im Herbst 2022 erschien ihr erstes Buch mit dem Titel „Patriarchale Belastungsstörung. Geschlecht, Klasse und Psyche“ im Haymon Verlag. Als @fraufrasl ist sie auf Social Media unterwegs. Ihre Schwerpunktthemen sind Feminismus und Frauenpolitik auf der einen und psychische Gesundheit auf der anderen Seite. Seit 1. Juli 2023 schreibt sie als freie Autorin alle zwei Wochen eine Kolumne für die WZ.
Quellen
Das Thema in anderen Medien
The Guardian: For many women, Christmas is just hard work. Here’s how to ring the changes