Die Operette hat einen Moment, und das nicht unbedingt nur aus angenehmen Gründen: Sie ist die Bühnenkunstform, die man vielleicht am meisten mit dem großen Umbruch im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts – Ende der Monarchien, Tanz auf dem Vulkan, man kennt die Stichwörter – verbindet.
So insbesondere auch Emmerich Kálmáns „Die Csárdásfürstin“, wurde das Werk doch vor dem Ersten Weltkrieg begonnen und nach dessen Ende fertiggestellt. Hier bildet sich also dieser große Bruch auch werkhistorisch ab.
Was die Operette als Genre aber ein wenig hemmt, sind die Storys, die erzählt werden: Hier darf eine Adeliger namens Edwin seine große Liebe nicht heiraten, weil sie, huch, Entertainerin ist. Das klingt doch für heutige Kulturkonsumenten ein bisschen gar aus der Zeit gefallen, fragte der KURIER den Regisseur Johannes Erath, der „Die Csárdásfürstin“ am Samstag an der Volksoper zur Premiere bringt.
KURIER: Oder nicht?
Johannes Erath: Das ist aktueller, als man manchmal denkt! Ich bin sehr froh, dass die „Csardasfürstin“ meine erste Operetteinszenierung ist. Denn sie hat etwas ganz Faszinierendes in dieser Nostalgie, in diesem Rückwärtsgewandtsein. Wir sind tatsächlich an einem Zeitpunkt, an dem viele unangenehme Parallelen zu damals auftauchen. Wenn hier der Vorhang aufgeht, ist die Vorstellung bereits zu Ende. Was für ein schönes Bild dafür, dass oft etwas zu Ende gehen muss, bevor etwas Neues beginnt.
Was ist zu Ende gegangen?
Wir sind an einem Punkt der Sehnsucht. Und merken, dass wir viele Dinge erst wertschätzen können, wenn wir sie verloren haben. Das gilt auch für Menschen. Es hat sich das Zusammengehörigkeitsgefühl aufgelöst. Und, das klingt sehr banal, aber: Wir wissen von vielem den Preis, aber kennen nicht mehr den Wert. Es geht den ganzen Abend eigentlich ums Abschiednehmen. Das ist wahnsinnig heutig. Und sehr traurig! Das ist überhaupt keine lustige Operette, sondern sehr melancholisch. Natürlich wird es dazwischen auch heiter, jedoch ohne Schenkelklopfer.
Welche Rolle spielt dabei die Musik?
Ich habe immer das Gefühl, die Musik setzt ein, wenn das Wort aufhört. Wenn der Schmerz nicht mehr zu ertragen ist. Das ist wie eine Übersprungshandlung, weil wir es nicht mehr anders ertragen. Das ist dieser berühmte Tanz auf dem Vulkan, den wir jetzt auch erleben, wo wir nicht mehr wissen, was morgen ist. Wir versuchen, uns an Dingen festzuhalten, aber es gibt nichts, an dem man sich festhalten kann. Das Aggressionspotenzial steigt, die Frustrationstoleranz sinkt. Und wir sind da genau mittendrin.
Ab Samstag (8. 3. 2025) zeigt die Volksoper Emmerich Kálmáns Operette „ Die Csárdásfürstin“. Regie führt Johannes Erath, am Pult steht Tobias Wögerer
Besetzung
Annette Dasch (Sylva Varescu), Alexandre Beuchat (Edwin Ronald), Roland Koch (Leopold Maria Fürst von und zu Lippert-Weylersheim), Regula Rosin (Anhilte, seine Frau), Juliette Khalil (Anastasia Komtesse Eggenberg)
Inhalt
Zusammenfassung der Volksoper: Die berühmte Chansonnière Sylva darf ihren adeligen Geliebten Edwin nicht heiraten. Seine Eltern sorgen dafür, dass er zur Armee eingezogen wird, und verloben ihn mit einer Gräfin. Bei der Verlobungsfeier taucht plötzlich die Chansonnière auf
Dieses Lächeln mit zusammengebissenen Zähnen, das der Operette innewohnt, wurde beiseitegeschoben für eine Nachkriegs-50er-Jahre-Heiterkeit, die das Bild des Genres bis heute verstellt.
Diese 50er-Jahre haben tatsächlich ein Problem erst generiert, weil das so merkwürdig an der Oberfläche geblieben ist. Aber das ist Operette ja nicht! Ich habe nicht das Gefühl, man muss die Operette retten. Wir machen hier nicht Notaufnahme, als würden wir hier in Wiederbelebung gehen. Das hat schon immer gelebt und wird auch weiterleben. Ja, man darf in solchen Zeiten auch Feste feiern. Und ja, man darf so etwas auch im Dreivierteltakt erzählen. Dieses Bittersüße ist genau richtig für unsere Zeit.
Eine Schwierigkeit scheint mir, dass man ja weiß, dass es gut ausgeht. Man erlebt das quasi von hinten.
Ja, das ist auch falsch, das von vornherein mitzuspielen. Das muss eine Echtheit bekommen. Hier wird ein Drama gezeigt, das muss man im Moment erzählen. Das Stück wurde vor dem Ersten Weltkrieg begonnen – und im Krieg danach vollendet. Wir leben auch im ersten Akt und wir wissen nicht, wie der zweite Akt weitergeht. Und wir wissen auch nicht, ob es überhaupt noch einen dritten Akt gibt.
Sie stellen eine rhetorische Frage – ob es Theater noch braucht, wenn die Welt rundherum zusammenbricht. Die eingelernte Antwort wäre: Ja, dann besonders.
Wir brauchen Theater. Es ist Balsam für die Seele. Nicht, weil man weltvergessen ist. Sondern weil wir anhand von einem anderen Schmerz unserem eigenen näherkommen. Das Wunder des Theaters ist, dass wir Zeit zum Stillstand bringen können. Im Wunder dieses Jetzt sind wir unantastbar. Angst hat immer nur im Verhältnis zur Vergangenheit oder zur Zukunft Gültigkeit. Es ist wichtig, in dieser wahnsinnig schnellen Welt ein Kontrapunkt zu sein, wo Dinge in Frage gestellt werden können, Raum bekommen können. Wo man Zustände genießen kann.
Operette einfach zu genießen, fällt dem heutigen Menschen aber dennoch schwer.
Es geht mir nicht darum, Operette neu zu erfinden. Es geht darum, das zu respektieren, wie es war – und es mit eigenen Erfahrungen weiterzubringen. In der Erinnerung – ein großes Thema in diesem Stück! – deformieren wir die Dinge. Manches wird größer, manches fällt weg. Wir erzählen sehr subjektive Wahrnehmungen des Abends – aber nicht meine, sondern jene der Personen im Stück. Man darf Naturalismus machen, kein Problem. Aber Musiktheater ist doch ohnehin schon surreal! Surrealität erzählt glaube ich mehr über unseren Daseinszustand.