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Der innovative Problembär der Moderne

von Max

„Er war gewiss ein großer Künstler – aber um der Wahrheit die Ehre zu geben, muss man auch sagen, dass er unter moralischen Gesichtspunkten keinen guten Charakter hatte. Er war ein anarchischer Geist, dem jede zivile und religiöse Autorität verhasst war, sobald sie den Gelüsten dieses alternden Mannes im Wege stand.“

Diese Zeilen schrieb kein von „Wokeness“ beflissener Studierender der 2020er-Jahre, sondern der französische Südseeforscher Guillaume Le Bronnec anno 1954, vor nun auch schon 70 Jahren.

Dass Paul Gauguin, dieser Titan, zugleich zu den größten Problembären der modernen Kunst zählt, ist also keine neue Erkenntnis: Auf Tahiti und später auf den Marquesas-Inseln, wo Le Bronnec seine Lebensumstände erfasste, „heiratete“ und schwängerte er junge Mädchen, die gerade erst 13 oder 14 Jahre alt waren, und verkehrte mutmaßlich mit zahllosen anderen, denen er wohl auch die Syphilis „anhängte“.

In seinen Bildern malte er die jungen Frauen in paradiesischen Szenarien, die exotische Stereotype festigten.

Erwartbare Debatten

Die Ausstellung „Gauguin – unexpected“, die das Bank Austria Kunstforum nun auf die Beine stellte, kommt an dieser Geschichte nicht vorbei. Sie zeigt aber auch nicht viel Willen, sich mehr als nötig mit ihr zu befassen. Sie wolle den ganzen Gauguin zeigen, sagt Kuratorin Evelyn Benesch beim Rundgang mit dem KURIER, es solle zuerst um das Bild gehen. Und da sei Gauguin eben ein zentraler Erneuerer gewesen.

Entsprechend erzählen die Exponate in den ersten Sälen von einem Weg hin zu einem Kipppunkt der Kunstgeschichte: Anfangs noch stark an den Impressionismus und an die Landschaftsmaler-Schule von Barbizon angelehnt, entwickelte sich der 1848 Geborene, der die Malerei anfangs nur neben seinem Job als Börsenmakler betrieb, hin zu einem neuen, von kraftvollen Farben und Flächen getragenen Stil, der stets mehr als den puren Sinneseindruck zeigen wollte. Parallel dazu legte er eine für die Zeit durchaus nicht untypische Zivilisationsmüdigkeit an den Tag, die ihn an immer neue Sehnsuchtsorte trieb, die mehr Authentizität in Leben und Kunst versprachen.

Gauguins Erweckungserlebnis passierte dabei nicht in der Karibik oder der Südsee, sondern in der Bretagne, wie Werkauswahl und Katalog nahe legen: Die Einfachheit des dortigen Lebens und die simplen Formen von Trachten, Heuhaufen und Bäumen schloss der Künstler zu einer symbolisch aufgeladenen Bildsprache kurz.

Gauguin-Ausstellung in Wien: Der innovative Problembär der Moderne

Jenseits des Sinnlichen

Was genau so revolutionär an Gauguins sogenanntem „Synthetismus“ war, versteht ein heutiges Publikum vielleicht nicht auf Anhieb. Kunsthistorisch Vorgebildete finden im Katalog immerhin Gedächtnisstützen, um zu erkennen, dass Gauguin bei allem Exotismus ein westliches Publikum vor Augen hatte und sich im Wettstreit mit Vorbildern und Kollegen wähnte.

 Der berühmte Akt eines am Bauch liegenden Mädchens („Manao Tupapao – sie denkt an den Geist“, in der Schau als Druckgrafik vertreten) wurde von Zeitgenossen schon als Antwort auf Manets Bild „Olympia“ verstanden, die „Badenden“ sind ohne Paul Cézannes Fassungen solcher Motive kaum denkbar. Auch in der Wiederholung religiöser Sujets legte Gauguin ein westliches Raster über das, was er an „urtümlicher“ Kultur erst in der Kolonie Martinique, später auf Tahiti und Marquesas vorfand.

Gauguin-Ausstellung in Wien: Der innovative Problembär der Moderne

Fragen der Gegenwart bleiben offen

In Fragen der Ausbeutung – in ihren kulturellen wie physischen Formen – verharrt die Schau aber in einer „Einerseits, andererseits“-Argumentation, die nicht nur unzeitgemäß ist, sondern auch viele interessante Fragen liegen lässt.

 Normalisiert der Wandtext, wonach es in Tahiti „üblich war, dass indigene Familien ihre Tochter Europäern als Vahiné (Frau) anboten“, nicht einfach historisches Unrecht? War Gauguin wirklich auch Antikolonialist – oder ermunterte er die Indigenen nur dazu, so wie er selbst keine Steuern zu zahlen? Wie denken die polynesischen Gesellschaften heute über seine Kunst? Es gäbe viele Optionen, den Titan in die Gegenwart zu holen. Diese Ausstellung tut es nicht.

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