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Der lange Weg zur Knie-OP

von Max

Magdalena kämpft seit Jahren mit Knieschmerzen. Ein Termin für eine rettende Operation ist allerdings nicht in Sicht. Die WZ hat bei Expert:innen nachgefragt, warum das so ist.

Magdalena kommt aus Bosnien und lebt seit rund 20 Jahren in Wien. Seit einigen Jahren leidet sie unter zunehmend starken Knieschmerzen, die ihr tägliches Leben und ihre Arbeit als Reinigungskraft erheblich beeinträchtigen. Eine Operation würde ihr helfen, doch der Weg dahin ist mit Hürden und viel Geduld gepflastert.

Die ersten Knie-Beschwerden traten vor einigen Jahren auf, doch Magdalena schob den Arztbesuch immer wieder hinaus. Als es nicht mehr ging, vereinbarte sie einen Termin bei einem Orthopäden – in sechs Wochen. Das sei der frühestmögliche, wurde ihr gesagt. Doch das war nur der Beginn von Magdalenas Irrfahrt durch das österreichische Gesundheitssystem: Der Orthopäde verordnete ein MRT. Sie rief beim ersten Röntgen-Institut, das auf der Verordnung stand, an. Der nächste freie Termin – in fünf Wochen. Eine Freundin empfahl ihr aufgrund ihrer eigenen Erfahrung ein anderes Institut, wo sie bereits wenige Tage später einen Termin erhielt. An einem Sonntag sogar. Das MRT bestätigte die Notwendigkeit einer Knie-Endoprothese, also einem künstlichen Kniegelenk. Doch die Wartezeit für die Operation werde schon ein Jahr dauern, sagte ihr der Orthopäde. Wie sollte sie diese Zeit überbrücken? Ein Jahr Krankenstand war unmöglich.

Ineffiziente Abläufe

Magdalenas Leidensweg ist kein Einzelfall. Der Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer kennt das Problem seit Jahrzehnten: „Wir brauchen ein transparentes und einheitliches System zur Erfassung und Priorisierung von Wartezeiten. Außerdem sollten präventive Maßnahmen und die kontinuierliche Betreuung von Patienten durch Hausärzte und Fachärzte ausgebaut werden. Standardisierte Lebensqualitätsmessungen könnten dabei helfen, den Gesundheitszustand der Patienten besser zu überwachen und frühzeitig einzugreifen“, erklärt Pichlbauer der WZ.

Karin Eglau, Geschäftsbereichsleitung des Bundesinstituts für Qualität im Gesundheitswesen, bestätigt die Problematik: „Bei Ressourcenknappheit muss priorisiert werden, wer die Operation dringender benötigt.“ Denn Patient:innen mit starker Schmerzsymptomatik und erheblicher Einschränkung im Alltag werden schneller operiert. Allerdings stimmen laut Eglau die Befunde von CT oder MRT nicht immer mit den Schmerzen überein – dadurch wird es schwieriger, die Dringlichkeit richtig einzustufen.

Es fehlt der politische Wille, diese Daten zu sammeln.

Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer

Die Auswirkungen der langen Wartezeiten sind erheblich. Auch für die Wirtschaft – möchte man zumindest meinen. Denn Arbeitgeber:innen verlieren über einen langen Zeitraum eine Arbeitskraft – in Magdalenas Fall wären das von der Diagnose bis zur OP mit Nachbehandlung sowie Reha sicher 15 Monate. „Es gibt in Österreich keine umfassenden Daten zu den indirekten Kosten, die durch lange Wartezeiten entstehen. Diese indirekten Kosten umfassen Produktionsausfälle und die zusätzlichen Sozialausgaben für Krankengeld“, erklärt der Gesundheitsökonom. „Es fehlt der politische Wille dazu. Eine umfassende Datenerhebung würde die Mängel im System offenlegen und politischen Druck erzeugen, Lösungen zu finden. Ohne Daten kann jeder Beteiligte die Schuld auf den anderen schieben, ohne dass jemand zur Verantwortung gezogen wird.“ Die WZ hat diesbezüglich bei der WKO nachgefragt, die „keine validen Zahlen zur Einschätzung zur Verfügung hat“.

Magdalenas Fall ist auch für Patientenanwalt Gerhard Jelinek keine Ausnahme: „Wir sehen in Wien ein verstärktes Aufkommen an Beschwerden die Spitäler betreffend, besonders im Bereich der Orthopädie bezüglich OP-Wartezeiten und mehrfach verschobener OPs.“ Die Statistik zeige eine Verdopplung zu den letzten zwei Jahren. „Die Dunkelziffer dürfte sogar deutlich höher sein, da wir Beschwerden nur registrieren, aber keine Termine vermitteln können“, sagt er im Gespräch mit der WZ.

Verschärfung wegen Corona-Pandemie

Die Corona-Pandemie hat die Situation zusätzlich verschärft. Während Eglau von „erheblichen Rückständen“ spricht, die durch die Verschiebung geplanter OPs ab März 2020 entstanden seien, kontert Patientenanwalt Jelinek: „Das könnte 2022 und vielleicht noch 2023 eine Rolle gespielt haben, aber inzwischen sollten diese Rückstände abgearbeitet sein. Es scheint eher ein Kapazitätsproblem zu sein.“ Aber nicht alle Patient:innen müssen warten: „Eigentlich haben wir eine Dreiklassenmedizin: die normale Krankenkasse, die mit Zusatzversicherung und jene, in der die Patienten jemanden im System kennen“, sagt der Gesundheitsökonom. „Sie erhalten oft schneller einen Termin und eine bessere Behandlung. Der Großteil der Bevölkerung, der sich keine Zusatzversicherung leisten kann, bleibt zurück“, meint Pichlbauer (die WZ berichtete ausführlich).

Wir brauchen mehr Turnusplätze und bessere Arbeitsbedingungen.

Patientenanwalt Gerhard Jelinek

Jelinek sieht einen dringenden Handlungsbedarf: „Wir brauchen mehr Personal und Kapazitäten. Es gibt zu wenig ausgebildete Ärztinnen und Ärzte, lange Wartezeiten auf Turnusplätze, und viele Spitalsmitarbeiter:innen sind unzufrieden mit den Arbeitsbedingungen.“

Eglau ergänzt: „Es gibt politische Anstrengungen, die Sachleistungsversorgung (kassenfinanzierte medizinische Dienstleistungen, Anm.) für Ärzte und Ärztinnen attraktiver zu machen. Dies könnte beispielsweise durch bessere Arbeitsbedingungen erreicht werden.“

Neues Finanzierungssystem nötig

Pichlbauer meint, dass die Finanzierung aus einer Hand zielführender wäre. „Das bedeutet, dass dieselbe Stelle sowohl die Einschätzung als auch die Durchführung der Operationen übernimmt. Dadurch würden die Abläufe effizienter und die Verantwortlichkeiten klarer geregelt“, schlägt der Gesundheitsökonom vor.

Der Wiener Gesundheitsverbund (WIGEV) kann Magdalenas Fall nicht nachvollziehen. Auf Anfrage nach einem/einer Gesprächspartner:in erklärt die Pressestelle per E-Mail: „Aus dieser Aufgabe der Akutversorgung und aufgrund des hohen Patient:innen-Aufkommens in unseren Kliniken ergeben sich bei planbaren und nicht akut notwendigen Operationen zwangsläufig Wartezeiten. Die Wiener:innen warten bei den meisten gängigen planbaren OPs im Bundesländervergleich am wenigsten lang.“

Politischer Wille erforderlich

Die Feststellung von Priorisierung und Dringlichkeit der OPs bleibt jedoch ein Kernproblem. Veränderung sei möglich, aber sie würde den politischen Willen und die Bereitschaft erfordern, in langfristige Lösungen zu investieren. „Solang das nicht der Fall ist, werden wir weiterhin mit den gleichen Problemen kämpfen und sowohl Patient:innen als auch das Gesundheitssystem darunter leiden“, sagt Gesundheitsökonom Pichlbauer.

Magdalena wird wohl geduldig auf ihren Termin warten müssen und hoffen, dass dieser tatsächlich in einem Jahr stattfindet und nicht mehrfach verschoben wird. Aber das ist eine andere Geschichte.


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Infos und Quellen

Genese

Im Freundeskreis hörte WZ-Redakteurin Verena Franke vermehrt Klagen über lange Wartezeiten und ein oftmaliges Verschieben von planbaren OPs. Als sie von Magdalenas Wartezeit von einem Jahr für eine Knie-OP hörte, machte sie sich auf die Recherche nach den Gründen dafür und was man dagegen tun könnte.

Gesprächspartner:innen

  • Magdalena möchte anonym bleiben.

  • Pressestelle Ärztekammer

  • Pressestelle WKW

  • Pressestelle WKO

  • Pressestelle Wiener Gesundheitsverbund

  • Karin Eglau arbeitet seit 2012 in der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG), mit den Arbeitsschwerpunkten Koordination Zielsteuerung-Gesundheit, Steuerungsinstrumente (ÖSG, Honorierungssysteme, LKF, Kennzahlenentwicklung), ambulante Qualitätssicherung und Onkologie. 2022 übernahm die Allgemeinmedizinerin und Master of Public Health die Geschäftsbereichsleitung des Bundesinstituts für Qualität im Gesundheitswesen (BIQG) und ist Mitglied der Geschäftsleitung.

  • Ernest Pichlbauer ist Gesundheitsökonom.

  • Gerhard Jelinek ist ehemaliger Richter und Präsident des OLG Wien. Er leitet seit 2022 die Wiener Pflege-, Patientinnen- und Patientenanwaltschaft (WPPA).

Patientenanwalt Gerhard Jelinek

© Bildquelle: WPPA

Daten und Fakten

Tipps für schnellere Röntgen-, MRT- oder CT-Termine:

  • Die Wartezeiten können von Institut zu Institut stark schwanken. Es kann sich deshalb auszahlen, in mehreren Instituten einen Termin anzufragen.

  • Halte, wenn du ein Institut kontaktierst, deine Sozialversicherungsnummer und die Überweisung bereit. Es ist durchaus möglich, dass bei der Anmeldung genaue Angaben gemacht werden müssen.

  • Kläre mit deinem Arzt oder deiner Ärztin die Dringlichkeit der Untersuchung im Vorfeld ab. Bei der Anmeldung im Institut weise dann auf diese Dringlichkeit hin. Dringend bedeutet etwa Schmerzen, die sich verschlimmern könnten. Einige Institute führen Wartelisten für den Fall, dass Patient:innen kurzfristig ausfallen, und reihen andere Patient:innen vor.

Tipps zu OP-Terminen:

  • Recherche im Internet zahlt sich aus: Nachdem man die Diagnose des behandelnden Arztes oder der behandelnden Ärztin erhalten hat, kann man sich auf kliniksuche.at nach dem richtigen Spital erkundigen. Man hat in Österreich die freie Spitalswahl, man muss sich nicht in jenem operieren lassen, das der Arzt oder die Ärztin empfiehlt, wenn man etwa die Wartezeit für den Eingriff als zu lang empfindet.

  • Auf der Website werden zu den Spitälern die Kriterien für Aufenthalt und allgemeine Kriterien genau aufgeschlüsselt, die Wartezeit wird aber nicht genannt. Um diese zu erfahren, muss man die Website des Spitals besuchen, auf der OP-Wartezeiten ausgewiesen sein müssen.

  • Die Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) ist das Forschungs- und Planungsinstitut für das Gesundheitswesen und die Kompetenz- und Förderstelle für Gesundheitsförderung in Österreich. Ihre Grundlage ist das Bundesgesetz über die Gesundheit Österreich GmbH vom 31. Juli 2006. Alleingesellschafter ist der Bund, vertreten durch den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz. Die GÖG ist nicht gewinnorientiert.

  • Das E-Mail der Pressestelle des Wiener Gesundheitsverbunds in vollem Wortlaut: „Die von Ihnen genannten Patient*innen-Fälle können wir nicht nachvollziehen. Gerne aber ganz grundsätzlich zu unseren OP-Wartezeiten: Der Wiener Gesundheitsverbund ist der größte Gesundheitsversorger Österreichs. Er erbringt nahezu 80 Prozent aller Spitalsleistungen für die Wiener Bevölkerung – und zwar für alle in Wien lebenden Menschen unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Einkommen oder ihrem sozialen Status. Der WIGEV ist mit seinen Kliniken bundesweit für höchste medizinische und pflegerische Expertise bekannt und geschätzt. Dies führt dazu, dass die WIGEV-Kliniken in vielen Fachbereichen auch Patient*innen aus den Bundesländern versorgen. Im Schnitt – nach Fachbereichen unterschiedlich – stammen rund 20 Prozent der im WIGEV versorgten Patient*innen aus den anderen Bundesländern.

    Im Fokus der Verantwortung des WIGEV steht die flächendeckende Akutversorgung von Patient*innen, die durchgängig sichergestellt werden muss. Aus dieser Aufgabe der Akutversorgung und aufgrund des hohen Patient*innen-Aufkommens in unseren Kliniken ergeben sich bei planbaren und nicht akut notwendigen Operationen zwangsläufig Wartezeiten. Die Wiener*innen warten bei den meisten gängigen planbaren OPs im Bundesländervergleich am wenigsten lang.

    Wir stellen diese Wartezeiten auch transparent und öffentlich abrufbar dar: Kliniksuche.at

Quellen

Das Thema in der WZ

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