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Der slowakische Pfarrer und Partisan Simek war den Kommunisten suspekt.

von Max

In Österreich war es die Geschichtslüge vom „ersten Opfer Hitlers“, die eine Aufarbeitung der Vergangenheit lang verhindert hat. In der Slowakei war es nach dem Zweiten Weltkrieg der Mythos von der umfassenden Führungsrolle kommunistischer Partisan:innen im Kampf gegen den Faschismus, die eine einseitige Geschichtsbetrachtung zur Folge hatte. Und die hat dazu geführt, dass Leute wie der evangelische Pfarrer und Widerstandskämpfer Ondrej Simek zu Lebzeiten nicht gewürdigt wurden und kaum zu Wort kamen.

Simek ist der 1996 verstorbene Großvater meiner Ehefrau Zuzana. Ich persönlich habe ihn nicht kennengelernt. Er war Partisan, hat zwei Konzentrationslager und einen Todesmarsch überlebt. Er sollte ursprünglich nach Auschwitz deportiert werden, war schon an der Rampe vor dem Tor mit der Aufschrift „Arbeit macht frei“, als sein Zug nach Ravensbrück umgeleitet wurde.

Seine Geschichte, die viele Jahre aus politischen Gründen nur im Familienkreis erzählt werden konnte, soll hier dargestellt werden. Das ist umso leichter möglich, als er seine Erfahrungen 1980 unter dem Titel „Takto to bolo“ (zu Deutsch: „So ist es gewesen“) niedergeschrieben hat.

Ein Foto und ein verbranntes KZ-Gewand

Hätte er das nicht gemacht, wären heute wohl nur noch vereinzelte anekdotische Erzählungen in der Familie und einige Erinnerungsstücke übrig. Da gibt es etwa jenes Foto im Haus meiner Schwiegermutter, Maria Sykorova, das Simek im Zweiten Weltkrieg in seiner Funktion als evangelischer Kaplan zeigt: Gemeinsam mit dem deutlich älteren Pfarrer und einer Abordnung von Slowaken in Tracht beerdigt er die Überreste einer alliierten Flugzeugbesatzung, die über der Hohen Tatra abgeschossen worden war. Weiters ist die Geschichte überliefert, dass Simek 1936 als Student in Erlangen gemeinsam mit einem Freund einfach demonstrativ sitzen geblieben ist, als ein Trupp Nazis in den Raum stürmte und alle aufsprangen und die rechte Hand zum „Deutschen Gruß“ erhoben. Zudem wird im slowakischen Ort Batisovce am Fuß des Bergmassivs heute noch erzählt, dass Simek im Zweiten Weltkrieg Juden getauft habe, um ihnen das Schicksal der Deportation zu ersparen. Bekannt ist, dass der Geistliche sein Leben lang die deutsche Sprache geliebt hat und zahlreiche Kontakte zu Pfarrern in der ehemaligen DDR unterhielt.

Sein Häftlingsgewand hat er lang aufgehoben und bei jährlichen Treffen ehemaliger KZ-Mitgefangener aus seiner Gegend angezogen. Bis es seiner Mutter reichte und sie die gestreiften Erinnerungsstücke einfach verbrannte. Und dann ist da noch jener Löffel, der ihm in Ravensbrück von einem Barackenkommandanten geschenkt worden war und den er täglich bis zu seinem Tod zum Essen benutzte: Er wurde ihm von seiner Familie mit ins Grab gegeben.

Partisan und Gefangener

Begonnen hat alles im August 1944. Da erhoben sich Teile der slowakischen Armee und Partisanen gegen die deutschen Besatzer, gegen die Wehrmacht, die im Juli in den Vasallenstaat einmarschiert war, um die Verteidigung gegen die anrückende sowjetische Rote Armee zu organisieren. Simek hatte den Nationalsozialismus als Theologiestudent in Deutschland schon vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs kennen und hassen gelernt. Er schloss sich dem Aufstand sofort an und wies den slowakischen Regierungskommissar in Batisovce an, die Mobilmachung zum Aufstand auszurufen.

Es begannen heftige Kämpfe mit der Wehrmacht, die den Aufstand in zwei Monaten niederschlug. Simek versteckte sich einige Zeit in den Bergen, bis er sich schließlich im November 1944 nach Batizovce aufmachte, da dort seine Eltern wohnten. Er wurde gefasst, eingesperrt und am 24. November mit anderen Partisanen in Lastwägen verfrachtet und am Bahnhof von Presov in Viehwaggons gepfercht. Die Fenster waren verbarrikadiert, ein leerer Kübel diente als WC. Bevor der Gefangenentransport in Auschwitz ankommt, schreibt Simek verzweifelt drei Kassiber – kleine Zettel, auf denen er auflistet, wer in seinem Waggon sitzt und dass dringend Verpflegung benötigt wird. Wer den Zettel findet, möge ihn der Familie Simek in Batizovce oder Velicna übergeben. „Wenden Sie sich überall vertrauensvoll an Pfarrämter und helfen Sie“, lautete sein Appell.

Die Kassiber waren allerdings nicht leicht aus dem Waggon zu bekommen. In den Wänden gab es keinen Spalt, die Fenster waren verbarrikadiert. „Ich half mir schließlich damit, dass ich aus einer der Waggonwände den Rest eines Astes hinausdrückte. Somit entstand in dem Brett ein Loch mit dem Durchmesser von 1,5 Zentimeter. Durch dieses Loch beobachtete ich dann die Haltestellen, welche der Zug passierte. Dort beförderte ich die Nachrichten hinaus in der Hoffnung, dass wenigstens eine gefunden wird“, schreibt Simek in seinen Erinnerungen. Tatsächlich wurde einer gefunden und aufbewahrt, zu sehen ist er heute im Museum des Slowakischen Volksaufstandes in Banska Bystrica.

Der Zug mit den Häftlingen blieb auf der Fahrt nach Auschwitz einmal in Polen stehen. Während des Aufenthalts bekamen die Eingeschlossenen einen Kübel Wasser, auf den sich die Nächststehenden gierig stürzten, sodass Wasser verschüttet wurde. Simek schreibt, dass er das restliche Wasser löffelweise an alle verteilt habe.

Über Auschwitz nach Ravensbrück

Der nächste Aufenthaltsort war bereits Auschwitz. „Da aber in dem Moment dieses Konzentrationslager überfüllt war, wies es den Zugtransport samt Häftlingen ab“, schreibt Simek. Der Zug wurde nach Ravensbrück weitergeleitet: „Es war am 1. Dezember 1944, als der Transportzug aus Presov mit politischen Häftlingen aus der Slowakei (…) bei der Bahnhofsrampe des mecklenburgischen Städtchens Fürstenberg an der Havel stehen blieb.“ Dort wurde der Transport schon von SS-Männern erwartet. „Mit dem Gebrüll ‚Los! Los! Ihr Hunde!‘ jagten sie die Passagiere hinaus. Nach einem kurzen Marsch gingen wir durch ein großes Eisentor des KZ Ravensbrück durch.“

Ravensbrück war eigentlich ein Frauen-KZ, abgetrennt durch eine Mauer und Stacheldraht gab es aber einen Bereich für Männer. Hier bekam Simek die gestreifte Häftlingskleidung und wurde registriert. „Ab diesem Zeitpunkt war jeder Häftling für die SS-Männer kein Mensch mehr, sondern nur eine Nummer. Meine war 12.371.“ Er bekam ein rotes Dreieck auf die Kleidung, die ihn als einen politischen Häftling kennzeichnete. Die Barackenchefs, Kapos, waren inhaftierte Kriminelle. Sie waren für die SS-Männer Garant für einen rücksichtslosen, harten und groben Umgang mit den Häftlingen. Die Verpflegung war derart dürftig, dass die Häftlinge rasch an Gewicht verloren und krank wurden. Viele starben. Briefe nach Hause durften geschrieben werden, allerdings nur mit dem Inhalt: „Ich bin gesund, es geht mir gut und ich lasse alle grüßen.“ Die Briefe haben das KZ jedoch nie verlassen, wie der Kaplan herausfand. Bei Vergehen mussten alle Häftlinge auf dem Appellplatz Aufstellung nehmen und bis Mitternacht bei frostigen Temperaturen verharren. Wer umfiel, durfte von den anderen nicht wieder auf die Beine gestellt werden.

Bei einer „Spindkontrolle“ wird ihm der lebenswichtige Löffel genommen. „Ich fing an zu heulen wie ein kleines Kind. Jetzt sollte ich meine Suppe mit bloßen Händen essen.“ Der Barackenkapo merkte das und jetzt geschah „etwas Unglaubliches“: Der Mann gab Simek einen neuen Löffel, „der genau aus meinem Heimatland stammte. Es handelte sich um einen Löffel aus ‚Anticorro‘ der Marke ‚Sandrik‘ mit der Nummer 20. Er stammte also aus einem slowakischen Hotel, das von den Deutschen geplündert worden war.“

Ende Februar 1945 wurden die Häftlinge von Ravensbrück in der Früh auf dem Appellplatz zusammengetrieben und durch das KZ-Tor zum Bahnhof Fürstenberg geführt. Von dort ging es in bitterere Kälte in offenen Güterwaggons weiter, 50 Kilometer in das weitaus größere KZ Sachsenhausen bei Berlin. Einige Häftling erfroren bei der Fahrt.

In Sachsenhausen hatte Simek die Nummer 135.245 und war in Block 42 untergebracht. „Der Zimmerkapo hier war wie in Ravensbrück ein Häftling mit grünem Dreieck, also ein Krimineller, der unter dem Namen Ludwig gefürchtet war. Er demütigte und prügelte Häftlinge.“

Schützengraben und Totengräber

Angesichts des nahenden Kriegsendes wurden die Häftlinge von Sachsenhausen zum Errichten von Schützengräben und zur Reparatur von zerstörten Eisenbahnanlagen herangezogen. Den Häftlingen ging es darum, die Arbeiten für die deutsche Kriegsindustrie zu verschleppen. „Nicht zu viel, sondern so wenig wie möglich auf die Schaufel nehmen“ war die Parole. Es sei darum gegangen, der SS Arbeitseifer vorzugaukeln. Alliierte Fliegerangriffe wurden jetzt immer häufiger, ihnen waren die SS-Wachen genauso ausgesetzt wie die Häftlinge. Die Angriffe und die Nachrichten über das Vorrücken der Feinde Hitlers, die im Radio mitgehört und in der Zeitung gelesen wurden, waren für die Moral der Häftlinge enorm wichtig. Es gab im Lager Radios, da einige technisch versierte Häftlinge kaputte Geräte reparieren mussten. Zeitungen wurden fallweise eingeschmuggelt.

Schließlich wurde Simek bei der Beerdigung von deutschen Zivilist:innen nach Luftangriffen eingesetzt. Die SS-Wachen verdächtigten die Häftlinge, das zu tun, was sie selbst in den KZ machten: dass sie den Toten die Goldzähne herausbrechen würden. Deshalb wurden die Häftlinge nach dem Arbeitseinsatz durchsucht. Dabei wurde Simek jenes kleine Gebetsbuch, in dem er zwischen den Zeilen alle KZ-Erlebnisse notiert hatte, abgenommen.

Die Rote Armee stand mittlerweile vor Berlin, der Krieg war so gut wie zu Ende. Doch das Martyrium ging weiter. Am 21. April 1945 wurde das KZ Sachsenhausen evakuiert, der Todesmarsch begann. 33.000 Häftlinge verließen mit einer Notration an Proviant in Gruppen von 500 Personen das Lager. Wer aus Entkräftung nicht weitermarschieren konnte, wurde von einem SS-Mann mit weißer Armbinde und einem Roten Kreuz darauf erschossen. „Ich erinnere mich lebhaft an drei jüdische Häftlinge, einen Vater mit seinen zwei Söhnen. Die Söhne haben den Vater, der nicht mehr gehen konnte, von beiden Seiten mit ihren letzten Kräften gestützt. Dann, als diese auch nicht mehr konnten, wurde der Vater von anderen Mithäftlingen übernommen“, schreibt Simek.

Endlich: die Befreiung

Viele Häftlinge, die nicht mehr weiterwollten, versteckten sich im Wald in der Hoffnung, dass ihr Fehlen beim Morgenappell nicht bemerkt würde. Einer versteckte sich in einem Schuppen im Heu, erinnert sich Simek, ein SS-Mann stach bei der Suche nach dem Abgängigen sein Bajonett ins Heu und traf den Versteckten, der verblutete. Es gelang in der Folge jedoch immer mehr Häftlingen, sich erfolgreich von ihrer Kolonne abzusetzen.

„Es war ein Wettlauf zwischen Leben und Tod“, schreibt Simek; in 13 Tagen legten die Häftlinge rund 260 Kilometer zurück. Am 3. Mai war der Marsch zu Ende. Die Häftlinge und die SS waren nur noch wenige Kilometer von amerikanischen auf der einen und sowjetischen Einheiten auf der anderen Seite entfernt. Schließlich waren die Amerikaner da. Die SS-Leute wurden verprügelt, aber nicht umgebracht. Sie hatten später die befreiten Häftlinge zu bedienen.

Für Simek gehen die Häftlinge als Sieger vom Schlachtfeld. Und er zieht Schlüsse, die heute merkwürdig anmuten: 40 Jahre nach seiner Befreiung schreibt er einem befreundeten Pfarrer: „Die Erfahrungen aus dem Leben im Konzentrationslager sind unermesslich wertvoll. Somit kannte ich mich besser mit den Menschen aus, ich konnte abschätzen, wie viel der Mensch im Stande ist zu ertragen, wann er nicht mehr kann, was man von ihm erwarten kann und was nicht mehr. Dort (im KZ, Anm.) konnte er sich nicht verstellen.“

An der Mauer des Gemeindeamtes von Batizovce hängt heute – nach jahrelangem bürokratischen Hickhack – eine Gedenktafel, die an den Widerstandskämpfer und KZ-Überlebenden Ondrej Simek erinnert.


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Infos und Quellen

Genese

Die WZ hat es sich zur Aufgabe gemacht, totgeschwiegenen Familiengeschichten aus der Zeit des Nationalsozialismus nachzugehen und sie zu veröffentlichen. Meistens handelt es sich bei unseren Groß- und Urgroßeltern um Täter:innen, die das NS-Regime durch Wegschauen, Mitlaufen oder aktiv unterstützt haben.

So ist es auch bei der Familie des Autors Michael Schmölzer, wo es mütterlicherseits überzeugte Nationalsozialist:innen gegeben hat. In der angeheirateten Familie des Autors findet sich allerdings der slowakische Widerstandskämpfer Ondrej Simek. Dessen Rolle in der NS-Zeit wurde von den Kommunisten aus ideologischen Gründen nicht gewürdigt. In den Jahren nach der Wende hat sich das geändert. Die Geschichte Simeks ist relativ einfach zu erzählen, weil er seine Erfahrungen in zwei KZ zu Lebzeiten auf Slowakisch niedergeschrieben hat und einige Erinnerungsstücke wie Fotos oder Kassiber (kleine Zettel mit Informationen an die Außenwelt) erhalten geblieben sind.

Daten und Fakten

  • Der slowakische Nationalaufstand richtete sich gegen die ab dem 29. August 1944 beginnende Okkupation der Slowakei durch die deutsche Wehrmacht und gegen das slowakische Kollaborationsregime unter Jozef Tiso. E war neben dem Warschauer Aufstand einer der größten Aufstände im NS-Hegemoniebereich. Der Aufstand wurde nach 60 Tagen niedergeschlagen, und die Aufständischen gingen vom offenen zum reinen Partisanenkampf über.

  • Das KZ Auschwitz war der größte deutsche Komplex aus Gefangenenlagern zur Zeit des Nationalsozialismus. Es hatte die Doppelfunktion als Konzentrations- und Vernichtungslager. Etwa 90 Prozent der Gefangenen waren Juden und Jüdinnen, die Zahl der Todesopfer beläuft sich auf 1,1 bis 1,5 Millionen Menschen.

  • Das KZ Sachsenhausen befand sich in der Stadt Oranienburg nördlich von Berlin. Insgesamt wurden etwa 200.000 Häftlinge dorthin deportiert, mehrere zehntausend sollen ermordet worden sein.

  • Das KZ Ravensbrück war das größte Konzentrationslager für Frauen im sogenannten Altreich, es waren aber auch rund 20.000 Männer hier interniert. Das KZ wurde im April 1945 von der Roten Armee befreit, seit 1959 ist dort eine Mahn- und Gedenkstätte.

Quellen

  • Die schriftlichen Erinnerungen von Ondrej Simek, „Takto to bolo“, auf Deutsch: „So ist es gewesen.“ Private Fotos und Erinnerungsstücke.

  • Wikipedia: Slowakischer Nationalaufstand

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