In einer Zeit, in der Inklusivität großgeschrieben wird, bleibt die Modewelt erstaunlich exklusiv – besonders für Frauen jenseits von Größe 42. Warum wird ein Großteil der Kundinnen einfach übersehen?
Sandra steht vor dem Spiegel in einem Modegeschäft. Sie ist auf der Suche nach neuem Gewand für den Herbst, aber das Outfit will nicht so richtig passen. Der Pulli spannt an den Schultern, der Bund der Hose schnürt sie ein. Ihr Blick wandert über die spärliche Auswahl an Plus-Size-Mode in dem Geschäft. Schwarz. Dunkelblau. Wieder schwarz. Sie blickt zur Abteilung mit Mode bis zur Größe 42 – dort leuchten Farben, gewagte Muster und ausgefallene Schnitte. Frustriert gibt sie auf, zieht ihre Jacke über und verlässt das Geschäft. Sandra ist frustriert. „Warum ist Mode in Übergröße immer so … langweilig?“, fragt sie sich.
Zu Hause öffnet sie ihren Laptop und durchstöbert die Websites einiger Modemarken, auch aus dem Fast-Fashion-Bereich. Es bleibt ihr oft keine andere Wahl, diese sind oft die einzigen, bei denen sie passende Mode findet.
Sandra ist eine von vielen Frauen, die in der Modewelt unsichtbar gemacht werden. „Ich liebe Farben, ich liebe es, mit Mode zu spielen und mich extravagant zu kleiden“, erzählt sie. „Aber es ist so schwierig, etwas zu finden, das mich anspricht. Entweder sind die Sachen altbacken und fad oder zu teuer.“
Bobby Herrmann-Thurner, Organisatorin eines Plus-Size-Flohmarkts und Unternehmerin, kennt dieses Problem nur zu gut: „Im stationären Handel findest du bis Größe 46 vielleicht noch was, aber ab 48 wird’s schwierig.“ Sie hört immer wieder, dass die Auswahl nicht nur unzureichend sei – das, was es gibt, ist für die Geldbörse von jungen Frauen oft zu teuer. Paradox, ist doch die Durchschnittsgröße in Österreich die 42.
Während sich in der Fast-Fashion-Branche schon einiges bewegt hat, hinken viele Fair-Fashion-Marken in puncto Größenvielfalt hinterher. Ultra-Fast-Fashion-Anbieter haben erkannt, dass große Größen ein lukrativer Markt sind, und bieten eine beeindruckend breite Größenspanne an. In der Fair-Fashion-Branche hingegen beschränken sich viele Labels noch immer auf Kleidergrößen bis maximal 42 oder 44. Für Frauen, die nachhaltiger konsumieren möchten, bleibt dadurch oft nur der Griff zu Fast-Fashion.
Versteckt in der Nische
Doch damit nicht genug: Herrmann-Thurner spricht von unsichtbaren Ecken in Geschäften, wo Plus-Size-Mode versteckt wird: „Die Abteilungen sind schlecht ausgeschildert, es fühlt sich an, als wäre man nicht willkommen.“ Viele Frauen wünschen sich, dass die großen Größen einfach hinter den kleineren Konfektionsgrößen gereiht werden. Integriert, statt separiert.
Es fühlt sich an, als wäre man nicht willkommen.
Bobby Herrmann-Thurner
Georg Preiner, Inhaber eines Plus-Size-Geschäfts und ehemaliger Mitarbeiter einer internationalen Modekette, bestätigt das: „Man kann die Verkaufszahlen von Kleidungsstücken mit ihrer Präsentation in der Ladenfläche steuern.“ Warum also nicht auch Plus-Size-Mode mehr Sichtbarkeit geben?
Fehlende Anpassung
Der Bedarf nach größeren Kleidungsstücken ist da. Fatma sagt: „Ich verstehe nicht, wieso alles bei Größe 42 aufhören muss. Können Kollektionen nicht kleiner, aber dafür Size-inclusive sein?” Doch ab Größe 48 aufwärts, so Herrmann-Thurner, haben Frauen oft ganz andere Bedürfnisse, die von der Modebranche übersehen werden: „Kleidergrößen sind nicht nur größer – die Schnitte müssen angepasst werden, der Stoff muss anders fallen“, erklärt sie.
Sabine Groiss, Designerin und Inhaberin einer Boutique, stimmt dem zu. „Ab einer gewissen Größe kannst du nicht einfach die Maße vergrößern. Es gibt Proportionen, die anders sind, das fängt bei den Schultern an, geht über die Hüften bis hin zur Reißverschlusslänge oder der Anzahl und Position der Knöpfe.“
Das Imageproblem der Modebranche
Doch warum bleibt die Auswahl an nachhaltiger Mode in großen Größen so begrenzt? „Es ist eine Imagefrage“, sagt Herrmann-Thurner. „Viele Marken scheuen sich, größere Größen anzubieten, weil sie es als unattraktiv empfinden. Außerdem kostet es mehr, Schnitte anzupassen und damit eine Größenvielfalt anzubieten. Vor allem für kleine Labels kann das finanziell schwierig sein.“
Der Preis – das ist für viele der springende Punkt. „Es ist teurer, fair produzierte Mode in meiner Größe zu kaufen. Und dann wird einem auch noch ein schlechtes Gewissen gemacht, weil man Fast Fashion wählt“, erzählt Sandra.
Preiner ist fest entschlossen, etwas zu ändern. „Mir geht es um mehr als nur Kleidung. Ich will, dass Plus-Size-Frauen die gleiche Vielfalt und Wertschätzung erfahren wie jede andere Frau auch.“ Seine Kundinnen kommen nicht zufällig bei ihm vorbei. Sie suchen gezielt nach etwas, das sie anderswo nicht finden. „Viele haben es satt, stigmatisiert zu werden“, erklärt er.
Die Repräsentation von Plus-Size-Models ist ebenfalls ein Kritikpunkt. Fatma bemerkt: „Die haben nichts mit der Realität zu tun. Diese Models haben die Proportionen von Schlanken, da schwabbelt nichts, sie haben keinen Bauch.“ Herrmann-Thurner fügt hinzu: „Dickere Arme oder breitere Hüften werden selten gezeigt. Die erfolgreichen Plus-Size-Models haben meist eine Hourglass-Figur, das vermeintliche Optimum. Das verstärkt nur die negative Wahrnehmung von Plus-Size-Frauen.“
Kreative Lösungen
Fatma und Sandra möchten sich trotz der Hürden modisch und modern kleiden – so wie viele Frauen in ihren 20ern. Doch die perfekte Lösung haben sie noch nicht gefunden. Kreative Alternativen wie Online-Second-Hand-Shops, Plus-Size-Flohmärkte oder sogar die eigene Nähmaschine bieten jedoch Möglichkeiten, die Modewelt zumindest ein Stück weit zu erweitern.
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Infos und Quellen
Gesprächspartner:innen
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Georg Preiner, Inhaber von „Grandios”
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Bobby Herrmann-Thurner, Organisatorin eines Plus-Size-Flohmarkts und Bloggerin bei „Curvect”
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Sabine Groiss, Inhaberin von „Elisabeth Vienna”
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Sandra und Fatma, Namen von der Redaktion geändert
Daten und Fakten
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Fast Fashion dominiert den Plus-Size-Markt mit einem geschätzten Marktanteil von über 80 Prozent.
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