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Deutschlandwahlen: Politik und Wissenschaft – wenig Zukunft ohne Innovation

von Max

Mit Wissenschaftsfeindlichkeit wird Politik gemacht. Was Deutschlands künftige Regierung dagegen tun kann, erklärt die designierte Präsidentin der Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Bettina Rockenbach.

WZ I Eva Stanzl

Am 23. Februar wählt Deutschland eine neue Regierung. Doch in Fernsehdiskussionen zum Wahlkampf sind Bildung, Wissenschaft und Forschung kein Thema. Welche Schwerpunkte muss eine künftige deutsche Regierung setzen, um in den Wissenschaften wettbewerbsfähig zu bleiben?

Bettina Rockenbach

Bildung, Wissenschaft und Forschung wurden nicht direkt im Fernseh-Duell zwischen Friedrich Merz und Olaf Scholz benannt, da haben Sie recht. Die Bereiche werden jedoch indirekt angesprochen, wenn man sich um die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands Gedanken macht. Wachstum und die Beibehaltung des Wohlstands in Deutschland werden durch Forschung und Innovation ermöglicht. Wir können uns ja nicht auf den Dingen, die wir vor 100 Jahren erfunden haben, ausruhen, sondern müssen unsere Gesellschaft durch Wissenschaft und Innovation ständig voranbringen. Das wird ein sehr wichtiger Wirtschaftsfaktor sein.

WZ I Eva Stanzl

Was heißt das konkret für den laufenden Wahlkampf?

Bettina Rockenbach

Das heißt, dass ein Bildungsministerium in einer künftigen Regierung eine wichtige Aufgabe haben wird, weil Deutschland ohne Bildung, Forschung und Innovation ins Hintertreffen geraten wird. Um mit den anderen Ländern mithalten zu können, muss eine künftige Regierung diesen Bereich forcieren.

WZ I Eva Stanzl

Welche Empfehlungen haben Sie an eine künftige Bundesregierung?

Bettina Rockenbach

Ein paar Themen liegen auf der Hand. Künstliche Intelligenz, Klima, Migration und Gesundheit sind wichtige Bereiche, die eine künftige Regierung vorantreiben muss. Wieder andere Themen werden aus der Wissenschaft kommen. Die Regierung muss die Ziele vorgeben, aber die Wissenschaft braucht Freiräume, um sich zu entwickeln. Innovationen und Erfindungen kann man nicht einfach in Auftrag geben. Die Forschung muss ergebnisoffen sein, wie man ja auch am Beispiel der Entwicklung von Impfstoffen gegen Covid-19 beobachten konnte. Die mRNA-Impfung gegen Corona ist auf Forschungsanstrengungen zurückzuführen, die Jahre und Jahrzehnte zurückliegen, und die ursprünglich nicht gezielt auf Covid ausgerichtet waren, aber auf deren Basis ein Covid-Impfstoff möglich war. In Deutschland müssen wir unseren Werkzeugkasten breit aufstellen, um die Wissenschaft und letztlich den Standort zu stärken.

Dadurch, dass man etwas leugnet, geht es nicht weg.

Bettina Rockenbach

WZ I Eva Stanzl

In den USA werden täglich neue Forschungsprojekte gestrichen und die Budgets der wichtigsten Institutionen, etwa der Gesundheitsbehörde National Institutes of Health, gekürzt. Auch in Europa wird mit Wissenschaftsfeindlichkeit Politik gemacht. Welche langfristigen Konsequenzen hat das und wie kann die Wissenschaft sich einbringen, um das zu verhindern?

Bettina Rockenbach

Man hofft, dass man sagen kann, so schlimm wie in den USA wird es nicht kommen. Wobei ich sagen muss, dass das, was man derzeit fast stündlich aus den USA hört, die meisten von uns sich tatsächlich vor einem Jahr nicht vorgestellt hätten. Man kann nicht davon ausgehen, dass uns das nie treffen wird. Wir leben seit Covid mit vielen Krisen. Nach der Pandemie hatten wir gedacht, wir sind ganz gut durchgekommen, aber dann kam der russische Angriffskrieg, dann die Energiekrise, dann Krieg im Nahen Osten. Das fordert alle, überfordert die Gesellschaft zum Teil. Aber nur weil wir uns vielleicht wünschen, dass es nicht so wäre, geht es nicht weg. Man muss die Probleme adressieren, und da ist Wissenschaft hilfreich, wenn sie in die Politikempfehlung einfließt.

WZ I Eva Stanzl

In Österreich ist die FPÖ und in Deutschland die AfD wissenschaftsskeptisch bis wissenschaftsfeindlich. Wie kommen Sie gegen solche Skepsis an?

Bettina Rockenbach

Wie gesagt: Dadurch, dass man etwas leugnet, geht es nicht weg. Die Natur ist unbeeindruckt davon, wenn wir naturwissenschaftliche Prozesse verleugnen. Von daher geht es darum, wissenschaftliche Erkenntnisse bestmöglich zu verstehen und der Politik zu präsentieren, damit sie sie in ihren Entscheidungen bestmöglich berücksichtigen kann. Wissenschaftsakademien müssen die Erkenntnisfindung vorantreiben und sie für die Gesellschaft in unterschiedlichsten Formaten aufbereiten, damit die Menschen sich ein eigenes Bild von den Geschehnissen machen können und in die Lage kommen, Wahres von Fake zu trennen.

WZ I Eva Stanzl

In der Deutschen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, der 1652 gegründeten ältesten naturforschenden Akademie der Welt, werden Sie ab 1. März die erste Frau an der Spitze und die erste Präsidentin aus der Klasse der Geistes-, Sozial- und Verhaltenswissenschaften sein. Wie erklären Sie sich die Entscheidung der Findungskommission für diese Fachrichtung?

Bettina Rockenbach

Der Schritt würdigt, was die Akademie in der Vergangenheit im Bereich Politik- und Gesellschaftsberatung umgesetzt hat. Die weltweiten Probleme, mit denen wir uns beschäftigen müssen, können nur fachübergreifend angegangen werden und brauchen darum auch Kompetenz aus den Sozial- und Geisteswissenschaften, um diese Themen umfänglich zu adressieren. Dass die Wahl auf mich fiel, ist auch eine Anerkennung dessen.

Wir müssen wissenschaftliche Erkenntnisse auf Social Media vermitteln.

Bettina Rockenbach

WZ I Eva Stanzl

Die Leopoldina ist eine der ersten Adressen in Deutschland für den unabhängigen wissenschaftlichen Diskurs. Sie will erreichen, dass die wissenschaftliche Diskussion zu gesellschaftlichen Herausforderungen und Handlungsoptionen noch stärker in die Politik und die Gesellschaft einfließt. Wie machen Sie das?

Bettina Rockenbach

Wir beschäftigen uns mit aktuellen Problemen und versuchen auch, künftige Themen bestmöglich zu antizipieren. Natürlich haben wir keine Glaskugel und viele Ereignisse kommen in ihrem Zeitpunkt oder ihrem Ausmaß unerwartet – nehmen wir die Covid-Pandemie, den russischen Angriffskrieg und in Folge die Frage der Energiesicherheit. Eine wichtige Aufgabe der Leopoldina ist es daher, wissenschaftsbasierte Handlungsoptionen aufzuzeigen.

WZ I Eva Stanzl

Welche konkreten Ideen haben Sie dazu?

Bettina Rockenbach

Social Media sind sehr wichtig, vor allem für junge Menschen. Wir müssen wissenschaftliche Erkenntnisse dort vermitteln. Dabei ist wichtig, dass wir in der Kürze der Formate die wissenschaftliche Sorgfalt und Präzision nicht vernachlässigen.

WZ I Eva Stanzl

Und wie wollen Sie Wissenschaften für junge Menschen aufbereiten?

Bettina Rockenbach

Neben Social Media sind Kurzvideos wichtig, die Themen in drei, fünf oder sieben Minuten klar aufbereiten. Außerdem können Factsheets verständlich machen, worum es in bestimmten Thematiken der Forschung konkret geht. Auch der wissenschaftliche Erkenntnisprozess muss transparent gemacht werden. Wie Wissenschaft arbeitet und wie Erkenntnisse den bestehenden Wissensstand verändern. Allerdings können wir natürlich nicht alles, was so gepostet wird, beobachten und kommentieren. Die jungen Menschen müssen in die Lage versetzt werden, dies selbst zu beurteilen. Eine große Aufgabe.

WZ I Eva Stanzl

Wie sehen Sie die Rolle von Frauen in der Forschung: Haben sie endlich die gleichen Chancen wie Männer?

Bettina Rockenbach

Die Herstellung von Chancengleichheit ist eine extrem wichtige Aufgabe, der sich Akademien und Universitäten in den letzten Jahren auch angenommen haben. Wir sind da noch nicht am Ziel, auch nicht, was die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen betrifft, aber auf einem guten Weg. Zusätzlich zu dieser institutionellen Förderung ist aber auch wichtig, dass wir Frauen ermutigen, sich das zuzutrauen. Dazu können insbesondere Frauen in Leitungspositionen als Rollenmodelle sehr hilfreich sein.

WZ I Eva Stanzl

War es für Sie schwer oder leicht?

Bettina Rockenbach

Bei allen Menschen gibt es Rückschläge. Davon darf man sich nicht entmutigen lassen, sondern man muss seine Vorstellungen weiterverfolgen und im Speziellen als Nachwuchswissenschaftlerin Chancen erkennen, und sich getrauen, sie wahrzunehmen. Für mich ist es wichtig, ein Ziel vor Augen zu haben, und zu wissen, in welche Richtung ich gehen möchte.


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Infos und Quellen

Genese

Die Interviewmöglichkeit kam am Rand des alljährlichen Journalistenkollegs der Leopoldina in Wien zustande und der Interviewtermin wurde genau zum jetzigen brisanten Zeitpunkt steigender Wissenschaftsfeindlichkeit angesetzt. Dieser setzt die deutsche Akademie der Naturwissenschaften Leopoldina evidenzbasierte Politikberatung entgegen.


© Fotocredit: Anna Kolata

Gesprächspartnerin

Bettina Rockenbach, geboren am 26. Oktober 1963 in Köln, ist eine deutsche Wirtschaftswissenschaftlerin und die designierte Präsidentin der deutschen Akademie für Naturwissenschaften Leopoldina. Am 1. März tritt sie ihr Amt an.

Rockenbach studierte Mathematik, Volkswirtschaftslehre und Informatik an der Universität Bonn und schloss mit dem Diplom in Mathematik ab. Von 1988 bis 1999 arbeitete sie als Assistentin des Nobelpreisträgers Reinhard Selten an der Universität Bonn. Ihre Habilitation, die sie 1999 mit einer Arbeit zu Experimental and Theoretical Contributions to Decision Making in Financial Asset Markets abschloss, erfolgte ebenfalls bei Reinhard Selten in Bonn. 2000 folgte sie einem Ruf an den Lehrstuhl für Mikroökonomie der Universität Erfurt. Von 2006 bis 2008 Dekanin der Staatswissenschaftlichen Fakultät und von 2008 bis 2011 Erste Vizepräsidentin und Vizepräsidentin für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs. Von Oktober 2012 bis März 2015 war Rockenbach Forschungsdekanin an der WiSo-Fakultät und von April 2015 bis Oktober 2023 Erste Prorektorin und Prorektorin für Forschung der Universität zu Köln.

Daten und Fakten

Die 1652 gegründete Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina ist mit ihren rund 1.700 Mitgliedern aus nahezu allen Wissenschaftsbereichen eine klassische Gelehrtengesellschaft. Sie wurde 2008 zur Nationalen Akademie der Wissenschaften Deutschlands ernannt. In dieser Funktion hat sie zwei besondere Aufgaben: die Vertretung der deutschen Wissenschaft im Ausland sowie die Beratung von Politik und Öffentlichkeit. https://www.leopoldina.org/ueber-uns/ueber-die-leopoldina/leitbild-der-leopoldina/

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