Der Anteil der wahlberechtigten Erwachsenen ist auf einem historischen Tiefpunkt.
Auch wenn man es nicht wirklich merkt: Wir sind gerade in der heißen Phase vor der Nationalratswahl – zumindest verwaltungstechnisch. Laut Nationalratswahlordnung sind „spätestens am 44. Tag vor dem Wahltag“ die Bundeswahlvorschläge abzuschließen und auf der Homepage des Innenministeriums kundzumachen. (Allen, die noch zu Wahlrechts-Nerds werden wollen, empfehle ich übrigens den handlichen Wahlkalender des BMI, der alle Fristen und Meilensteine vor, während und nach der Wahl zusammenfasst.)
6,343.976 Wahlberechtigte
Was vorläufig bereits feststeht, ist die Zahl der Wahlberechtigten. Stimmt schon, wie wir alle wissen, können noch bis kommende Woche Wähler:innenverzeichnisse korrigiert werden, womit sich die endgültige Anzahl der Menschen, die im September über den nächsten Nationalrat entscheidet, noch ein wenig verschieben kann – aber im Großen und Ganzen wird sich an den 6,343.976 Wahlberechtigten nichts mehr ändern. Ein guter Anlass, die Zahl ein bisschen in Kontext zu setzen.
Das Innenministerium weist in seiner vorläufigen Zahl auch den Vergleich zur letzten Nationalratswahl aus – 2019 waren insgesamt noch 6,396.812 Bürger:innen aufgerufen, ihre Stimme abzugeben, mehr als 50.000 Menschen mehr als heuer. Gleichzeitig ist Österreich aber in diesem Zeitraum deutlich an Einwohner:innen gewachsen – von Jahresbeginn 2019 zu Jahresbeginn 2024 um fast 300.000 Menschen, von 8,86 auf 9,16 Millionen. Also: Wahlberechtigte minus 50.000, Einwohner:innen plus 300.000 im selben Zeitraum.
Die Ursache dafür liegt darin, dass Österreich zuletzt praktisch nur noch durch Zuwanderung gewachsen ist: Während ausreichend Ausländer:innen dazukommen, um die Bevölkerung als Ganzes wachsen zu lassen, sinkt die Zahl der Staatsbürger:innen in Österreich seit 2008 kontinuierlich. 2019 waren noch 7,42 Millionen Menschen in Österreich Österreicher:innen, heuer nur noch 7,36 Millionen. (Von denen ein großer Teil zu jung ist, um wählen zu dürfen, woraus sich die Zahl der 6,34 Millionen Wahlberechtigten – darunter auch rund 60.000 im Ausland – ergibt.)
Zahl der Wahlberechtigten sinkt
Wenn wir uns die Entwicklung der Wähler:innenschaft in den vergangenen Jahrzehnten anschauen, sieht das so aus:
Wir sehen: Nach einem langen Plateau bei den Nationalratswahlen 2013, 2017 und 2019 sinkt die Zahl der Wahlberechtigten heuer zum ersten Mal deutlich.
Dass die Schere zwischen Wahlberechtigten und Gesamtbevölkerung aufgeht, sieht man, wenn man sich ausrechnet, wie viele von 100 Menschen in Österreich bei einer bestimmten Nationalratswahl wählen durften:
Die Auswirkung der Babyboomer
Für sich genommen schaut das nicht dramatisch aus: Mit einem Anteil von 69 Prozent der Wahlberechtigten an der Gesamtbevölkerung liegen wir 2024 zwar unter jenem in den letzten 40 Jahren, bis in die 1970er war es aber so, dass ein noch geringerer Anteil über die Zusammensetzung des Nationalrats bestimmen durfte.
Das ist aber bis zu einem gewissen Grad ein Trugschluss – denn damals war Österreich einfach ein weit jüngeres Land als heute: Bis die Babyboomer in den 70er- und 80er-Jahren volljährig und damit wahlberechtigt wurden, drückten sie als zahlenmäßig größte Generation den Anteil der Wahlberechtigten nach unten.
Anteil an aktivem Wahlalter
Verfeinern wir die Zahlen also noch ein bisschen mehr: Aus der dynamischen Darstellung der Bevölkerungspyramide in den vergangenen Jahrzehnten holen wir uns die Zahl der Menschen in jedem Wahljahr, die 16 oder älter sind und damit heute in aktivem Wahlalter wären. So sieht der Anteil der Wahlberechtigten an den über-16-Jährigen im Land aus:
Aus dieser Perspektive zeigt sich deutlich: Der Anteil der Wählerschaft an allen Über-16-Jährigen im Land ist so niedrig wie nie zuvor in den vergangenen 70 Jahren. (Man sieht auch, dass die Politik den bereits zur Jahrtausendwende begonnenen Trend mit der Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre 2008 noch einmal kurz umgekehrt hat.)
Kurzfristig ist das ja kein großes Problem – aber langfristig kann man ein weites Auseinanderklaffen zwischen Wählerschaft und Bevölkerung durchaus als Mangel an demokratischer Legitimation sehen. Lösungsansätze dagegen – etwa die Ausweitung des Wahlrechts auf Nicht-Staatsbürger, die Vereinfachung des Zugangs zur Staatsbürgerschaft oder die Eindämmung der Migration nach Österreich – sind allesamt hoch umstritten.
Das sollten wir im Auge behalten.
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Infos und Quellen
Genese
Innenpolitik-Journalist Georg Renner erklärt einmal in der Woche in seinem Newsletter die Zusammenhänge der österreichischen Politik. Gründlich, verständlich und bis ins Detail. Der Newsletter erscheint immer am Donnerstag, ihr könnt ihn hier abonnieren. Renner liebt Statistiken und Studien, parlamentarische Anfragebeantwortungen und Ministerratsvorträge, Gesetzes- und Verordnungstexte.