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Die Jungen zu bewundern, schadet uns als Gesellschaft

von Max

Es genügt ein Stichwort – Gendern, Klimawandel oder Thomas Gottschalk – und ein launiges Beisammensein mündet im emotionalen Wortgefecht. Besonders groß scheint die Kluft zwischen den unterschiedlichen Generationen zu sein, die einander so gar nicht verstehen wollen oder können. Warum das so ist, weiß Generationenforscher und Autor Rüdiger Maas. Und schrieb darüber sein neues Buch. 

Im ausführlichen KURIER-Interview verrät er, warum die Jungen technisch gar nicht versierter sind, die Älteren aufhören müssen, jedem Jugendtrend hinterherzuspringen und sie sich eingestehen sollten, die Jungen zu kopieren. „Wir heben die Jungen auf ein Podest“, ist Maas sicher. Doch dieses Podest tut der Gesellschaft nicht gut.

KURIER: Kommen unterschiedliche Generationen an einem Ort zusammen, kann es knallen. Es genügt ein Stichwort und eine emotional aufgeladene Debatte entsteht. Warum ist das so?

Rüdiger Maas: Nehmen wir das Gendern her. Hier darf man nicht vergessen, dass ältere Menschen jahrzehntelang ohne Gendern gesprochen haben. Dass das für sie fremd klingt, liegt also in der Natur der Sache. Oder auch Thomas Gottschalk – er ist in einer Zeit berühmt geworden, in der er nicht so negativ aufgefallen ist, wie das heute der Fall ist. Er scheint stehen geblieben zu sein und die Zeit um ihn herum hat sich bewegt. Wenn wir aber ihn und alles rundherum schlechtreden, reden wir immer auch die Vergangenheit der Älteren schlecht. Wir nehmen ein Stück Erinnerungsvermögen, ein Stück Geschichte. Das lässt sich niemand gerne nehmen, weil es bedeutet, einen Teil oder gar das ganze Leben hinterfragen zu müssen.

Passiert das den Jüngeren auch?

Jüngere Menschen tun sich viel leichter, weil es nichts zu hinterfragen gibt. Sie kennen ja nur die moderne Welt.

Trotzdem sagen Sie: Es gibt keinen Konflikt zwischen den Generationen. Wie das?

Weil wir noch nie so ein großes Verständnis füreinander hatten. Eltern versuchen, ihre Kinder zu verstehen, Ältere die Jüngeren und umgekehrt. Für einen Konflikt muss ich auf derselben Ebene kommunizieren, das machen wir aber nicht. Wir reden an vielen Punkten aneinander vorbei, verstehen nicht, was der andere meint. Dann habe ich eher einen Konflikt mit mir selbst als mit der Umwelt.

Verstehen sich Generationen, die nah beieinanderliegen, tendenziell besser ?

Man wäre geneigt, das zu glauben. Aber nehmen wir die Generation Y. Als diese auf den Arbeitsmarkt kam, war es angebracht, sich sehr intrinsisch motiviert zu geben. Man machte ‚freiwillig‘ Überstunden, unbezahlte Praktika. Da ist die Generation Z, die danach kam, das Gegenteil davon. Die 68er-Bewegung wiederum hat stark rebelliert, das haben wir bei ‚Friday’s for Future‘ auch gesehen. Da lagen ganz viele Generationen dazwischen.

In Ihrem neuen Buch beleuchten Sie, warum wir so sind, wie wir sind. Die arbeitsfleißigen Boomer, die vermeintlich Freizeit-liebende Gen Z. Ist das alles historisch gewachsen?

Ja, aber das ist nur ein Mosaikstein. Die Arbeitswelt damals verlangte ein ‚fleißig sein‘ ab, es ging quasi gar nicht anders. Daraus nun retrospektiv rückzuschließen, die seien alle fleißig gewesen, zeichnet nicht das ganze Bild. Zudem haben wir unterschiedliche Gene, Persönlichkeiten und wir nehmen die Historie alle unterschiedlich wahr. Erlebe ich den Krieg an der Front oder Zuhause, ist das ein riesiger Unterschied. Historisch war es auch wichtig, ob man ein Mann oder eine Frau ist. Die Generationengeschichte ist nur ein weiterer Baustein von vielen.

Welcher ist der wichtigste Baustein?

Es ist nicht das Geburtsjahr, sondern unsere unmittelbare Umgebung. Die Familie, ob ich Geschwister habe oder Einzelkind bin, arm oder reich. Wo ich aufgewachsen bin, am Land oder in der Stadt.

Gibt es trotzdem eine Generation, die sich einfacher typisieren lässt als andere?

Die Gen Z durch Social Media. Sie kann sich ihr Leben ohne Internet nicht mehr vorstellen. Wir haben eine Handyflächendeckung von 99,7 Prozent. Die Jungen verbringen zumindest vier Stunden am Tag auf Social Media, 95 bis 97 Prozent folgen Influencern. Das sind homogene Werte, wo wir erkennen: Da passiert etwas.

Langeweile gibt es heute nicht mehr. Wann ich will, wo ich will, ist die Devise. Macht uns das zu schlechteren Menschen? 

Empfindet ein junger Mensch heute Langeweile, ist es für ihn selbstverständlich, external bespielt zu werden. Das macht die Jungen insgesamt eher zu passiven Menschen und zu jemandem, der fordert und nicht mehr sein Handlungsspielfeld wahrnimmt. Also zu einem unfähigeren Menschen, weil die Hilflosigkeit immer stärker wird. Die dadurch bedingte Frustrationsintoleranz führt am Ende zu einer geringeren intrinsischen Motivation, Fantasie und Empathie. All das spielt hinein und wird sehr stark unterschätzt – immer noch.

Sollten wir auf der Hut sein? 

Ich glaube, dass die Mechanismen von Social Media total unterschätzt werden. Und dass wir Erwachsene keine guten Vorbilder sind. Das sind Dinge, die erst in zehn, zwanzig Jahren so richtig zum Vorschein kommen und die junge Generation Spätfolgen haben wird, die wir jetzt noch nicht abschätzen können.

Soziale Medien werden längst nicht mehr nur von den Jungen genutzt. Die Älteren springen genauso auf den Zug auf. 

Das ist genau das Problem. Wir forcieren ja all das, sind selbst ständig am Handy und am Ende neidisch keine Reichweite auf Social Media zu haben. Wir werden zwar biologisch immer älter und haben aber immer weniger Lust, alt zu sein. Ältere fühlen sich jünger, blicken immer mehr auf die Jahrgänge unter ihnen. Damit heben sie die Jüngeren vermehrt auf ein Podest. Plötzlich kolonialisieren die Älteren die Jugendräume, nutzen TikTok, das eigentlich für 14-Jährige war. Und man weiß genau: Kommt ein neuer Jugendtrend, springen die Alten sofort hinterher. Dadurch kann man sie gar nicht mehr ernst nehmen. Sie bewundern die Jungen so sehr, dass sie sie nacheifern.

Wäre es besser, Räume wie TikTok gar nicht zu betreten? Dann riskiert man doch noch schneller, den Anschluss zu verlieren. Oder nicht zu wissen, ob das eigene Kind dort sicher unterwegs ist.

Wenn wir das machen, müssen wir eingestehen, dass wir die Jungen kopieren und bewundern und nicht blöd finden, was sie machen. Das ist ein Widerspruch.

Bei all der Bewunderung wird den Jungen trotzdem seit Sokrates unterstellt, faul zu sein. Wie gibt es das? 

Sokrates hat das gesagt, Platon hat es wiederholt und dann hat es auch Aristoteles gesagt. Das ging bis in die Neuzeit, aber heute machen wir das nicht mehr. Unternehmen wollen wissen, wie die Jungen ticken, was man für sie machen kann. Dadurch haben wir auch einen Rollentausch. Wir verlassen radikal eine jahrtausendealte Tradition, dass Alte über Jüngere schimpfen.

Widerlegen wir damit die These der großen Denker?

Sie waren keine Idioten, sie wussten, dass das, was sie sagen, nicht für alle gilt. Aber ihnen war herzlich egal, wie die Jungen ticken. Sie waren Lehrmeister, Junge kamen zu ihnen, um zu lernen. Genau diesen Weg verlassen wir. Wir gehen davon aus: Jetzt kommen die Jungen und die können uns etwas erklären. Dabei gibt es nichts, was sich die Alten nicht innerhalb kürzester Zeit selbst anlernen könnten. Beziehungsweise im Idealfall den Jungen beibringen könnten, natürlich auch im Digitalen.

Aber technisch sind die Jüngeren doch meist versierter. 

85 Prozent des Digitalkonsums der Generation Z ist passiver Konsum auf Social Media. Der besteht aus Wischen und Liken, da gibt es überhaupt keinen digitalen Vorsprung, den reden wir uns ein. Da kommen keine Spitzen-Programmierer mit IT-Superverständnis raus. Sie wachsen intuitiv damit auf. Ältere haben ja auch nie hinterfragt, wie der Fernseher funktioniert. Sie haben es abgeschaut und zigfach wiederholt, so wie die jungen intuitiv Apps benutzen, die bewusst intuitiv aufgebaut sind. Aber die Älteren hatten keine Eltern, die danebenstanden und sie beim Fernsehen bewundert haben.

Dieses glorifizierende Gehabe tut uns als Gesellschaft also nicht gut. 

Überhaupt nicht. Weil wir es ja gar nicht ehrlich meinen. Wir bieten Jungen die Möglichkeit, in Talkshows zu sprechen, und sagen dann, Wow, die sind ganz schön selbstbewusst. Das ist ein Trugschluss, wir geben ja die Plattform, um sich selbstbewusst darzustellen.

Yes Publishing, 240 Seiten, 23.50 Euro

Nutzen die Jungen das aus? 

Ausnutzen wäre eine bewusste Handlung. Es passiert unbewusst, denn sie kennen es ja gar nicht anders.

Was wissen wir über die nächste Generation, die kommt? Die Betas? 

Es wird ein bisschen dystop. Wir werden davon ausgehen, dass diese Kinder nie Langeweile kennenlernen dürfen. Die Hälfte aller jetzigen Jobs wird es nicht mehr geben, also werden sie mit hoher Wahrscheinlichkeit Jobs machen, wo es noch keine Erfahrungswerte gibt. Dadurch treten sie ganz anders in den Arbeitsmarkt ein. Da gibt es niemanden, der ihnen etwas erklären kann. Wir werden immer weniger Kinder haben, die Menschen werden älter. Die Generation Beta wächst also in einer Welt auf, wo die Mehrzahl der Menschen alt ist. Egal wo die Kinder sind, auf Kinderspielplätzen, im Urlaub, alte Menschen sind immer in der Überzahl. Die Betas werden Eltern haben, die mit den Sozialen Medien groß geworden sind, es wird sich alles sehr stark potenzieren.

Klingt erschreckend. 

Wir streben da hin, wir wollen es ja so. Niemand wird gezwungen, Soziale Medien zu nutzen. Die nächste Generation wird mit KI-Algorithmen groß, das ist erst einmal etwas Unnatürliches. Wir Menschen sind ja keine Homo Digitalis, die digital auf die Welt kommen. Wir sind immer noch Lebewesen, die alles analog lernen müssen. Brauchen wir aber künftig Apps, um die Apps zu verstehen, wird alles unnatürlicher, abstrakter. Da kann sich jeder vorstellen, wohin die Reise geht.

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