Sauberer Lebenslauf, gute, oder zumindest ordentlich angestreberte Fachkenntnisse, politisches Geschick: Nach diesen Kriterien klopft das EU-Parlament das Team der neuen EU–Kommission ab – auf dem Papier zumindest. Denn am Ende eines rund dreiwöchigen politischen Stellungskrieges steht vor allem eines fest: Um Inhalte und Fähigkeiten ging es bei diesem Prozess nicht, sondern um ein quälendes Tauziehen zwischen den Lagern im EU-Parlament.
An dessen Ende steht nun – so weit sickerte das am Mittwoch in Brüssel bereits durch – unverändert genau das Team, das die Kommissionspräsidentin ins Rennen geschickt hat. Damit ist auch der Weg für den amtierenden Finanzminister Magnus Brunner zum neuen Kommissar für Migration frei. Die formale Bestätigung per Abstimmung folgt nun voraussichtlich nächste Woche vor dem Plenum des EU-Parlaments in Straßburg. Damit kann die neue EU-Kommission wie geplant am 1. Dezember starten. Von einem „Deal“ sprachen die Verhandler nach dem Abschluss.
Tauschhandel
Beschädigt hat sich dabei vor allem das EU-Parlament, das einen ernsthaften demokratischen Prozess zu einem politischen Tauschhandel verkommen ließ. Während die 26 designierten Mitglieder des neuen Teams von Ursula von der Leyen vor den Ausschüssen des EU-Parlaments versuchten, nur ja jeder aussagekräftigen Antwort auszuweichen, eskalierte hinter den Kulissen der Konflikt zwischen den Christdemokraten der EVP. Um Italien, immerhin die drittgrößte Wirtschaftsmacht der EU, einen gewichtigen Platz in der EU-Kommission einzuräumen, wurde Italiens Quasi-Europaminister Raffaele Fitto als Vizepräsident der Kommission in Stellung gebracht.
Der aber ist Parteikollege von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, also Mitglied der rechtspopulistischen Fratelli d’Italia. Die gehören im EU-Parlament zur rechtskonservativen EKR-Fraktion. Für die Sozialdemokraten war Fitto damit als Vizepräsident untragbar. Die EVP aber stellte sich hinter ihn.
Im Gegenzug machte die EVP, inzwischen stärkste Fraktion im EU-Parlament, gegen die Frontfrau der Sozialdemokraten mobil: Die Spanierin Teresa Ribera. Bisher Ministerin für Ökologie in Madrid soll sie in der EU-Kommission ebenfalls die Position eines Vizepräsidenten bekommen – und dazu wichtige Themen wie Wettbewerbsfähigkeit und ökologischer Umbau der Wirtschaft. Angetrieben von Spaniens Konservativen ging die EVP gegen Ribera in Stellung. Im Mittelpunkt stand der Vorwurf, dass Ribera als zuständige Ministerin nach der Flutkatastrophe in Valencia im Oktober zu spät gehandelt habe. Ribera musste sich am Mittwoch vor dem Parlament in Madrid rechtfertigen. Grund genug für die EVP in Brüssel, sie zumindest vorerst für nicht amtsfähig zu erklären. Der dritte Problemkandidat der neuen Kommission: Der Ungar Oliver Varhelyi. Der gilt nicht nur für seine zukünftige Aufgabe als Tierschutzkommissar als denkbar ungeeignet, sondern als enger Vertrauter von Premier Viktor Orban als politisch schwierig.
Kompromiss
Über Tage ist das Tauziehen hinter den Kulissen nun gelaufen. Schließlich scheinen sich die Konfliktparteien darauf verständigt zu haben, alle drei umstrittenen Kandidaten in ihren geplanten Positionen zu belassen – und das, nachdem man sie über Wochen jeweils als untragbar abqualifiziert. hatte. Mittwoch Abend war dieser Kompromiss endlich ausgedealt. Begleitet wurde er vor allem von Schuldzuweisungen an die jeweils andere Fraktion. Für das Tauziehen, das viele im Parlament im Hintergrund als schäbig bezeichnen, will keiner verantwortlich sein.
ÖVP-Delegationsleiter Reinhold Lopatka begrüßte die Einigung. „Europa befindet sich inmitten von beispiellosen wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Herausforderungen, die wir nur bewältigen können, wenn wir handlungsfähig sind und gemeinsam vorgehen. Daher ist es eine gute Nachricht, dass die neue EU-Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen rasch ihre Arbeit aufnehmen kann.“