Warum Atomkraft niemals wieder beliebt werden darf, egal wie „klimafreundlich“.
Letzte Woche war ich auf Urlaub in Kroatien, wir waren zu sechst und hatten ein Haus in der Altstadt gemietet, die Autos standen im Garten von Freund:innen, die etwas außerhalb des Ortes ein eigenes Haus besitzen. B., die Freundin mit dem eigenen Haus, ist eine blitzgescheite Frau, die aber gern mal das eine oder andere Detail vergisst. Eines Abends bekam ich von ihr eine Nachricht: „Die Nuklearanlage brennt!“ Mehr nicht. Einfach nur: „Die Nuklearanlage brennt!“ Panik stieg in mir auf.
Unauffällig machte ich alle Fenster im Haus zu, dachte, wie mach ich das jetzt, wie komm ich an das Auto, dafür müsst ich eine halbe Stunde zu Fuß durch den Ort, wo krieg ich jetzt bitte Jodtabletten, ohne die anderen nervös zu machen – und ich versuchte, B. zu erreichen. Zweimal schnappte das Handy ab, jedes Mal wurde ich nervöser. Dann erreichte ich ihren Mann. Der meinte auf meine Frage, welches Atomkraftwerk in Kroatien brennt, mah, B. verbreite schon wieder Panik, es geht um Saporischschja, das AKW in der Ukraine, das seit Beginn des Kriegs immer wieder in den Medien landet, weil es am Gelände Schießereien und kleine Feuer gab.
Kurz war Erleichterung da – und die Feststellung, dass ich in meiner Panik ein bissl dumm reagiert habe, ich hätte ja auch einfach auf eine Nachrichtenwebsite schauen können, überall stand es groß da: Das bereits seit Monaten heruntergefahrene AKW Saporischschja brennt. Das war nicht ganz ungefährlich, aber für den Moment ging keine erhöhte Strahlengefahr davon aus, berichteten internationale Medien übereinstimmend.
Atomkraft wird wieder beliebter
Einen Tag später lachten wir bereits darüber, sowohl über B.s Weglassen von etwas relevanteren Informationen als auch über mein nur so semi-schlaues Verhalten (aber hey, ich habe die Fenster gleich zugemacht!). Aber so lustig ist das alles eigentlich nicht. Auch wenn Physiker:innen gerade in den letzten Jahren immer wieder pro Atomkraft argumentieren und dabei auch spannende Punkte bringen – die Energieproduktion mittels Kernspaltung ist CO2-neutral (was so auch nicht wirklich stimmt, mehr dazu in den Quellen), in Zeiten des Klimawandels sicherlich ein Pro-Argument, darf man eines nie vergessen:
Atomkraft ist gekommen, um zu bleiben – auf die schlechtestmögliche Art. Es war 1986, als ebenfalls in der Ukraine das AKW Tschernobyl explodierte und hohe Mengen an Strahlung freisetzte. Diese Strahlung sorgte dafür, dass nicht nur alle zu dem Unfall gerufenen Arbeiter starben, sondern auch, dass die angrenzende Stadt Prypjat evakuiert wurde. Während ich mich daran erinnern kann, dass ich im Osterurlaub im Salzkammergut (wo blöderweise auch Strahlung hingelangte) super Malsachen bekam, um drinnen beschäftigt zu sein, verloren 50.000 Menschen auf einen Schlag ihr Zuhause, viele davon noch Jahre später ihr Leben – der häufigste Langzeitschaden der Strahlung ist Krebs.
Über das AKW Tschernobyl wurde ein riesiger Sarkophag gebaut, die Gegend wurde sich selbst überlassen. Abgesehen von ein bisschen Katastrophentourismus, der in den vergangenen Jahren beliebter wurde, blieb die Gegend absolutes Sperrgebiet. Zu Beginn des Kriegs schlugen russische Soldaten im Wald bei Tschernobyl ihr Lager auf, man kann davon ausgehen: Das werden sie in einigen Jahren sehr bereuen, ihr Krebs-Schicksal scheint heute schon besiegelt.
Neun AKWs an Österreichs Grenzen
Doch nicht nur in der Ukraine stehen Atomkraftwerke. Rund um Österreich – teilweise nur wenige Kilometer von der Grenze entfernt, stehen neun aktive AKWs. Besonders unrund macht mich das AKW Dukovany in der Nähe von Brünn in Tschechien. Knappe 30 Kilometer von der österreichischen Grenze – zum Vergleich, das Sperrgebiet rund um Tschernobyl beträgt 4.300 Quadratkilometer – steht ein Schrottreaktor, der über kein zweites Containment verfügt, also genauso hochgehen kann wie der Unglücksreaktor 1986, und der über viel zu wenige Wasserquellen verfügt, die im Notfall schnell zur Kühlung beitragen können. GLOBAL 2000 schreibt: „Um die Reaktoren vor der Überhitzung zu schützen, werden pro Minute ca. 83.000 Liter Wasser benötigt. Das sind rund 415 Badewannen voll Wasser pro Minute. Die einzige Wasserquelle, die hierfür zu Verfügung steht, ist der kleine Fluss Jihlava.“ Ein Damoklesschwert also.
Meine kurzfristige Panik stammte also sicherlich nicht nur aus meinen subjektiven Erfahrungen – bei Tschernobyl war ich keine fünf Jahre alt, kann mich aber trotzdem erinnern, und auch Fukushima im Jahr 2011 hat sich eingeprägt bei mir –, sondern auch aus meinem Wissen, das ich in meiner Zeit als Pressesprecherin bei GLOBAL 2000 ansammelte. Aber habe ich deshalb einen Tunnelblick, fokussiert auf die Gefahren? Sehe ich es zu einseitig? Falls jetzt jemand denkt, ok, es gibt hunderte AKWs weltweit, und zweimal ist halt was passiert, jo mei, so gefährlich ist das alles nicht, dem oder der darf ich ein kleines Wörtchen ans Herz legen: Atommüll.
Bei der Energieerzeugung in einem AKW kommt es nämlich zu tonnenweise radioaktivem Abfall. Diese Strahlung kann man nicht entfernen, sie bleibt auf Jahrhunderte, nein, sogar Jahrtausende. Noch hat niemand eine veritable Lösung für diesen Müll, weder hat sich das Eingraben in die Erde als zielführend erwiesen noch die Aufbereitung (die nämlich nur noch mehr Strahlung erzeugt). Ich bin keine Physikerin, kenne mich nicht im Detail aus, aber allein das Thema Atommüll zeigt mir: Atomkraft ist ein No-Go. Normalerweise bin ich ja ein Fan der Einstellung, sich Problemen dann zu stellen, wenn sie sich dir stellen, und nicht schon vorher alles zu zerdenken – aber sorry, wer ein AKW baut, sollte schon vorher einen Plan für das Endlagerungsproblem haben, das absehbar bis in die Ewigkeit bestehen wird.
Nachhaltigkeit als Party-Pooper
Ich weiß, mit einer Nachhaltigkeitskolumne bin ich immer wieder der Party-Pooper, aber in diesem Fall bin ich es nachdrücklich: Das Thema Atomkraft erlebt leider in der EU gerade ein Revival. In der an sich sehr leiwanden Taxonomie-Verordnung der EU, durch die Investitionen in eine nachhaltige Richtung gelenkt werden sollen, steht leider auch Atomkraft als nachhaltige Energiequelle drin, in die man investieren kann. Umweltministerin Leonore Gewessler sowie Umweltschutzorganisationen haben dagegen Klage eingereicht, eine aufschiebende Wirkung hatte diese Klage leider nicht. Noch ist mir kein Ergebnis der Klage bekannt.
So dringend wir alternative Energieerzeugung brauchen, es muss wieder einmal gesagt werden, auch wenn es nicht mehr so sehr im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit steht wie 1986 oder 2011: Atomkraft darf nicht wieder beliebt werden. Atomkraft wird nie grün sein. Lassen wir uns das nicht einreden.
Nunu Kaller schreibt alle zwei Wochen eine Kolumne zum Thema Nachhaltigkeit. Alle Texte findet ihr auch in ihrem Autor:innenprofil.
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