Heute in drei Wochen jährt sich der Hamas-Angriff auf Israel, die Kämpfe dauern an. Die Lage im Gazastreifen ist nach wie vor extrem angespannt – auch, weil Hilfstransporte aufgrund von Blockaden nicht immer über die Grenzübertritte können. „Wir brauchen dringend besseren Zugang“, fordert auch Martin Frick, Direktor des UN-Welternährungsprogrammes (WFP).
KURIER: Herr Frick, wie steht es nach fast einem Jahr Krieg um die Nahrungsmittelversorgung im Gazastreifen?
Martin Frick: Katastrophal. Wir haben lange vor einer Hungersnot im Norden gewarnt. Da hat die Lage sich jetzt zwar etwas entspannt, wir kommen rein und können sogar Hilfslieferungen über den Hafen Aschdod in den Norden des Gazastreifens bringen. Dafür machen wir uns jetzt größte Sorgen um den Süden, weil die Übergänge dort geschlossen sind bzw. nicht funktionieren.
Allgemein könnte sich die Situation bald verschlechtern: In ein paar Wochen beginnt der Winter, über 70 Prozent der Gebäude sind aber mittlerweile zerstört. Viele Familien werden also in Zelten übernachten müssen, zum Teil bei Minusgraden und Dauerregen. Das wird extrem hart. Und: Die Straßen sind in sehr schlechtem Zustand. Wenn das so bleibt und der Regen einsetzt, drohen unsere Hilfstransporter buchstäblich im Dreck stecken zu bleiben.
Welche Herausforderungen machen dem WFP hier am meisten zu schaffen?
Die vielen Evakuierungsbefehle der israelischen Armee, die meist mit nur ein paar Stunden Vorlaufzeit kommen: Gerade haben wir unser drittes und letztes Lagerhaus in Gaza verloren, weil es in einem neuen Evakuierungsgebiet steht. 86 Prozent des Gazastreifens ist Evakuierungsgebiet, sicher ist es aber nirgendwo, wie Angriffe in Schutzzonen zeigen. Neun von zehn Palästinensern wurden vertrieben, manche schon zum dritten, vierten, fünften Mal. Wenn so ein Befehl kommt, müssen wir unsere Suppenküchen, Bäckereien usw. wieder neu aufbauen.
Dazu kommt, dass die Sicherheitslage nach wie vor sehr angespannt ist. Ende August ist eines unserer – deutlich gekennzeichneten und bei den Sicherheitsbehörden angekündigten – Fahrzeuge direkt beschossen worden. Zum Glück war es gepanzert. Gerade erst sind wieder sechs UN-Kollegen bei einem Luftschlag auf eine Schule getötet worden. Insgesamt sind in diesem Konflikt, in dem mittlerweile über 40.000 Menschen gestorben sind, bereits 300 humanitäre Helfer ums Leben gekommen – das hat es in dieser Dimension seit dem 2. Weltkrieg nicht gegeben.
Mehrere UN-Experten werfen Israel vor, bewusst eine Hungersnot im Gazastreifen herbeizuführen. Was sagen Sie dazu?