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Drogen im Abwasser: Viel Schnee in Tirol

von Max

Die jährliche EUDA-Abwasserstudie liefert aufschlussreiche Daten zum europaweiten Drogenkonsum. In Österreich nimmt der Kokainkonsum zu – im Westen wird mehr gekokst als im Osten. Aber kein Grund zur Panik: Europaweit bleiben wir im Mittelfeld.

Unter der Woche wird in Österreich konstant gekifft. Zum Wochenende hin steigt der Konsum von Amphetamin (Speed) und MDMA (Ecstasy) in den Bundeshauptstädten. Der Kokainkonsum erreicht ein Allzeithoch. Am stärksten in Kufstein, wo um rund ein Drittel mehr Kokain konsumiert, wird als in Wien. Platz Zwei holt sich Innsbruck – so viel gekokst wie in Tirol wird nirgendwo sonst in Österreich.

Zu diesem Ergebnis für das Jahr 2024 kommt die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EUDA). Sie untersucht jährlich das Abwasser von 133 europäischen Städten in 29 Ländern auf Drogenrückstände und liefert dabei wichtige Daten zum Konsum illegaler Substanzen. Auch in Österreich werden dafür Wasserproben aus 17 Kläranlagen untersucht.

Die Daten sowie ihre Visualisierungen hat die EUDA unter anderem der WZ exklusiv zur Verfügung gestellt. Geleitet wird die Recherche vom Urban Journalism Network, in Zusammenarbeit mit dem Berliner Tagesspiegel. Neben Kokain, MDMA, Amphetamin und Methamphetamin (Crystal Meth) werden europaweit auch Ketamin- und Cannabisrückstände erfasst – es ist die größte Analyse ihrer Art.

Konsumverhalten: Österreich spiegelt Europa

„Der typische Österreicher trinkt im Schnitt täglich etwas mehr als ein Glas Wein, raucht 3 bis 4 Zigaretten, konsumiert ungefähr 0,07 Joints und rund 1,5 Milligramm an aufputschenden Drogen, hauptsächlich Kokain.“ So beschreibt Herbert Oberacher, Universitätsprofessor an der Medizinischen Universität Innsbruck, den landesweit durchschnittlichen Konsum von Suchtmitteln. Der analytische Chemiker leitet seit 2016 das österreichische Abwassermonitoring und die Zusammenarbeit der mittlerweile 17 Kläranlagen.

Das für Oberacher interessanteste Ergebnis ist, dass sich der europäische Konsum innerhalb Österreichs widerspiegelt. Cannabis ist die am häufigsten konsumierte Droge, die dominierende Stimulanz ist Kokain, gefolgt von Amphetamin und den beiden anderen synthetischen Drogen Methamphetamin und MDMA. So wie in der europaweiten Verteilung zeigen sich auch in Österreich eine Dominanz von Kokain im Westen und Süden sowie ein erhöhter Konsum von Amphetaminen in Norden und Osten.

Für Oberacher spielt Österreich aber bestenfalls im Mittelfeld mit. Das zeigt auch das Ranking: Obwohl der Kokainkonsum in Kufstein Österreich anführt, ist der Abwasserwert im belgischen Antwerpen beinahe viermal so hoch – bislang jährlich steigend. Auch der Amphetamin-Konsum erreicht nur einen Bruchteil der Werte aus Schweden oder Deutschland; österreichweit am höchsten ist er in Ried im Innkreis. Der europaweite Konsum an Methamphetamin dominiert in Tschechien und weitaus mehr MDMA wird in den Niederlanden konsumiert. Europaweit führen nach wie vor Antwerpen und Amsterdam die Ranglisten an. Antwerpen findet sich in den Top-Fünf bei MDMA, Kokain, Amphetamin und Ketamin. Ähnlich Amsterdam, wo allerdings mehr Cannabis als Amphetamin konsumiert wird.

Der im europäischen Vergleich eher niedrige Konsum liegt für Oberacher vor allem an den guten Präventionsmaßnahmen. Er sieht trotz des Anstiegs des Suchtmittelkonsums keinen Grund zur Panik. „Ein gewisser Teil der Bevölkerung konsumiert regelmäßig, aber im gesamteuropäischen Vergleich ist das nicht außergewöhnlich“, sagt Oberacher.

Konsumverhalten: Stimulanzen zum Feiern

Um die Regelmäßigkeit des landesweiten Konsumverhaltens zu analysieren, lohnt sich ein Blick auf die tägliche, durchschnittliche Konzentration von Drogenrückständen im Abwasser.

Dabei zeigt sich, dass Cannabis und Methamphetamin unter der Woche relativ konstant konsumiert wird, was tendenziell für ein hohes Suchtpotential und eine damit einhergehende Regelmäßigkeit des Konsums spricht. Die Abwasserwerte von Kokain und MDMA hingegen erreichen am Wochenende jeweils ihren Höhepunkt.

Dass Drogen auch in Österreich zum Partymachen dazugehören, zeigen sowohl die jeweiligen Grafiken als auch Teilnehmende einer anonymen Befragung der WZ. „Wenn man feiern geht, bekommt man es ja schon fast unter die Nase gehalten“, sagt Dali, der seinen echten Namen hier nicht lesen möchte. Dali sagt, er habe nie schlechte Erfahrungen mit illegalen Substanzen gemacht: „Ich konsumiere regelmäßig Cannabis gegen Schlafstörungen, da ich es lieber nehme als Tabletten. Zum Weggehen Kokain oder MDMA, aber immer seltener, da harte Drogen auf Dauer wirklich nicht gut sind und man schon merkt, dass der Körper irgendwann zu viel hat.“

Dali empfiehlt zwar niemanden, harte, chemische Substanzen zu nehmen, aber: Falls die Neugierde überwiegt, sollte man im Vorfeld recherchieren, „was man da wirklich zu sich nimmt und was es bewirken kann.“

checkit! Wien: Was nehme ich wirklich?

Die Frage, was man am Ende tatsächlich nimmt, stellt sich auch Bettina Hölblinger, Leiterin des Wiener Suchtpräventionsprogramm checkit! Bereits 1997 hat checkit! begonnen, Substanzanalysen vor Ort durchzuführen. „Wir finden heraus, was genau drinnen ist und in welcher Dosierung“, sagt Hölblinger. Damit wollen sie den sogenannten „Recreational-Drug-Usern“, also Menschen, die in der Freizeit Substanzen konsumieren, einen sichereren Umgang ermöglichen.

An die 2500 Proben hat das Suchtpräventionsprogramm im vergangenen Jahr durchgeführt. Die meisten davon waren auf Kokain, MDMA und Amphetamin. Neuerdings wird auch Marihuana auf synthetische Cannabinoide getestet.

„Konsum per se ist einfach niemals risikofrei“, sagt Hölblinger. Dabei lobt die Expertin auch das österreichische Gesundheitssystem: „Wir haben verschiedenste Angebote von der Prävention bis hin zur Behandlung, die kostenfrei über Krankenkassen gedeckt sind. Wir haben eine Substitutionstherapie, vor allem für opiatabhängige Personen.“

Trotz der hohen Anzahl an abgegebenen Proben möchte Hölblinger keine Rückschlüsse darauf ziehen, ob Österreich über die Jahre mehr konsumiert. Für Hölblinger sollte die Abwasseranalyse auch eher in ein Gesamtpaket einfließen. „Um wirklich Aussagen treffen zu können, braucht es die Analyse von Spritzen sowie Bevölkerungsbefragungen“, heißt es von der Expertin.

Heroin und Ketamin: Auch in der Medizin verwendet

Auch Oberacher, Leiter der österreichischen Abwasseranalyse, erwähnt die Schwierigkeit beim Messen gewisser Substanzen. So findet sich beispielsweise Heroin europaweit in keiner Messung: Grund dafür ist seine Verwendung in der Medizin. Oberacher erklärt: „Das verstoffwechselte Endprodukt von Heroin ist Morphin.“

Im Körper wird das Opiat also zu einem Narkotikum. Oberacher sagt zwar, dass er ebenfalls Morphin misst; die Unterscheidung, welches durch Heroinkonsum entstand und welches von einer medizinischen Anwendung kommt, bleibt jedoch schwierig.

Ähnlich verhält es sich bei Ketamin, welches in der Anästhesie verwendet wird. Im Monitoring der EUDA wird Ketamin zwar in einigen Ländern dargestellt, Oberacher bleibt dabei aber vorsichtiger. „Ketamin können wir technisch messen, kein Problem“, sagt der Institutsleiter, „doch wie grenzen wir jetzt den illegalen Konsum vom Medizinischen ab?“

Er möchte erst Klarheit über die Messung, bevor er Ketamin ins österreichische Monitoring aufnimmt. „Mir ist es lieber, zuerst genau zu wissen, was die Aussage eines Parameters ist, anstatt Missverständnisse aus den Daten zu ziehen“, sagt Oberacher.

Eine Verdopplung des Ketamin-Konsums, wie sie beispielsweise in Deutschland gemeldet wird, sollte man deshalb mit Vorsicht betrachten.


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Infos und Quellen

Genese

Die Geschichte entstand in Zusammenarbeit mit dem Berliner Tagesspiegel, dem Urban Journalism Network (UJN) und der Drogenagentur der Europäischen Union (EUDA). Da die WZ seit Anfang 2025 Teil des Urban Journalism Networks ist, erhielten wir die Grafiken und Daten exklusiv.

Gesprächsparter:innen

  • Gaby Khazalová, Projekt-Koordination Urban Journalism Network

  • Herbert Oberacher, promovierter analytischer Chemiker an der Universität Innsbruck. Seit 2003 am Institut für Gerichtliche Medizin. Leitung des forensisch-toxikologischen Forschungslabors. Seit 2020 auch für das Corona-Monitoring zuständig.

  • Bettina Hölblinger, Bereichsleiterin Suchtprävention checkit!

  • Anonyme Gesprächspartner:innen über ihr Konsumverhalten

Daten und Fakten

  • Die neuesten von der EUDA veröffentlichten Daten stammen aus 133 Städten in 29 europäischen Ländern. Zur Erhebung der Daten wurden Abwasserproben über einen Zeitraum von einer Woche zwischen März und Mai 2024 analysiert. Obwohl die meisten Messungen im selben Zeitraum stattfanden, wurde die Teilnahme der einzelnen Städte sorgfältig um lokale Feste und Veranstaltungen herum geplant, um Verzerrungen der Ergebnisse zu vermeiden. Es wurden Abwasserproben von etwa 68,8 Millionen Menschen analysiert.

  • Da die meisten Drogen in den meisten Ländern illegal sind, sind herkömmliche Methoden wie Erhebungen oder Verkaufsstatistiken nicht ausreichend. Daher ist die Abwasseranalyse eine der einzigen Möglichkeiten, den Drogenkonsum in der Bevölkerung zu messen. Nehmen wir Kokain als Beispiel: Wenn es konsumiert wird, baut der Stoffwechsel des Körpers seine chemischen Verbindungen ab. Nach diesem biochemischen Prozess ist Kokain ein Gemisch von Verbindungen, darunter sein Hauptmetabolit: Benzoylecgonin.

  • Diese Metaboliten – und die aller anderen Drogen – landen in der Toilette und gelangen schließlich in die Kanalisation, höchstwahrscheinlich in der Nähe des Ortes, an dem die Droge konsumiert wurde. Über die Kanalisation gelangt das Abwasser in die nächstgelegene Kläranlage, wo Proben entnommen und in einem Labor analysiert werden. Durch die Standardisierung dieses Verfahrens ist es möglich, die Menge der konsumierten Drogen in verschiedenen europäischen Städten zu berechnen.

  • In Österreich wird das Wasser für die Proben aus einem Zulauf zu den 17 Kläranlagen entnommen. Mehrere 10.000 Kubikmeter Abwasser pro Tag fließen in die Kläranlage hinein, wovon innerhalb von 24 Stunden eine Mischprobe über zehn Liter generiert wird. Ins Labor kommen davon 100 Milliliter, für die Analyse reichen 40 Milliliter.

Quellen

Das Thema in der WZ

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