Startseite Kultur Eben noch aß er Känguru-Tartar

Eben noch aß er Känguru-Tartar

von Max

In „Der Einfluss der Fasane“ erzählt die deutsche Buchpreisträgerin Antje Rávik Strubel von den Zerstörungsmechanismen sozialer Medien. Dass ihre Geschichte im Journalistenmilieu angesiedelt ist, ist besonders brisant, denn dieses war zuletzt immer wieder selbst Verleumdung und Hetze ausgesetzt.

Koste es, was es wolle

Hella Karl, Anfang fünfzig, leitet das Feuilleton einer großen Berliner Tageszeitung. Sie hat sich aus einfachen Verhältnissen hochgearbeitet, arbeitet rund um die Uhr und wenn ihr Lebensgefährte sagt, das sei schlecht für sie, antwortet sie: „Nur der Tod ist schlecht für mich“. Sie ist nicht der Typ, der schnell die Contenance verliert. Sie ist „ein Faktenmensch“.

Hella Karls hohe Arbeitsmoral sowie ihre Auffassung von Ethik waren es auch, die ihr sagten: Wenn ein Regisseur und Theaterdirektor seine Macht ausnützt, Mitarbeiterinnen bedrängt, bedroht und zu extremen Schritten bringt, dann muss darüber berichtet werden, koste es, was es wolle. Wenig später nimmt sich der Mann das Leben. Seine Familie, seine engsten Mitarbeiter trauern um ihn.

Gewiss, er war ein Mann aus einer anderen Zeit. Einer, der Mitarbeiterinnen ebenso wie Journalistinnen grundsätzlich duzte und dass es im Keller seines Theaters eine Besetzungscouch gab, war auch kein Geheimnis. Aber. Was für en Genie! Er hatte das Theater wieder sexy gemacht! Und dann kam Hella Karl. Und brachte den Mann zu Fall. Sie schrieb: „Intendant zwingt Schauspielerin zur Abtreibung.“ Das Interview, das sie diesem jungen, präpotenten Redakteur, der ihr Sohn hätte sein sollen, später gab, war vielleicht ein bisschen ungeschickt. Dabei hat sie nichts anderes gesagt, als dass sich die unabhängige Presse nicht von Klickzahlen treiben lassen dürfe und gute Online-Zahlen niemals fundierte Berichterstattung ersetzen dürfe. Doch dann hat sie auf seine anmaßende Fragerei ziemlich trotzig geantwortet und im Nu sind ihre Antworten verkürzt und zum Skandal gemacht worden. Jetzt ist sie das Problem. Die öffentliche, oder besser: die in den sozialen Medien veröffentlichte Meinung ist sich einig – Hella Karls Berichterstattung hat den Mann in den Tod getrieben. Der Rückhalt der Redaktion ist schnell weg. Die Kollegen rücken von ihr ab, die sogenannten sozialen Medien explodieren vor Zorn, sie wird beurlaubt. Die „Hexenjagd“, die man ihr vorwirft, trifft sie nun selbst.

Zerstörerische Macht

Gegen Ende wird dieser bedrückend realistische Plot zu einem regelrechten Krimi: Es ist nicht alles, wie es scheint! Warum etwa hat der berühmte Regisseur vor seinem angeblichen Selbstmord noch Känguru-Tartar gegessen?

Antje Rávik Strubel stellt kluge Fragen dazu, was Journalismus kann, darf und soll. Und trotz des ernsten Hintergrundes der ausufernden, hetzerischen und zerstörenden Macht der sozialen Medien gelingt ihr eine wirklich unterhaltsame Mediensatire.

über uns

Wp logo2

Damit wir Ihnen möglichst schnell weiterhelfen können, bitten wir Sie, je nach Anliegen über die hier genannten Wege mit uns in Kontakt zu treten.

Aktuelle Nachrichten

Newsletter

2020-2022 – Wiener Presse. Alle Rechte vorbehalten