Eigentlich könnte man, rein aus österreichischer Sicht, recht entspannt auf die Verleihung des Literaturnobelpreises am Donnerstag blicken: Seit der Jahrtausendwende wurden mit Elfriede Jelinek (2004) und Peter Handke (2019) gleich zwei heimische Autorinnen bzw. Autoren ausgezeichnet. Und selbst Vorjahressieger Jon Fosse ist irgendwie österreichisch reklamierbar.
Das Nobel-Plansoll für das kleine Land ist also übererfüllt.
Und doch findet sich auch heuer wieder ein Österreicher zwar nicht ganz unter den Top-Ten bei den Wettquoten, aber knapp dahinter auf Platz 11.
Mit einer Quote von 20/1 wird bei Ladbrokes nämlich der in Hamburg lebende Tiroler Norbert Gstrein angeführt. Der schlägt damit literarische Weltstars wie Mircea Cartarescu, Salman Rushdie und Karl Ove Knausgård. Und das ist dann doch eine kleine Vorab-Überraschung. Gstreins Romane und Erzählungen sind viel gelobte Meisterstücke, auf der Nobelpreisliste ist er aber neu.
Gstrein, am 3. Juni 1961 in Mils in Tirol geboren, ist für sein literarisches Werk bereits vielfach ausgezeichnet worden, u.a. mit dem Alfred-Döblin-Preis, dem Uwe-Johnson-Preis und dem Österreichischen Buchpreis. Er schrieb Romane wie „Als ich jung war“, „Eine Ahnung vom Anfang“, „In der freien Welt“ und „Die kommenden Jahre“. Seine Werke sind geprägt von sich immer wieder selbst korrigierenden und ergänzenden Erzählperspektiven.
Wie vertrauenswürdig die Wettquoten zum Liternaturnobelpreis sind? Eine Antwort: Die heurige Favoritin, Can Xue, war schon letztes Jahr Favoritin. Und der dieses Jahr Drittplatzierte Haruki Murakami war schon auf vielen Nobelpreislisten – und etwa letztes Jahr auch als Dritter. Der Australier Gerald Murnane ist gesetzt auf Platz zwei. Der vielfach ausgezeichnete und etwa mit Franz Kafka oder Thomas Bernhard verglichene Autor von zwölf Romanen, Erzählungsbänden und Essays (zuletzt erschien auf Deutsch 2022 sein Roman über Sehnsucht und Schuld „Inland“) gilt seit vielen Jahren als nobelpreisverdächtig, schreibt die APA.
Die Avantgarde-Autorin Can Xue – die unter Pseudonym schreibende chinesische Autorin Deng Xiaohua – kam mit experimenteller Literatur zu viel Anerkennung, obwohl sie aus einer vom Regime geächteten Familie aufwuchs und nur eine grundlegende Schulausbildung genossen hat. Für eine breite Öffentlichkeit gälte es, wie so oft beim Nobelpreis, ihr Werk erst zu entdecken. Der Verlag Matthes & Seitz Berlin bringt Can Xues jüngsten Prosaband „Schattenvolk“ heraus – angekündigt als „eine atemberaubende Reise durch innere und äußere Landschaften“.
Ebenfalls alte Bekannte bei den Spekulationen sind die Literatur-Weltstars Margaret Atwood und Thomas Pynchon (Quote: je 16/1). Für Atwood würden, neben ihrem wirklich herausragenden Werk, auch die politischen Umstände sprechen: Es ist der letzte Literaturnobelpreis vor einer eventuellen Wiederwahl von Donald Trump. Atwoods dystopisches Werk (insbesondere „Der Report der Magd“) wird derzeit im US-Wahlkampf immer wieder als Warnung vor einem radikalisierten Amerika angeführt. Eine Auszeichnung Atwoods wäre somit hochverdient – und ein politisches Statement, wie es der Schwedischen Akademie doch immer wieder nachgesagt wird.
Der Literaturnobelpreis ist heuer erneut mit elf Millionen Schwedischen Kronen (knapp 970.000 Euro) dotiert. Er wird wie immer am Todestag des Preisstifters und Dynamit-Erfinders Alfred Nobel (1833-1896) am 10. Dezember in Stockholm überreicht.