WZ-Redakteur Mathias Ziegler hat sich an einem Homeoffice-Tag mit einer aktuellen Studie zur neuen Arbeitswelt auseinandergesetzt.
Um 9:15 Uhr plingt mein Handy. Es ist Zeit fürs Daily, die tägliche (daher der Name) Kurzbesprechung der WZ-Redaktion, in der wir einander auf dem Laufenden halten, wer gerade woran arbeitet. Dank Teams-App am Smartphone kann ich remote teilnehmen, während ich mit meinem Hund die große Vormittagsrunde drehe (dabei handelt es sich um sogenanntes mobiles Arbeiten).
Nach zehn Minuten ist das Daily fertig, und ich kann den ersten Anruf dieses Homeoffice-Tages machen: Mit der Arbeitsmarktexpertin Juliana Wolfsberger vom Beratungsunternehmen Deloitte Österreich spreche ich über die brandaktuelle Studie, die sie soeben fertiggestellt hat. Deren Sukkus: Nach dem Corona-Hype wird Homeoffice wieder sukzessive reduziert, obwohl Arbeitnehmer:innen daheim produktiver sind. Und zwar nicht nur aus ihrer eigenen Sicht, sondern auch aus der ihrer Vorgesetzten. Trotzdem fordert jede:r zehnte Geschäftsführer:in ein Ende von Remote Working.
Drehen Sie bei der Besprechung gemeinsam eine Runde.
New-Work-Experte Hans Rusinek
Wolfsberger erläutert mir am Telefon, was die Studienergebnisse, die sie mir im Anschluss mailen wird, ihrer Meinung nach für die Arbeitswelt von heute und morgen und für unseren Blick auf das Thema Produktivität bedeuten, während mein Hund und ich über die Felder zurück nach Hause spazieren. Auf halbem Weg ist das Gespräch mit der Deloitte-Expertin zu Ende, und ich höre mir nun am Smartphone eine online gestellte Diskussion mit dem New-Work-Experten Hans Rusinek an, der dafür plädiert, Meetings auch einmal im Gehen abzuhalten: „Schnappen Sie sich Ihre:n Gesprächspartner:in und drehen Sie gemeinsam eine Runde.“
„Fake Work“, die um sich selbst kreist
Rusinek stellt fest, dass gerade der Arbeitsalltag vieler Büromenschen von einem Hinterherhetzen geprägt sei: Man eile von einer Besprechung in die nächste und sei stolz darauf, möglichst viele Meetings pro Tag zu absolvieren. Er spricht von „Fake Work“, die um sich selbst kreise. Dabei gehe es bei Produktivität darum, bestehende Probleme zu lösen: „Wir brauchen echtes, handfestes Handeln.“ Da gehöre auch dazu, sich einmal ins stille Kämmerlein zurückzuziehen und zu grübeln. „Aber wer kann schon seinem Chef sagen, dass er zwei Stunden damit verbracht hat, einfach nur über ein Problem nachzudenken?“ Dabei würden genau dadurch Probleme viel eher gelöst als in noch einem Meeting und noch einem Meeting, ist der Wirtschaftsphilosoph überzeugt.
Womit wir wieder beim Homeoffice wären, das gerade diese Situationen des Allein-Seins fördert, denen der Nimbus des Unproduktiv-Seins anhaftet. Und welche:r Firmenchef:in kann schon mit den zur Verfügung stehenden legalen Mitteln hundertprozentig nachvollziehen, ob die Mitarbeiter:innen daheim auch wirklich voll arbeiten und nicht zum Beispiel stattdessen die Wäsche machen oder staubsaugen? Unternehmensberaterin Wolfsberger relativiert: „Unproduktiv sein kann man auch im Büro. Manche sind wahre Meister:innen darin, den ganzen Tag nichts zu leisten, aber dabei stets beschäftigt zu wirken.“
Wir müssen Produktivität neu denken.
Arbeitsmarktexpertin Juliana Wolfsberger
An meinem Heimarbeitsplatz angekommen, sitze ich zum ersten Mal an diesem Tag vor dem Computer. Bald höre ich ein leises Schnarchen: Es kommt von meinem Hund, der zu meinen Füßen liegt und sicher heilfroh ist, dass er nicht den halben Tag allein daheim warten muss, während ich in der Redaktion bin, wo ich mir genau darüber Sorgen machen würde. Im Gegensatz zu ihm bin ich hellwach und widme mich der Aufgabe des Tages, die da lautet, einen WZ-Artikel über Produktivität zu schreiben – einen Begriff, den wir im dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts neu denken müssten, wie Wolfsberger meint.
Weniger Arbeitszeit – intensivere Arbeitsleistung
Bisher wird Produktivität in der Regel danach bemessen, wie viel Output man in einer gewissen Zeit geschafft hat. Das Problem: Bei zunehmender Arbeitszeitverkürzung (also Teilzeit) steht uns immer weniger Zeit für oft die gleiche Menge an Arbeitsleistung zur Verfügung. „Was wegfällt, ist nicht die zu leistende Arbeit, sondern es sind die Leerphasen, die vielleicht als unproduktiv betrachtet werden, die aber auch wichtig sind“, stellt Deloitte-Expertin Wolfsberger fest. Wirtschaftsphilosoph Rusinek betont die Wichtigkeit von Pausen im Arbeiten, die der Erholung und der Reflexion dienen.
„Eine Verkürzung der Arbeitszeit darf nicht bedeuten, dieselbe Arbeitsleistung in weniger Stunden erbringen zu müssen, sondern es muss wirklich eine Entlastung sein“, fordert Lukas Heck, der an der Wirtschaftsuniversität Wien zu diesem Thema forscht. Das sagt er in einem Wissenschaftsdiskurs, dem ich online beiwohne. Heck betont die negativen Folgen von Zeitarmut für die Gesundheit (keine Zeit für Bewegung, Fertiggerichte oder Junkfood statt Gesundes selbst zu kochen, keine Zeit für Arzttermine), aber auch fürs Klima (Auto statt Rad oder zu Fuß gehen, fliegen statt Bahn, Junkfood statt regionaler und saisonaler Lebensmittel). Und: „Zeit ist ungleich und ungerecht verteilt: Frauen haben durch viele unbezahlte Sorgearbeitsstunden viel weniger Freizeit.“ Damit bleibt auch weniger Zeit für Erwerbsarbeit, in der sie umso produktiver sein müssen. Wobei Bettina Stadler vom Institut für Soziologie der Universität Graz im selben Diskurs feststellt, dass sich heute die Produktivität in den meisten Arbeitsverhältnissen nur schwer objektiv messen lasse.
Im Homeoffice fallen Büro-Unterbrecher weg
WU-Forscher Heck fordert „Ziehungsfenster“, um je nach Bedarf die Arbeitszeit entsprechend anlegen zu können. Vielleicht sind wir ja auch deshalb im Homeoffice produktiver, wie die Deloitte-Studie feststellt, weil genau diese Unterbrecher – die Kaffeepause mit der Kollegin aus dem Nebenzimmer, der Gang zum Getränkeautomaten, die Rauchpause – dort meist wegfallen. Wer etwas braucht, ruft die Kolleg:innen an, und man bespricht das Thema effizient und ohne viel Blabla rundherum. Dieser Punkt werde übrigens von den Befragten durchaus negativ empfunden, berichtet Deloitte-Expertin Wolfsberger: „Mitarbeitende vermissen vor allem die sozialen Kontakte und schätzen die Ausstattung ihrer Büros. Führungskräfte beklagen ein geschwächtes Zugehörigkeitsgefühl und erschwerte Kommunikation.“
Umgekehrt schaffe ich mir im Homeoffice meine Freiräume, ohne dass sie meine Arbeitsleistung beeinträchtigen. Statt mich eine Stunde lang mit einem Kollegen im Besprechungszimmer zu vertratschen, erörtern wir unsere Punkte innerhalb von zwanzig Minuten, in denen ich nebenbei zu kochen beginne und mir zwischendurch am danebenliegenden Laptop Notizen mache. Und danach stehe ich zwar eine weitere halbe Stunde am Herd, dafür verbringe ich die mir zustehende halbstündige Mittagspause schon wieder am Schreibtisch und esse dort, während ich weiter an meinem Text über Produktivität arbeite. Und mir noch einmal in Ruhe durchlese, was mir Wolfsberger gemailt hat. Nämlich ihr Studienfazit: „In der heutigen Arbeitswelt sollte Leistung an Ergebnissen statt an physischer Anwesenheit gemessen werden. Das führt nicht nur zu einer insgesamt produktiveren und motivierteren Belegschaft, sondern fördert auch Chancengleichheit im Unternehmen.“
Junge hinterfragen Leistungsdruck
Weil frische Luft den Denkprozess befördert, gehe ich kurz mit dem Hund Gassi und rufe die Deloitte-Expertin ein weiteres Mal an, um mit ihr das Thema Arbeitsleistung zu erörtern. Dabei berichtet sie, dass gerade die Jungen den Leistungsdruck, der durch eine Arbeitsintensivierung im Zug einer Arbeitszeitverkürzung entstehe, hinterfragen würden, weil sie bei ihren Eltern sähen, dass sich immer mehr Leistung pro Zeiteinheit und damit immer mehr Stress im Job nicht unbedingt lohne. Ihnen sei oft eine bessere Work-Life-Balance wichtiger.
Wir leben in einer ‚Zuvielisation‘.
Wirtschaftsphilosophin Hannah Schragmann
Ins gleiche Horn stößt die Wirtschaftsphilosophin Hannah Schragmann in der zuvor erwähnten Diskussion mit dem New-Work-Experten Rusinek: Beim Begriff der Produktivität gehe es auch darum, „was uns persönlich als Mensch mit dem von uns Geschaffenen verbindet“. Insbesondere die jüngere Generation wolle sich in der Arbeit selbst verwirklichen, sei dann aber mit einer Erwerbsarbeitswelt konfrontiert, in der Leistung nur linear bewertet werde. „Wir packen immer mehr To-Do’s drauf, sodass wir in einer ‚Zuvielisation‘ leben.“
Bevor es bei mir selbst zu viel wird, höre ich auf meinen Hund, der schon intensiv in Richtung Vorzimmer schielt und mich durch leises Fiepen darauf hinweist, dass eine weitere Gassi-Runde angesagt wäre. Tatsächlich, 16:30 Uhr ist es inzwischen geworden – damit ist mein Homeoffice-Tag zu Ende. Mein Text über die Produktivität auch. Zugegeben, bei der Frage, wie denn das neue Denken der Produktivität aussehen soll, bin ich nur einen kleinen Schritt weitergekommen. Aber eines steht fest: Im Büro wäre ich nicht viel produktiver gewesen. Wahrscheinlich sogar weniger.
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Infos und Quellen
Genese
Die Mediengruppe Wiener Zeitung hat, wie viele Unternehmen im Zug der Corona-Krise, die Möglichkeit von Homeoffice und mobilem Arbeiten massiv ausgebaut. Aktuell können die Mitarbeiter:innen immer noch bis zu 40 Prozent ihrer Arbeitstage daheim verbringen. WZ-Redakteur Mathias Ziegler kommt das zugute, weil er dadurch seinen Hund nicht so oft allein daheimlassen muss. Gleichzeitig wurden vor kurzem seine Wochenstunden reduziert. Als er dann von einer neuen Deloitte-Studie zum Thema Homeoffice, Arbeitszeit und Produktivität erfuhr, nahm er dies alles zum Anlass für den vorliegenden Text.
Gesprächspartner:innen
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Juliana Wolfsberger, Arbeitsmarktexpertin beim Beratungsunternehmen Deloitte Österreich
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Lukas Heck, Mitarbeiter am Department of Socioeconomics an der Wirtschaftsuniversität Wien
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Bettina Stadler, Universitätsassistentin am Department für Soziologie an der Universität Graz
Daten und Fakten
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Deloitte Österreich analysiert in Zusammenarbeit mit der Universität Wien und der Universität Graz alle zwei Jahre die Verbreitung flexibler Arbeitsmodelle in der heimischen Wirtschaft. Laut der aktuellen Umfrage hat derzeit in 73 Prozent der befragten Unternehmen mindestens die Hälfte der Belegschaft die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten – im Jahr 2022 war dies noch bei 90 Prozent der Fall. Die tatsächliche Nutzung hat sich sogar noch deutlicher reduziert, nämlich von 82 auf 65 Prozent. Diese Zahlen liegen zwar immer noch über dem Niveau vor der Corona-Krise, der Trend geht aber eindeutig in Richtung weniger Homeoffice.
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Während sich 23 Prozent der Mitarbeitenden mehr Homeoffice wünschen würden, ist es 26 Prozent der Geschäftsführer:innen zu viel. „Ein erheblicher Teil der Führungskräfte hat weiterhin Bedenken, dass die Arbeitszeit im Homeoffice auch für private Zwecke genutzt wird. Auch wenn es solche Einzelfälle gibt, zeigen Untersuchungen, dass Sorgen diesbezüglich weitgehend unangebracht sind“, betont Bettina Kubicek, Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Graz, in der Aussendung zur Deloitte-Studie. Demnach bewerten nicht nur 76 Prozent der befragten Mitarbeiter:innen die Auswirkung von Homeoffice auf Produktivität und Leistung positiv, sondern auch 44 Prozent der Führungskräfte.
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Wer Homeoffice sagt, meint mitunter mobiles Arbeiten. Doch es gibt Unterschiede: Beim Homeoffice, im Gesetz auch Telearbeit genannt, ist der Arbeitsort klar definiert: das eigene Zuhause. Dafür wird vom Unternehmen ein fester Arbeitsplatz im Homeoffice eingerichtet, der Laptop, Bildschirm, Maus, Tastatur und sogar die Büroausstattung umfasst. Dies ist in der Arbeitsstättenverordnung geregelt. Der Arbeitsvertrag legt nicht nur das Ausmaß der wöchentlichen Arbeitszeit im Homeoffice fest, sondern auch den finanziellen Beitrag des Unternehmens zum Equipment daheim.
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Beim mobilen Arbeiten sind die Arbeitnehmer:innen nicht an einen festen Arbeitsplatz daheim gebunden. Auch hier sollten Arbeitgeber:innen aber zumindest das nötige Equipment wie Laptop und Bildschirm bereitstellen, um ein vernünftiges und produktives Arbeiten außerhalb des Büros zu ermöglichen.
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Was das Thema Arbeitszeit betrifft, herrscht in Bezug auf die Vier-Tage-Woche auf Seiten der Unternehmen noch große Skepsis. Lediglich fünf Prozent setzen sich damit als potenziellem Arbeitsmodell überhaupt auseinander – obwohl 45 Prozent der Firmen bei Jobbewerber:innen gestiegene Erwartungen an die Vier-Tage-Woche wahrnehmen.
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Noch ein Satz zum im obigen Artikel beschriebenen Homeoffice-Arbeitstag: Hier handelt es sich natürlich nicht um ein Beispiel, das auf alle Branchen umgelegt werden kann. Es gibt in Österreich unzählige Jobs, in denen es schwierig bis unmöglich ist, die geforderte Arbeitsleistung von daheim aus zu erbringen, angefangen vom Einzelhandel über den Bildungssektor (wer möchte sein Kind in den Remote-Kindergarten schicken?) und die Industrie bis hin zur Pflege. Es sind vor allem die sogenannten White-Collar-Jobs, also vor allem Bürotätigkeiten, in denen Homeoffice stark verbreitet ist.