Startseite Kultur Ein Song Contest für den „Ostblock“

Ein Song Contest für den „Ostblock“

von Max

Kirgisistan hat sich schon entschieden. Der zentralasiatische Staat wird das Trio Nomad zum Intervision Song Contest schicken. Es wird in Moskau das Lied “Jalgız saga” (Only for you) singen, selbstverständlich in Originalsprache. Es ist eine außerordentlich getragene Ballade mit nicht einmal der Ahnung eines einpräsamen Refrains. Beim Vorentscheid schnäbelten hinter den Sängern zwei Schwäne auf einer weichgezeichneten Videoleinwand. Eins waren diese Schwäne sicher nicht: homosexuell. Denn das ist ja einer der Gründe, warum es diese Gegenveranstaltung zum Eurovision Song Contest überhaupt geben wird. Zur Schau gestellte Queerness, wie sie mittlerweile zur DNA des ESC gehört, behagt dem russischen Präsidenten bekanntlich nicht. Deswegen hat er per Dekret ein Alternativ-Event in Auftrag gegeben, bei dem – so Außenminister Sergej Lawrow – „keine Perversionen und Verhöhnungen der menschlichen Natur“ zu befürchten sind.

Putin hat den Intervision Song Contest freilich nicht erfunden. Er greift auf eine Tradition aus dem Kalten Krieg zurück, als Ostblockstaaten sich auch zum Sängerwettstreit trafen. Die Intervision war dabei das Pendant zur Eurovision (heute technisch gesehen European Broadcasting Union EBU), ein Zusammenschluss der Rundfunkanstalten kommunistischer Länder. 1960 wurde er gegründet, erst von Polen, Ungarn, CSSR und der DDR, später kamen die Sowjetunion, Bulgarien, Rumänien und Mongolei hinzu. Nur der finnische Rundfunk und auch der ORF waren – als neutrale Staaten – sowohl bei Eurovision als auch bei Intervision Mitglieder. Das Gegenstück zur Beethoven-Signation, die vor jeder Eurovisionssendung erklingt, war eine Komposition von Schostakowitsch mit einigem Tusch-Wums.

Und überall Karel Gott

1965 wurde dann – nachdem man neun Jahre lang den Erfolg des Eurovision Grand Prix de la Chanson bebachtet hatte – ein zugehöriger Song Contest eingeführt. Während der ESC heuer in sein 69. Jahr geht, hat das Ostblockpendant deutlich weniger Bestehenszeit aufzuweisen. 1965 bis 1968 wurde es in der Tschechoslowakei ausgerichtet, 1977 bis 1980 im polnischen Sopot (als Ersatz für ein dort ohnehin ansässiges Musikfestival). 1965 gewann übrigens Karel Gott. Er ist der einzige, der auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs angetreten ist: 1968 schickte ihn der ORF als Vertreter Österreichs zum ESC, mit dem gar nicht so subtilen, gesungenen politischen Kommentar „Tausend Fenster“. Er bekam nur zwei Punkte.Das war aber nicht schlimm, denn er gewann in diesem Jahr zum zweiten Mal den Intervisionsbewerb.

Die von Putin initiierte Wiederbelebung des Bewerbs hat einen klar abgrenzenden, wenn nicht sogar feindseligen Unterton. Das war damals, im von Nikita Chruschtschow eingeleiteten „Tauwetter“ nicht unbedingt der Fall. In einer vorsichtigen Liberalisierung stand der Wettbewerb sogar für erste Schritte einer kulturellen Zusammenarbeit von Osten und Westen. Im Sinne der „Völkerfreundschaft“ traten also auch etwa Gloria Gaynor oder Boney M. auf. Der Auftritt der letzteren schaffte es freilich nicht auf die TV-Bildschirme. Der Song „Rasputin“ („Russia’s greatest love machine“) fiel der Zensur 1977 dann doch zum Opfer.

Belastete Beziehung

In den 2000ern wurde immer wieder versucht, den Intervision Song Contest neu zu starten, einmal gelang es 2008. Aber weil Gewinner Tadschikistan sich nicht leisten konnte, die Show im nächsten Jahr auf die Beine zu stellen, war’s das erstmal wieder. Als 2014 Conchita Wurst mit ihrem Auftritt und schließlich Sieg beim ESC konservative Gemüter im Osten nachhaltig überforderte, erinnerte sich Wladimir Putin wieder an die Alternative, die man dragfrei halt könnte. Zu einer tatsächlichen Austragung kam es aber nicht. Es folgte eine wechselhafte Beziehung Russlands mit dem Eurovision Song Contest: Als die russische Teilnehmerin Julija Samoilowa mit einer russischen Flagge die Krim bereiste, kam es zu Verstimmungen. Russland zog sich von der Veranstaltung freiwillig zurück und übertrug die Sendung auch nicht. Das führte zu einer Verwarnung. Die Beziehung zwischen EBU und Russland eskalierte schließlich, als Russland von dem Senderverbund ausgeschlossen wurde wegen des Angriffskriegs auf die Ukraine.

Mit dabei beim Intervision Song Contest 2025 ist Belarus. Das Land wurde schon 2021 wegen mangelhafter Medienfreiheit von der EBU ausgeschlossen. Oder, wie man es dort formuliert: Belarus wurde suspendiert, weil der Eurovision Song Contest“ zum Propaganda-Werkzeug wurde“. Zumindest steht es so im offiziellen Aufruf zur Bewerbung für potenzielle Vertreterinnen und Vertreter.

„Doppelagent“ Aserbaidschan

Dafür ist noch ein bisschen Zeit, anders als der Eurovision Song Contest, bei dem die Kandidaten schon langsam in Basel eintreffen (Finale ist am 17. Mai), wird das Pendant erst im September in Moskau stattfinden. Kirgisistan ist daher auch bisher der einzige Staat, der schon ein konkretes Lied mit Interpreten hat. Es gibt Spekulationen, dass für Russland der ultranationalistische Sänger Jaroslaw Dronow alias Shaman antreten soll. Er ist deklarierter Fan von Wladimir Putin und Befürworter der Invasion in der Ukraine. 

Fixiert sind bisher außerdem die Teilnahme von Belarus, Brasilien, China, Kuba, Kasachstan, Russland, Tadschikistan und Aserbaidschan. Letzteres ist das einzige Land, bei dem man Vergleiche anstellen kann: Denn Aserbaidschan tritt bei beiden Wettbewerben an. Nicht mit demselben Song. Also, wahrscheinlich. Dezidiert verboten ist es im Regelwerk nämlich nicht.

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