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Eltern sind die schlechteren Kinder

von Max

Denn im Grunde bedienen Stücke wie eben Rezas „Gott“, Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ oder, klassischer und tragischer, Strindbergs „Totentanz“ die selbe bedrückende Alltagstragödie wie die Ehewitze: Partner, die einander permanent ansticheln und dem anderen alles zu Fleiß machen, sind unter den unangenehmsten, wenn auch sozial akzeptiertesten Erscheinungen des bürgerlichen Lebens.

Mit solchen Leuten auch noch einen Theaterabend verbringen zu müssen, nährt eine gewisse Verzweiflung: Dieses performative gegenseitige Zerfleischen von Menschen, die einander eigentlich lieben sollten, ist im echten Leben und auf der Bühne Dokument von etwas, das im gesellschaftlichen Leben fatal schiefgelaufen ist. Auch ist die Erkenntnis, dass hinter der Fassade des modernen Menschen permanent die kaum in Zaum gehaltene Bösartigkeit arbeitet, keine übermäßig tiefsinnige.

Reza nun hat dem Genre eine wirklich flotte Neuerzählung und etwas Originelles hinzugefügt, und zwar das gut getimte Erbrechen.

Klingt komischer, als es im Fluss des Stücks ist: Dass Lilith Häßles Annette sich mittendrin ausgerechnet auf den wertvollen Kokoschka-Katalog der Houillés übergibt, eskaliert die durch pseudofreundliches Abhätscheln schon zuvor kaum in Zaum gehaltene Situation. Ab da geht’s richtig rund.

Versuchsanordnung

Im Prinzip ist es eine Versuchsanordnung der Gegenwartsklischees: Die um afrikanische Bürgerkriege und achtsame Erziehung besorgte Autorin (Köstlinger als Véronique), der innerlich bebende Schlurf (Maurer als Michel), der rücksichtlose Macho-Anwalt (Werths als Alain) und die grundgiftige Vermögensberaterin (Häßle als Annette) stehen für die von vornherein unversöhnlichen Triggerobjekte im allgemeinen ideologischen Hick-Hack. Und vor allem auch für jene überengagierten Erziehungsstreber, die man in der Elterngruppe auf WhatsApp gleich einmal stumm schaltet.

Was als nur unterschwellig aggressives Erwachsenen-Gespräch über die Tatsache, dass der eine Sohn dem anderen zwei Zähne ausgeschlagen hat, beginnt, geht dann, wie das halt so ist, rasch in den elterlichen Atomkrieg mit der Moralwaffe über: Es wird in intensiven 90 Minuten alles ausgestritten, vom Medikamentenskandal, den Alain am Handy zu vertuschen versucht, über den reuelosen Hamstermord von Michel bis zum Alkoholismus und der Scheinheiligkeit Véroniques und dem bitteren Ehehass Annettes. Da gibt es viele gute Lacher, ein Aufwischhandtuch, das man am Schluss nur noch mit der Zange angreifen würde, und elegant wechselnde Fronten im Streitquartett. Und bei der Heimfahrt wieder mal die Gewissheit: Eltern sind die schlechteren Kinder.

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