Startseite Politik Entzaubert? Warum Wagenknecht plötzlich aus dem Bundestag fallen könnte

Entzaubert? Warum Wagenknecht plötzlich aus dem Bundestag fallen könnte

von Max

Die Band, die in der rot-lila erleuchteten Messehalle in Erfurt für Stimmung sorgen soll, ist „ein echter DDR-Klassiker“, schwärmt eine Besucherin. Der Leadsänger ist regelmäßig Gast bei einem russischen Musikfestival – trotz Russlands Angriff auf die Ukraine. Die rund 200 Besucher klatschen trotzdem mit.

Für Sahra Wagenknecht gibt es dann sogar Standing Ovations. Sie wettert wiederholt gegen „Pleite-Minister“ Habeck, wirft Scholz vor, in einem Paralleluniversum zu leben, weil er die drohende Deindustrialisierung Deutschlands nicht sehe: „Da wird einem Angst und Bange, sollte die Regierung eine Verlängerung bekommen“, ruft sie mit gehobener Stimme. Dabei muss Wagenknecht gerade selbst um eine Verlängerung im Bundestag fürchten.

Erst Erfolg, dann Absturz?

Ein knappes Jahr ist es her, dass die einstige Ikone der Linken nach andauernden Streitereien und Spekulationen aus der Partei ausgetreten ist und ihr „Bündnis Sahra Wagenknecht“, kurz BSW, gegründet hat. Wirtschaftspolitisch links, gesellschaftspolitisch rechts; für einen Mietendeckel, für sanktioniertes, billiges Gas aus Russland; gegen Migration, gegen „Gender-Ideologie“ und „Cancel-Culture“, gegen Waffenlieferungen an die Ukraine. Damit zog das BSW ins Europaparlament und drei ostdeutsche Landtage ein, in Thüringen und Brandenburg wird sogar mitregiert. In den Umfragen kratzte man im letzten Jahr zeitweise an neun Prozent.

Jetzt wird prophezeit, dass das BSW an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern könnte. Selbst hier in Thüringen liegt es laut Forsa-Institut darunter. Was ist passiert?

Sahra Wagenknecht in der Messehalle in Erfurt.

Frank Augsten ist in diesen Tagen BSW-Landtagsabgeordneter, Fraktionsvorsitzender und  Wahlkämpfer. Und er ist sich sicher, dass die Prognosen falsch sind: „Die bezahlten Meinungsinstitute geben gezielt Umfragen heraus, die die Kleinparteien unter fünf Prozent sehen“, sagt er zum KURIER.

Der grauhaarige Thüringer saß schon einmal im Landtag – für die Grünen. Heute nennt er deren Unterstützung von Waffenlieferungen an die Ukraine als Grund für sein Austreten. Dem Erstarken der AfD in seinem Wahlkreis, die in Thüringen vom Verfassungsschutz beobachtet wird, wollte er dennoch etwas entgegensetzen, und trat deswegen dem BSW bei. „Wir haben dafür gesorgt, dass die AfD nicht bei 35 oder 40 Prozent steht“, sagt er mit Bick auf die Landtagswahl im vergangenen Herbst.

Entzaubert? Warum Wagenknecht plötzlich aus dem Bundestag fallen könnte

Frank Augsten, Fraktionsvorsitzender des BSW, im Thüringer Landtag.

Schwierige Abgrenzung nach rechts

Die AfD mit dem Rechtsextremisten Björn Höcke hat bei der Wahl 32,8 Prozent geholt, blockiert jetzt mit einer Sperrminorität die Bestellung von Richtern und Staatsanwälten im Landtag. Es regiert eine Koalition aus BSW, CDU und SPD, allerdings fehlt für eine absoluter Mehrheit mindestens eine Stimme. Die suche man „selbstverständlich bei der Linken“, so Augsten. „Es gibt keine gemeinsamen Anträge mit der AfD. Was wir nicht verhindern können, ist, dass die AfD unseren Antrag oder Gesetzesvorschlag unterstützt.“

Ähnlich argumentiert Sahra Wagenknecht. Und ähnlich rechtfertigte CDU-Chef Friedrich Merz die umstrittene Abstimmung über Migrationsbegrenzung im Bundestag. Auch das BSW hatte beim „Zustrombegrenzungsgesetz“ mit AfD und Union gestimmt. „Wir werden wegen der AfD nicht aufhören, Politik zu machen“, so Augsten. 

In der Messehalle in Erfurt teilen die potenziellen BSW-Wähler die Ansichten des Thüringer Fraktionsvorsitzenden: „Inhalt ist mir wichtiger als eine Brandmauer“, sagt eine Frau in grauem Pullover. Die habe die AfD erst so stark gemacht. Eine andere betont, sie sei „keinesfalls AfD-Anhängerin. Aber wenn es einer Sache dienlich ist, warum sollte man dann nicht zusammenstimmen?“ Sonst mache man sich selbst „zur Geisel“.

Anderswo in der Bundesrepublik, zum Beispiel in Bayern, sind wegen der Zustimmung des BSW im Bundestag zuletzt Mitglieder aus der Partei ausgetreten.

Bei der Landtagswahl am 1. September 2024 in Thüringen wurde die AfD stärkste Partei (32,8 Prozent). Regieren tut aber eine Koalition aus CDU, BSW und SPD mit 44 von 88 Mandaten. Die „Brombeer“-Koalition ist bei Gesetzen auf mindestens eine Stimme der Linke oder AfD angewiesen.

Sowohl bei der Wahl in Thüringen (15,8 Prozent) als auch in Sachsen und Brandenburg kam das BSW vom Stand auf den dritten Platz: In Sachsen kam es auf 11,8 Prozent, in Brandenburg auf 13,5.

Das Bündnis Sahra Wagenknecht gründete sich im Jänner 2024, zeitweise wurden ihm bundesweit rund neun Prozent prognostiziert. In den jüngsten Umfragen lag es unter der Fünf-Prozent-Hürde, die für einen Einzug in den Bundestag notwendig sind.

Die Partei ist also nicht ganz so geeint, was den Umgang mit der AfD angeht. Ist es das, was dem BSW die wertvollen Prozentpunkte in den Umfragen kostet? Oder etwas anderes? 

Alles geht über Berlin

Politikbeobachter nennen auch das BSW-Kernthema Ukraine-Krieg als Grund. Dieses verfängt bei der Bevölkerung anders als erwartet im Wahlkampf viel weniger als etwa Migration oder Wirtschaft. Und mit einem erzwungenen „Frieden“ durch Donald Trump könnte es möglicherweise sogar bald hinfällig sein.

Und dann ist da noch die Rede von einer „Entzauberung“ der Parteivorsitzenden selbst: Wagenknecht, die strengstens die Aufnahme von Mitgliedern kontrolliert, um keine „Idioten oder Rechtsradikale“ in die Partei zu lassen; die von Berlin aus den Koalitionsverhandlungen in den ostdeutschen Bundesländern dazwischenfunkte. Dass sie eine „Machtpolitikerin“ sei, die es ganz genau weiß, Emotionen einzufangen, weist Wagenknecht unablässig zurück.

Während Wagenknecht aus dem Bundestag rausfallen könnte, ist die Vorsitzende des BSW in Thüringen, Katja Wolf, seit Kurzem Stellvertreterin des Ministerpräsidenten. Querschüsse aus Berlin während der Verhandlungen parierte sie, neben der ideologischen Wagenknecht wirkt sie pragmatisch und kompromissbereit. Der Ex-Grüne und Fraktionsvorsitzende Augsten ist überzeugt, dass für den Erfolg des BSW im Osten die Regionalpolitiker eine größere Rolle spielten als Wagenknecht selbst: „Es gibt Grenzen, die man aufzeigen muss, wenn man Landesverantwortung übernehmen möchte. Das hat Katja Wolf gemacht.“

Appointment of the Thuringia's ministers in Erfurt

Katja Wolf (rechts) regiert in Thüringen mit CDU-Ministerpräsident Mario Voigt und der SPD (links).

Rückzug nach Niederlage?

Gegenüber Medien hat Wagenknecht mehrmals angedeutet, mit der Wahl entscheide sich auch ihre politische Zukunft. Wer nicht im Bundestag ist, ist in Deutschland kein politischer Faktor mehr“, zitiert sie die Süddeutsche Zeitung. Schon einmal war eine politische Bewegung Wagenknechts gescheitert, sie zog sich danach zurück – allerdings nur kurzzeitig. 

Auch in Erfurt scheint es, als wäre das politische Kapitel Wagenknecht noch lange nicht abgeschlossen: Gegen die steigende Altersarmut, die explodierenden Energiekosten, gegen die wachsende Kriegsgefahr, das neue globale Wettrüsten „wird das BSW im Bundestag kämpfen“, ruft sie in Erfurt, und erntet Applaus.

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