„Ich habe keinen Grund zu glauben, dass Italien nicht für das anerkannt wird, was ihm zusteht“: Viel deutlicher als diesen Samstag kann Premierministerin Giorgia Meloni nicht mehr werden. Das, was Italien nach ihrer Ansicht zusteht, ist einer der Spitzenposten in der neuen EU-Kommission, die kommende Woche offiziell vorgestellt wird: Vizepräsident und Kommissar für Wirtschaft.
Ein Spitzenposten für den Parteifreund
Und Raffaele Fitto, der Mann, der diesen Posten bekommen soll, ist ein prominenter Vertreter der rechtspopulistischen Fratelli d’Italia, Giorgia Melonis eigener Partei. Die hat bei den EU-Wahlen im Frühjahr – anders als die meisten regierenden Parteien in Europa – einen Wahltriumph eingefahren. Seither hat Italiens und damit Melonis Wort noch mehr Gewicht in der EU – und dieses Gewicht, davon ist die Premierministerin überzeugt, muss sich jetzt in der neuen EU-Kommission ganz deutlich zeigen.
Breite Front gegen den Rechtspopulisten
Ganz anders sehen das mehrere große Fraktionen im EU-Parlament – und zwar ausgerechnet jene, auf deren Stimmen, sich die Mehrheit von Kommissionschefin Ursula von der Leyen bei ihrer Wahl im EU-Parlament stützte: Liberale, Sozialdemokraten und Grüne. Ohne ihre Stimmen hätte die deutsche Christdemokratin keine Mehrheit zustande gebracht, auch wenn ihre Fraktion, die EVP, die mit Abstand stärkste Fraktion im EU-Parlament ist. Melonis Fratelli d’Italia jedenfalls haben sich bei der Abstimmung über von der Leyen gegen sie entschieden. Umso heikler der Balanceakt für Von der Leyen. Schließlich kann sie weder auf die Unterstützung des mächtigen Italien, noch auf jene von Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen im EU-Parlament verzichten.
Hektische Gerüchte in Brüssel
Wenige Tage vor der Bekanntgabe des Kommissars-Teams am Mittwoch scheint klar: Fitto ist als einer von vier exekutiven Vizepräsidenten der neuen Kommission eingeplant. Er soll für Wirtschaft und den Corona-Wiederaufbaufonds zuständig werden. Das entspricht genau dem Wunsch aus Rom: denn das Land bekommt am meisten Geld aus dem mit 724 Milliarden Euro ausgestatteten Corona-Wiederaufbaufonds. Und dieser Posten stehe dem drittgrößten Land der EU auch zu: So soll von der Leyen ihre Entscheidung intern auch gegen Kritik verteidigen.
Deutliche Ablehnung und offene Drohung
Doch diese Argumente stoßen etwa bei den Liberalen auf taube Ohren. „Das würde bedeuten, dass Ursula von der Leyen einen Kommissar von Rechtsaußen, der nicht einmal ihre Wiederwahl unterstützt hat, in die Riege der Schwergewichte der Europäischen Kommission aufnimmt“, macht Fraktionsvorsitzende Valérie Hayer, im französischen Fernsehen ihre Ablehnung deutlich. Sie habe von der Leyen, „unmissverständlich klargemacht, dass dies nicht akzeptiert werden kann“. Ganz ähnlich sehen das die Sozialdemokraten im EU-Parlament. Auch deren Fraktionsvorsitzender Rene Repasi will von einem Vizepräsidenten Fitto nichts wissen. Diese Spitzenposten müssten jene Fraktionen besetzen, die Von der Leyen unterstützt hätten, und nicht eine, die sie ausdrücklich abgelehnt habe.
Mit der Nominierung beginnt der Poker
Von der Leyens eigene Fraktion, die EVP, dagegen stellt sich hinter den Italiener. Fraktionschef Manfred Weber, der ohnehin auf eine engere Zusammenarbeit mit der rechten EKR-Fraktion – zu ihr gehören auch Melonis Fratelli d’Italia – drängt, wehrt sich massiv dagegen, Fitto ins rechte Eck zu stellen. Dieser sei ein bürgerlicher Konservativer und weder ein Rechtspopulist noch ein Rechtsextremist. Weber will sich bei der Arbeit im EU-Parlament lieber auf Fitto, den er auch persönlich gut kennt, vertrauen, als etwa auf die Grünen. Doch jeder einzelne Kommissar, also auch Fitto, muss vom EU-Parlament abgesegnet werden, und zwar mit Zweidrittelmehrheit – und auch die gesamte Kommission braucht eine Mehrheit. Die aber kommt ohne Grüne, Liberale und Sozialdemokraten nicht zustande. Mit der Nominierung am Mittwoch beginnt also das Tauziehen um die endgültige Machtaufteilung in Brüssel erst so richtig.