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EU-Randstaaten setzen bei Migranten auf Abschreckung.

von Max

EU-Randstaaten setzen auf Abschreckung und Abschiebung, um die Zahl der Asylanträge zu reduzieren. Ein Lokalaugenschein in Zypern verdeutlicht die Lage.

Ali kam 2023 mit dem Boot von Tripoli nach Zypern. Der Inselstaat ist von der libanesischen Küste gerade einmal 160 Kilometer entfernt. Bei gutem Wetter schafft ein Schiff die Überfahrt in wenigen Stunden. Alis Boot war mit 180 Personen – hauptsächlich Syrer:innen wie Ali, einige Palästinenser:innen und Libanes:innen – hoffnungslos überfüllt. Nach über 30 Stunden auf See erreichten sie die zypriotische Küste und wurden von der Küstenwache in den Hafen eskortiert.
Im Jahr 2023 war die Anzahl der ankommenden Flüchtlingsboote noch überschaubar. Gerade einmal zehn Boote aus dem Libanon erreichten den Inselstaat. 2024 nahm ihre Anzahl drastisch zu: Rund 50 Boote landeten im ersten Quartal auf Zypern. Laut UNHCR stellten zwischen Jänner und März dieses Jahres etwa 3.000 Syrer:innen in der Republik Zypern einen Asylantrag.
Ali, der wegen seines Einberufungsbefehls in die syrische Armee aus Damaskus geflohen ist, wohnt jetzt in der Hauptstadt Nikosia. Glücklich ist er nicht. Zuhause in Syrien hat er alles verloren. Dort hieß es, wenn es ihm gelänge, in die EU zu kommen, würde er Asyl erhalten, eine Arbeit finden und seine Familie nachholen können. Jetzt ist die Enttäuschung groß: „In Wirklichkeit habe ich nichts von alldem“, sagt Ali. Das Leben auf Zypern sei teuer: „Wir teilen uns zu sechst eine kleine Wohnung.“
Weil die staatliche Unterstützung nicht ausreicht, arbeitet Ali am Bau und erledigt kleinere Reparaturen. „Ich habe zwar keine Arbeitserlaubnis, bin aber gezwungen zu arbeiten, wenn ich überleben will.“ Wie es weitergehen wird, weiß Ali nicht. Vor zehn Monaten stellte er seinen Asylantrag, die Anhörung erfolgte bis heute nicht: „Ich stecke hier fest.“

Zypern am Limit

Die Republik Zypern, die de facto nur den Südteil der Insel umfasst, ist in etwa eineinhalbmal so groß wie das Burgenland. Mit seiner exponierten Lage am Rand der EU ist der Inselstaat seit 2015 mit zunehmenden Migrationsströmen konfrontiert. 2022 verzeichnete die Republik, gemessen an ihrer Einwohnerzahl, die höchste Rate an Asyl-Erstantragsteller:innen in der EU. Rund 21.500 Flüchtlinge erreichten in diesem Jahr Zypern, knapp 18.000 genießen subsidiären Schutz.
Grund für den starken Anstieg der Flüchtlingszahlen in diesem Jahr ist laut UNHCR das Ende der durch Covid-19 ausgelösten Reisebeschränkungen. Gleichzeitig lockten die Bemühungen Zyperns, Asylbewerber:innen in andere EU-Mitgliedstaaten umzusiedeln, verstärkt Flüchtlinge an.

2023 gingen die Zahlen deutlich zurück, was vor allem auf schärfere Zuwanderungskontrollen durch die Verwaltung Nordzyperns zurückzuführen sei, so UNHCR. Dadurch seien die Flüchtlingsbewegungen vom Norden in den Süden der Insel zurückgegangen.
Für die zypriotische Regierung ist die Situation eine Herausforderung. „Die Kapazitäten des Staates sind überfordert“, heißt es aus dem Ministerium für Migration. Wirtschaftlich, demographisch, auf sicherheitspolitischer Ebene ebenso wie in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Wohnen stoße die Republik an ihre Grenzen.
Erschwert wird die Lage, weil Flüchtlinge auch über den Landweg die Republik Zypern erreichen. Über Istanbul gelangen sie in den von der Türkei besetzten Norden der Insel, der von Südzypern durch eine Pufferzone getrennt ist. Diese sogenannte Greenline wird zwar von der UN kontrolliert, ist mit einer Länge von 180 Kilometern aber nicht flächendeckend zu überwachen.
Im August saßen rund 70 Flüchtlinge, aufgeteilt auf zwei Lager, in der Greenline fest. Die WZ konnte eines der Lager besuchen – in einem lichten Wald stehen zwölf UNHCR-Zelte, in denen 24 Menschen untergebracht sind. Die meisten der Flüchtlinge stammen aus Afghanistan, einige aus Somalia, Syrien und dem Iran. Allen gemeinsam ist ihre ungewisse Zukunft. Sie wissen nicht, wie lang sie im Niemandsland festsitzen – Wochen, Monate, Jahre? – und ob sie am Ende überhaupt den Asylstatus erhalten werden.
Ahmed lebt seit zwei Monaten in einem der Zelte. Der 25-jährige Afghane kam mit einem Studentenvisum über Istanbul nach Nordzypern. Nach Abschluss seines Studiums hätte er nach Afghanistan zurückkehren müssen, doch im Talibanstaat will er nicht leben.
Wie alle hier im Lager wurde er von einem Schlepper für 200 US-Dollar durch die Pufferzone geschleust. „Er zeigte mir diese Tankstelle auf der zypriotischen Seite und sagte, ich solle von dort ein Taxi ins Pournara-Camp nehmen, wo man sich als Flüchtling registrieren könne“, erzählt Ahmed.
Doch so weit kam er nicht. Gleich hinter der Tankstelle wurde er von der zypriotischen Polizei aufgegriffen und in die Pufferzone abgeschoben. Mit zwei Freunden teilt er sich nun ein Zelt. Die Stunden und Tage verbringen sie auf Plastiksesseln unter Bäumen, immer dem Schatten folgend. „Nachts können wir wegen der Hitze und den Moskitos nicht schlafen.“
Dass manche Zypriot:innen über die steigende Zahl an Flüchtlingen besorgt sind, kann Ahmed verstehen. „Sie wissen nicht, wer wir sind, woher wir kommen und wie wir uns in der Gesellschaft verhalten werden“, sagt er. Sie sollten uns aber zumindest erlauben, unsere Asylanträge zu stellen, so Ahmed: „Diese Chance sollten sie uns geben.“

Zypern ist bei der Versorgung von Flüchtlingen überfordert. Die UNO stellt Zelte, Wasser und Nahrung zur Verfügung.

© Bildquelle: Schauta

Mit Blick auf die Abschiebungen in die Greenline weist Emilia Strovolidou vom UNHCR darauf hin, dass Staaten dafür verantwortlich seien, den Zugang zu Asylverfahren zu gewährleisten. „Das schließt auch die in der Pufferzone gestrandeten Personen mit ein“, so Strovolidou.
Caritas Zypern und die zypriotische Menschenrechtsorganisation Kisa wiederum werfen der Regierung eine harte Gangart gegenüber Flüchtlingen vor. Sie würde die Situation für Asylsuchende bewusst verschärfen, um sie entweder dazu zu bewegen, die Insel rasch wieder zu verlassen oder gar nicht erst zu kommen.
Die NGOs beklagen, dass zu wenig in Integrationsarbeit investiert werde und die finanzielle Unterstützung für Asylwerber:innen zu niedrig ausfalle. Gleichzeitig werde ihnen der Zugang zum Arbeitsmarkt erschwert. War es bis September 2023 möglich, binnen eines Monats nach Einreichung des Asylantrags eine Arbeit anzunehmen, wurde diese Sperrfrist nun auf neun Monate ausgeweitet.
Seit April war die Zahl der Asylanträge stark rückläufig, so UNHCR, seit Mai kam sie fast zum Stillstand. Dieser Trend setzte sich im August und September fort. Rund 21.500 Personen haben derzeit Asylstatus auf Zypern.
„Die Zahl der irregulären Migranten ist noch nicht auf ein zufriedenstellendes Niveau gesunken“, so das Ministerium für Migration. Aber es sei gelungen, den Zustrom deutlich zu senken. Dies habe der zypriotischen Regierung ermöglicht, sich auf anhängige Asylanträge zu konzentrieren. „Durch Ablehnungen und Rückführungen haben wir zum ersten Mal seit einigen Jahren mehr Abflüsse als Zuflüsse“, heißt es aus dem Ministerium. Diese Ablehnungen betrafen vor allem Menschen aus sicheren Ländern wie Indien und Bangladesch, die keine Bleibeperspektive hatten.
Doch es gibt weitere Gründe für den Rückgang an Asylanträgen. Im April setzte die Regierung die Bearbeitung von Asylanträgen von Syrer:innen bis auf Weiteres aus. Und auch die Pushback-Politik der zypriotischen Regierung spiele eine Rolle, so UNHCR: „Sie hat die Bootsankünfte seit Mitte April zum Stillstand gebracht.“ Ebenso seien die Pushbacks in der Pufferzone für den Rückgang der Flüchtlingszahlen verantwortlich. Im Sinn der Schutzsuchenden ist das nicht.

Auslagerung von Asylveranwortung

Um Zypern zu entlasten, ging die EU im Mai 2024 einen Pakt mit dem Libanon ein. Beirut erhielt eine Milliarde Euro, um seine Seegrenzen dicht zu machen und Migration nach Europa zu stoppen.
Doros Polykarpou, Geschäftsführer von Kisa, sieht solche Flüchtlingsabkommen mit Drittstaaten wie der Türkei, dem Libanon, Ägypten oder Libyen skeptisch. Stattdessen sollte ein EU-weites Asylsystem umgesetzt werden, bei dem alle Mitgliedsstaaten gleiche Rechte und Pflichten haben. Derzeit gebe es nur halbherzige Relocation-Programme, um die Randstaaten irgendwie zufrieden zu stellen. „Eine wirklich solidarische Lösung ist das aber nicht, weil die Anzahl an Flüchtlingen, die vom Süden in den Norden transferiert werden, viel zu gering ist.“
Ähnlich sieht es UNHCR: „Die EU muss ihre Verantwortung im Bereich Asyl behalten, und die Mitgliedstaaten sollten damit aufhören, ihre Asylverpflichtungen auszulagern.“
Dies stehe nicht nur im Widerspruch zu den rechtlichen Verpflichtungen und moralischen Werten der EU, sondern erweist sich auch als ineffektiv und kostspielig: „Die Überlastung von Drittländern mit Asylbewerbern kann zu sozialen, wirtschaftlichen und politischen Spannungen führen und für die EU nachteilige Abhängigkeiten schaffen.“
In der Zwischenzeit drücke die EU bei Staaten wie Zypern beide Augen zu, wenn sie Pushbacks durchführen und Asylverfahren aussetzen, so Polykarpou. Frei nach der Devise: „Setze alles daran, ein möglichst unbeliebtes Zielland für Flüchtlinge zu werden, sodass sie lieber in anderen EU-Staaten ihre Asylanträge stellen.“
UNHCR betont, dass Staaten natürlich das Recht haben, diejenigen Personen in ihre Herkunftsländer zurückzuführen, die ihren Anspruch auf Asyl nicht nachweisen können. Voraussetzung dafür sei aber die Gewährleistung des Zugangs zu Asyl sowie gerechte und effiziente Asylverfahren: „Nur so ist sichergestellt, dass die Mitgliedstaaten ihren rechtlichen Verpflichtungen sowohl nach europäischem als auch nach internationalem Recht nachkommen können.“


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Infos und Quellen

Genese

Im August 2024 reiste Autor Markus Schauta nach Zypern, um in der Hauptstadt Nikosia mit Asylwerbern, Politikern und NGOs über ihre Perspektive auf die sogenannte Flüchtlingskrise und die damit einhergehenden Herausforderungen zu sprechen.

Gesprächspartner:innen

Mit Genehmigung der UNIFIL konnte Markus Schauta ein Flüchtlingscamp in der Pufferzone besuchen, wo er Ahmed interviewte. Ali traf er in Nikosia zum Interview, ebenso wie Doros Polykarpou, Geschäftsführer von Kisa. Emilia Strovolidou von UNHCR und das Stellvertretende Ministerium für Migration beantworteten seine Fragen per E-Mail.

Daten und Fakten

  • Spätestens seit 2015 ringt die EU mit einem Asylsystem, bei dem vor allem Randstaaten durch den Zustrom an Flüchtlingen überproportional belastet werden. Durch Pushbacks und Verträge mit Drittstaaten versucht die EU, die Flüchtlingszahlen zu reduzieren. Gleichzeitig sollen Menschenrechte und das Recht auf Asyl gewahrt werden – ein Drahtseilakt.

  • Zypern ist aufgrund seiner Randlage und dem Status einer geteilten Insel besonders exponiert. Gemessen an seiner Einwohner:innenzahl hat der Inselstaat die höchste Rate an Asyl-Erstantragsteller:innen in der EU.

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