Der Übelbach, sonst kaum mehr als ein Rinnsal, wird in Deutschfeistritz Anfang Juni aufgrund heftiger Unwetter zur lebensgefährlichen Sturzflut. Er reißt Autos mit sich, drei Männer können ein älteres Paar in letzter Sekunde aus den Wassermassen retten.
Bis zu 100 Liter Regen pro Quadratmeter bescheren der steirischen Gemeinde am 8. und 9. Juni 2024 ein Hochwasser, das statistisch nur alle 300 Jahre auftritt. Einige Wahllokale der zeitgleich stattfindenden Wahl zum EU-Parlament mussten kurzfristig verlegt werden, im Einzugsgebiet des Übelbachs ist keine Wahl durchführbar.
„Bei diesen Ereignissen steckt sehr viel vom Klimawandel drin“, erklärte Georg Pistotnik, Unwetter-Experte bei Geosphere Austria, am Tag nach der Flut der Kleinen Zeitung. Die Südoststeiermark sei von der Klimakrise besonders betroffen, die Sommer sind im Vergleich zu 1970 im Schnitt um drei Grad heißer – die Region damit besonders anfällig für Unwetter und Fluten.
Hitzesommer, Überschwemmungen, Sturzfluten, Klimakrise – das sind eigentlich klassische Themen der Grünen. Doch während diese bei der EU-Wahl in Deutschfeistritz auf 8,7 Prozent und bei den Nationalratswahlen Ende September auf 5,8 Prozent der Stimmen kommen, fährt die FPÖ mit 35 bzw. 39 Prozent einen fulminanten Wahlsieg ein – ausgerechnet jene Partei, die die menschengemachte Klimakrise entgegen sämtlichen wissenschaftlichen Befunden leugnet, ignoriert oder als wenig dringlich abtut. Auch bei den am 24. November stattfindenden Wahlen zum steirischen Landtag dürfte die FPÖ den ersten Platz holen.
Wie passt das zusammen? Sollte die Erfahrung der Klimakrise in nächster Nähe, eine Sturzflut vor der Haustür oder ein vollgelaufener Keller Wähler:innen nicht für Öko-Parteien begeistern? Oder anders: Ändern Menschen ihre Einstellung zur Klimakrise, wenn sie selbst davon betroffen sind? Eine Spurensuche in Deutschfeistritz, am Institut für Staatswissenschaft und an der psychologischen Fakultät der Universität Wien.
„Eine absolute Katastrophe“
Daniel Spielhofer kann ihn von seinem Fenster aus sehen. Spielhofer ist Anfang 30, eigentlich gelernter Mechaniker, im Jänner hat er die alte Mühle im Ort übernommen. Dass er für seinen Job brennt, kann er kaum verbergen. Als er am Tag der Flut zur Mühle kommt, stehen einige Nachbar:innen mit Koffern am Straßenrand, bereit zur Flucht. Einzelne Teile seiner Mühle schwimmen über die Straße, im Innern steht das Wasser 1,20 Meter hoch und vernichtet 30 Paletten Ware; „eine absolute Katastrophe“, erinnert sich Spielhofer. Der Schaden sei schwer zu beziffern, er schätzt ihn auf 200.000 bis 300.000 Euro.
Anfang November ist in Deutschfeistritz von der Flut kaum mehr etwas zu sehen. Die Häuserfassaden sind frisch gestrichen, einzig ein paar Sandsäcke und der Schienenersatzverkehr – die Bahnstrecke wurde von der Flut schwer beschädigt – erinnern an die Katastrophe vor fünf Monaten. Der Übelbach plätschert friedlich wie eh und je durchs Ortszentrum.
Erst kürzlich konnte Daniel Spielhofer seine „Markt-Mühle“ wieder eröffnen. Dort verkauft er Dinkelflocken, Vollkornnudeln, Roggenschrot und Honig – alles bio, das meiste selbst produziert. Nachhaltigkeit, Müllvermeidung, umweltschonende Produktion sind für ihn eine „Selbstverständlichkeit“.
Ob der Klimawandel menschengemacht oder nur eine Laune der Natur sei, könne er nicht beurteilen – aber er sei real, ist Spielhofer überzeugt. „Ich bin noch nicht besonders alt, aber dass es früher mehr Schnee gab, ist jedem klar.“ Zukünftig wolle er sich auf Überflutungen besser vorbereiten, aber an seiner Einstellung zum Klimawandel habe sich wenig geändert.
Dass seine Gemeinde zu einem guten Drittel die FPÖ wählt, wundert ihn kaum. Er schätzt, die meisten stimmten nicht aus Ausländerfeindlichkeit, sondern als Zeichen des Protests für die Freiheitlichen. Viele, ihn eingerechnet, seien unzufrieden. „Wir arbeiten ehrlich, generieren was, zahlen Steuern – aber werden im Stich gelassen.“ Seine Mühle und der Laden seien heute wieder funktionsfähig, weil Nachbar:innen und Kund:innen tatkräftig mit anpackten – vom Land Steiermark bekam er kaum Unterstützung, ärgert sich Spielhofer.
„Wir müssen dem Wasser mehr Platz geben“
„Klimawandel-Anpassungs-Modellregion Graz-Umgebung Nord“ steht am Eingang des Gemeindeamts Deutschfeistritz. Von seinem Büro aus kann Michael Viertler auf den Übelbach blicken. Seit 2011 sitzt er als Bürgermeister der ÖVP mit absoluter Mehrheit fest im Sattel – auch wenn seine Gemeinde bei überregionalen Wahlen immer mehr zur FPÖ tendiert. Die 39 Prozent bei der Nationalratswahl sind 14 Prozentpunkte mehr als 2019, womit Deutschfeistritz im steiermarkweiten Trend liegt.
„Natürlich macht das was mit einem persönlich, mit einem Ort“, sagt Viertler über die Flut. Auch seine Bäckerei und sein privates Wohnhaus standen unter Wasser. Ob er seither anders über den Klimawandel denke? „Nein.“
Mit Sicherheit mache der Klimawandel Extremwetterereignisse wahrscheinlich, ist Viertler überzeugt. Aber man könne den Lauf der Dinge nicht von heute auf morgen ändern, sondern müsse die Leute mitnehmen. Von radikalen Lösungen hält er nichts. Außerdem trage Österreich im Vergleich zu Ländern wie den USA oder China nur einen kleinen Teil der Verantwortung.
Viertler glaubt nicht, dass die Grünen von der Hochwasserkatastrophe hätten profitieren können. Klimawandel sei im Ort kaum Thema, Teuerung, Migration, die österreichische Neutralität im Ukraine-Krieg seien hingegen Fragen, die die Menschen immer mehr zur FPÖ treiben, bedauert der Langzeitbürgermeister. Daran habe auch die Flut im Juni nichts geändert. Von seinem Büro aus blickt Viertler nicht nur auf den Übelbach, auch ein Wahlplakat ist zu sehen: „Teuerung stoppen: Steiermark leistbar & lebenswert“, fordert die FPÖ.
„Ich habe meine Hausaufgaben gemacht“, sagt Viertler mit Blick auf die am 24. November anstehende steirische Landtagswahl. Anfang Dezember soll der Gemeinderat über zwei Rückhaltebecken entscheiden, die in Zukunft Schlimmeres verhindern sollen, mit den Eigentümer:innen der landwirtschaftlichen Flächen gebe es bereits eine Übereinkunft. Rückhaltebecken waren bereits Anfang der 2000er, vor Viertlers Amtszeit, geplant, aufgrund technischer und finanzieller Unstimmigkeiten verlief das Vorhaben im Sand.
Der wichtigste Teil der Hochwasserprävention aber sei die Renaturierung, sagt Viertler. „Wir müssen dem Wasser mehr Platz geben.“ Dass sich die Bundes-ÖVP regelmäßig gegen derlei Vorhaben stemmt, Grünen-Ministerin Leonore Gewessler gar anzeigte, weil diese auf EU-Ebene für strengere Renaturierungsgesetze stimmte, stehe keinesfalls im Widerspruch zu seiner Position. Viertler plädiert für die Eigenverantwortung der Gemeinden statt für einen weiteren „Bürokratiemoloch“ wie die EU-Renaturierungsverordnung.
„Ein vollgelaufener Keller macht einen Traditions-FPÖ-Wähler noch zu keinem Grünen“
Die Frage, wie sich Krisen und Katastrophen auf Wahlergebnisse auswirken, drängt sich auch Politikwissenschaftler:innen zusehends auf. Die kurze Antwort lautet: Es ist kompliziert.
In der Tendenz steigern Katastrophen das Ansehen von Amtsinhaber:innen, insbesondere wenn diese in der Bevölkerung als Kümmerer und als Anpacker:innen wahrgenommen werden (was nicht immer der Fall ist). Eine Studie der Universität Mannheim infolge des Hochwassers im deutschen Ahrtal zwei Monate vor der Bundestagswahl 2021 zeigt, dass „die Themen Natur, Umwelt und Klimaschutz nach Naturkatastrophen generell in der Wahrnehmung von Wählenden wichtiger werden“. Im konkreten Fall wählten betroffene Gemeinden mit einer 3,2 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit die Partei Bündnis90/Die Grünen. Zwei weitere Studien zur selben Region zeigen jedoch, dass dieser Effekt innerhalb weniger Wochen wieder verpufft.
„Ein vollgelaufener Keller macht einen Traditions-FPÖ-Wähler noch zu keinem Grünen“, fasst Julia Partheymüller ihre Forschung zusammen. Die Politikwissenschaftlerin forscht am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien zu Wahlkampfverhalten und öffentlicher Meinung und ist Mitglied des Vienna Center for Electoral Research. „Viele Wähler:innen legen sich bereits fest, bevor der Wahlkampf überhaupt begonnen hat“, FPÖ-Sympathisant:innen sogar besonders früh, erklärt sie. Die Stimme für die eine oder andere Partei sei für viele eher eine Frage der „Identität“. Ereignisse im Vorfeld einer Wahl, wie Extremwetter, TV-Debatten oder Skandale wie das Ibiza-Video, wirkten sich „maximal im einstelligen Prozentbereich“ auf das Wahlergebnis aus.
Dass Umwelt-Parteien in Folge von Extremwetterereignissen profitieren, sei durchaus plausibel, bisher aber kaum belegt, sagt Partheymüller. Bei unschlüssigen Wähler:innen könnten sie aber das „Zünglein an der Waage“ sein.
„Wut ist die Großmutter aller demagogischen Politik“
Auch Thomas Slunecko, außerordentlicher Professor an der psychologischen Fakultät der Universität Wien, warnt vor voreiligen Schlüssen. Krisen und Extremwetterereignisse könnten sich ganz unterschiedlich auf Parteien und Wahlergebnisse auswirken, abhängig vom Kontext und dem Handeln der jeweiligen Politiker:innen.
In Extremsituation reagieren Menschen häufig mit Wut, „aber die Halbwertszeit unserer Emotionen ist nicht besonders hoch“, erklärt Slunecko. Wut, die sich nicht abreagiert, kann in Ressentiment umschlagen. Das heißt, in eine langfristige und weniger offenkundige Unzufriedenheit gegenüber „der Politik“, gegenüber „denen da oben“, den „Eliten“, die sich die Taschen vollstopfen würden, einen im Stich lassen, während man selbst knietief im Schlamm steht.
Im politischen Kontext relevant: Wut und Ressentiment lassen sich instrumentalisieren. „Das ist die Großmutter aller demagogischen Politik“, so Slunecko. Rechten Parteien gelinge dies leichter, da Krisen ihre Grunderzählung zu bestätigen scheinen, dass unsere Lebensweise im Verfall begriffen ist. Angesichts zahlreicher Bedrohungen und weltweiter Katastrophen könnten derlei Parteien den „Rückzug in einen nationalen Schutzraum“ als einfachen Lösungsweg propagieren, erklärt Slunecko.
Zudem weist Slunecko auf eine grundlegendere Dimension der sich häufenden Extremwetterereignisse hin: Die ökologische Krise rüttelt am Wohlstandsversprechen des Globalen Nordens. Sich häufende Krisen erschüttern die Erzählung, dass es für eine Gesellschaft immer nur bergauf gehen könne. Es könne eine Art „Phantomschmerz“ verursachen, wenn der als selbstverständlich betrachtete Anspruch auf ein eigenes Haus, ein Auto, regelmäßige Urlaubsreisen und dergleichen plötzlich infrage gestellt wird oder aufgegeben werden muss. Extremwetterereignisse seien die Quittung für ein Wohlstandsmodell, das in großen Teilen auf der Ausbeutung der Natur basiert; diese bekommen wir jetzt serviert.
Die Zeichen stehen auf FPÖ
Am 24. November wählt die Steiermark einen neuen Landtag. Umfragen zufolge liegt die FPÖ vor der ÖVP. Neben Deutschfeistritz waren weite Teile der Steiermark in den vergangenen Monaten von Fluten, Unwettern, Murenabgängen oder Ernteausfällen durch Dürre und Hitze geplagt. Die Folgen der Klimakrise werden von Jahr zu Jahr sichtbarer. Dass die Grünen davon Ende November profitieren, gilt als nicht besonders wahrscheinlich.
Hört man sich in Deutschfeistritz um, ist für viele nicht der überflutete Keller wahlentscheidend, sondern die Tatsache, dass sie den Schaden aus der eigenen Tasche zahlen mussten. Hilfen von Bund und Land seien zu spät gekommen und ersetzten nur einen Bruchteil der Kosten. Die Zeichen stehen auf FPÖ.
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Infos und Quellen
Genese
Wie so häufig war eine Irritation Ausgangspunkt dieser Recherche. Da waren die Wassermassen, die durch Deutschfeistritz schossen, Autos mitrissen, Existenzen zerstörten und die EU-Wahl verunmöglichten. Am selben Wochenende wählt Deutschfeistritz mehrheitlich ausgerechnet jene Partei, die am wenigsten gegen den Klimawandel unternehmen will. Wie passt das zusammen? Nachdem Autor Johannes Greß das Thema im Freund:innenkreis rege diskutierte, entschloss er sich, selbst nach Deutschfeistritz zu fahren.
Gesprächspartner:innen
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Julia Partheymüller, Politikwissenschaftlerin Universität Wien
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Thomas Slunecko, außerordentlicher Professor an der psychologischen Fakultät der Universität Wien
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Daniel Spielhofer, übernahm im Jänner 2024 die Mühle in Deutschfeistritz
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Michael Viertler (ÖVP), seit 2011 Bürgermeister von Deutschfeistritz
Daten und Fakten
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Deutschfeistritz liegt im Norden des Bezirks Graz-Umgebung und war eine einstige Bergbauregion. Stand 2024 zählt Deutschfeistritz 4.464 Einwohner:innen.
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Seit 2011 ist Michael Viertler (ÖVP) Bürgermeister der Gemeinde, bei der Gemeinderatswahl 2020 stimmten 55 Prozent der Wähler:innen für ihn bzw. die ÖVP.
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Bei der EU-Wahl im Juni 2024 wählten in Deutschfeistritz 35 Prozent (+9,4) die FPÖ, 22 Prozent (-13) die ÖVP und 8,7 Prozent (-1,7) die Grünen. Bei der Nationalratswahl Ende September holte die FPÖ 39 Prozent der Stimmen, die ÖVP 25 Prozent und die Grünen 5,8 Prozent.
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Mit bis zu 100 Liter Region pro Quadratmeter erlebte die Gemeinde am 8. und 9. Juni eine Flut, wie sie statistisch nur alle 300 Jahre auftritt. Große Teile des Ortszentrums standen unter Wasser, die nahegelegene Pyhrnautobahn wurde durch eine Mure verlegt. In der Folge des Unwetters kam es auch zur Verkeimung des Trinkwassers, weshalb die Gemeinde in den Tagen danach eine Trinkwasser-Ausgabestelle im Schulzentrum einrichtete.
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Laut Expert:innen ist die Region besonders stark von den Folgen der Klimakrise betroffen. Die durchschnittlichen Sommertemperaturen der Region liegen im Vergleich zu den 1970er Jahren um drei Grad höher. Laut dem Wegener Center der Universität Graz steigt das Gewitterpotential pro Grad Erwärmung um ca. 10 Prozent.