Startseite Kultur TV-Film über Entführungsfall Nathalie B.: „Das ist eine Heldinnengeschichte“

TV-Film über Entführungsfall Nathalie B.: „Das ist eine Heldinnengeschichte“

von Max

Bereits beim Casting hätten sie und Regisseurin Esther Rauch sofort intensiv darüber gesprochen, wie man eine solche Frauenfigur darstellen müsse. „Oft sehen wir Krimi-Geschichten, wo Entführer oder andere Täter im Zentrum der Inszenierung stehen“, sagt von Finckh. „Ich betrachte das als sehr problematisch, weil man damit immer den Täter fetischisiert und ihn auf eine gewisse Art als spannend erklärt – damit wird Missbrauch oder Gewalt an Frauen oft romantisiert.“

Durch diese Inszenierung entstehe auch „oft der Eindruck, dass das Einzelfälle seien. Gewalt, auch häusliche Gewalt, betrifft aber viele Frauen. Wenn wir weiterhin Täter als einzigartige Wahnsinnige erzählen, schieben wir das gesellschaftliche Problem dahinter beiseite.“

Dass sich bei diesem Projekt alle im Klaren darüber gewesen seien, dass man hier „eine andere Geschichte“ erzählen und auf das vermeintliche Opfer als Heldin fokussieren wollte, habe für sie den Unterschied gemacht. „Es ist eine Macht, die wir Opfern jeglicher Form von Unterdrückung geben können. Da bin ich sehr stolz darauf“, sagt von Finckh, die auch Botschafterin für UN Women Germany ist.

Bildsprache

Dies wollte man beim Dreh im steirischen Kumberg auch umsetzen. „Esther Rauch und Kameramann Mario Minichmayr haben total darauf geachtet, wie nah die Bildeinstellungen bei Nathalie sind und wem man die Macht in der Bildsprache gibt“, sagt von Finckh. Im Vorfeld habe sie mit Natalie Birli persönlich gesprochen und sich Interviews angesehen. „Beim Anlegen der Rolle wollte ich aber möglichst frei sein“, sagt von Finckh, aus Zeitgründen habe sie sich auch den österreichischen Akzent nicht ausreichend anlernen können.

Im März 2020 wurde der reale Täter, Christoph K., zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher verurteilt. Dominic Marcus Singer („Der Pass“), der den Entführer verkörpert, wollte K. nicht treffen. Er sagt: „Nathalie Birli ist auf jeden Fall die interessantere Person und auch die einzig relevante in dieser Konstellation. Ich hätte mich wahrscheinlich auch unwohl gefühlt, in meiner Position.“

Über die Gewalt im Film sagt er: „Natürlich ist das im Grunde unerträglich. Aber in der Abstraktion habe ich die Möglichkeit, der Frage nachzugehen: Wie kommt es zu diesen absurden, niederen, tötenden Gedanken?“ Diese „Suche nach Wahrheit“, wie Singer es nennt, sei sehr fordernd gewesen. „Es gibt auch bei anderen Filmen immer wieder explizite Szenen, aber hier war es zehn Tage lang fast durchgehend – und darum hatten wir auch durchgehende Betreuung.“

Intimitätskoordinatorin Cornelia Dworak half dabei, Grenzen abzustecken. Man müsse dann nicht selber „irgendwelche Stopper installieren, sondern kann sich besser fallen lassen“, sagt Singer.

Eine weitere Methode war: „Wir haben sehr viel geblödelt, sonst wäre das wirklich kaum auszuhalten gewesen.“

An die Substanz

Dennoch seien manche Szenen, etwa das Drehen einer Würgeszene, an die Substanz gegangen. „Irgendwann schwappt das über und man spürt das, was diese Figur eigentlich spüren sollte, weil man da stundenlang drinnen steckt. Man ist ja auch Schauspieler, weil man sowieso schon Risse in der Seele hat, die man in der Abstraktion irgendwie zusammenbekommen möchte. Hier hatte das ein Ausmaß, dass noch weitere Risse dazugekommen sind. Ich habe ein halbes Jahr praktisch alle Angebote abgelehnt und konnte nicht drehen.“

Auch Kollegin von Finckh berichtet über eine Grenzsituation, „in der ich weiter drehen wollte und Cornelia mich rausgeholt hat. Sie sagte: ,Jetzt mach mal kurz Pause.‘ Ich habe angefangen zu weinen. Mir ist etwas bewusst geworden, das Nathalie wahrscheinlich im Großen durchgemacht hat. Man funktioniert manchmal einfach und merkt danach erst, was das eigentlich für den Körper bedeutet.“

Diese Art „Autopilotmodus“ habe Birli offenbar geholfen. „Man will einfach nur überleben. Da machst du alles, um durchzukommen. So hat sie mir das auch erzählt. Der wirkliche Kampf in ihrem Leben begann aber erst, nachdem sie wieder zu Hause war und mit diesen traumatischen Erlebnissen umgehen musste. Das ist eigentlich die wahre Heldinnengeschichte.“

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