Startseite Kultur Gemein sei der Mensch, ekelhaft und voller Wut

Gemein sei der Mensch, ekelhaft und voller Wut

von Max

Regisseur Ersan Mondtag stellt zwei sich drehende Riesengebäude auf die düster gestimmte Bühne. Zuerst ein Spital, das zum Waisenheim wird, wo Toto von der angeekelten Mutter abgegeben wird. Und dann eine Absteige auf der Reeperbahn. Die leuchtende Aufschrift „Klinik“ wird – Buchstaben verlöschen – zu „Kink“, also Sexfetisch. Denn ja, auch die Geschlechtsverkehrproblemstellungen des intersexuellen Toto sind Thema in seiner unglücklichen Lebens- und Sterbensgeschichte, die hier erzählt wird.

Auf die Bühne kommt ein uneigentliches Singspiel: Schauspieler intonieren Songs (Komposition und musikalische Leitung: Beni Brachtel), die sich zuweilen herrlich rhythmisch um sich selbst drehen, und etwa davon handeln, was die Menschen jederzeit tun würden: sich geldwerten Vorteil verschaffen, einem Führer folgen, andere zerstören. Gepaart mit allerlei Szenerien des gesellschaftlichen Vernichtungswillen – selbst die Ärzte ekeln sich vor Toto, die anderen Waisenkinder zeigen mit dem Finger auf ihn, die große Jugendliebe Kasimir verleugnet am Schluss jeden Konnex – entsteht hier ein Reigen der Menschenapokalypse: Gemein sei der Mensch, ekelhaft und voller Wut.

Da steckt natürlich viel Berg’sche Wahrheit drin, und wer hier in Erwartung moralischen Trostes hineingeht, wird – so realistisch muss man sein – enttäuscht werden. In Spielfigurenkostümen in Neoprenoptik (Teresa Vergho) rollt das große Ensemble (mit u.a. Bruno Cathomas als Kasimir, Günther Eckes, Sabine Haupt) immer wieder die Mechanismen der Gemeinheit auf. Toto wird verprügelt und von den Pflegeeltern gewatscht. Toto ist Außenseiter in Ostdeutschland und Außenseiter in Westdeutschland, Toto muss in der Bar Kotze wegwischen. Toto wird ausgelacht und weggeworfen.

Happel tapst im Babygang und unerschütterlich von der Gemeinheit über die Bühne, eine Art Parsifal-Figur, nur, natürlich, ohne Erlösung. Einzig im Altersheim finden die Welt und Toto kurz zusammen: Sie – Toto wird am Schluss unfreiwillig zum Geschlechtertausch umoperiert – hält die Sterbenden im Trost, hört sich ihre Angst an. Und im Singen: Kurz sieht es so aus, als würde die Zwischenstimme zum Erfolg führen. Doch, klar, die Menschen sind schnell gelangweilt und eilen zum nächsten Event, was hier herrlich verächtlich ausgesprochen wird.

Am Schluss wird sie selbst wie ein Hund unter der Brücke zum Sterben gelassen, Kasimir demütigt sie noch ein letztes Mal, bevor sie ein verklingendes Lied über die kleinsten Träume singt.

Fast drei Stunden folgt man Toto auf dem Passionsweg des Menschlichen – „Vielen Dank für das Leben“, heißt die Romanvorlage nicht umsonst -, und vor allem nach der Pause wird es durchaus redundant. Auch das Werk ist ein Zwischending, Musiktheater-gewöhnte müssen die Ohren auf freundlich stimmen. Doch das extradüstere Coming-of-Age dieses Außenseiters darf ruhig betroffen machen: So sind wir, sorry, Herr Bundespräsident, doch.

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