Startseite Politik Gewalttäter oder Kämpfer für Gerechtigkeit: Was darf Protest?

Gewalttäter oder Kämpfer für Gerechtigkeit: Was darf Protest?

von Max

Alle anderen Schwarzen hatten ihre Plätze schon geräumt, nur sie blieb – ganz alleine – dort im Bus sitzen, wo eigentlich nur Weiße zugelassen waren: Rosa Parks, die Schneiderin aus Alabama, ist nicht nur eine Ikone der schwarzen US-Bürgerrechtsbewegung, sondern bis heute ein Lehrbeispiel für zivilen Ungehorsam. „Eine einzelne Regel oder ein Gesetz wird ganz bewusst gebrochen“, erläutert Philipp Knopp, „und das verfolgt das Ziel, die Öffentlichkeit auf ein politisches Anliegen aufmerksam zu machen. Das rechtfertigt den Rechtsbruch.“

Auch die Klimakleber der kürzlich aufgelösten Letzten Generation folgten dieser Strategie, meint der Protestforscher von der Bertha-von-Suttner-Uni in St. Pölten: „Es ist ein Weg, um Minderheiten oder schwächeren Gruppen Beachtung für ihre Anliegen zu verschaffen.“ 

Damit aber richte sich diese Form des Protests immer an die Öffentlichkeit: „Man wirft eine Frage auf, die polarisiert – und verlangt von der Öffentlichkeit, dass sie Stellung dazu bezieht.“ Man müsse also bereit sein, auch die Haltung der Gegenseite zu akzeptieren.

Niemals anonym, niemals gewalttätig

„Sich auf das eigene Gewissen zu berufen“, schränkt der deutsche Soziologe Dieter Rucht ein, „reicht als Rechtfertigung nicht. Wer protestiert, muss sich mit seinen Anliegen der öffentlichen Diskussion stellen – auch wenn die gegen einen ausgeht.“

„Klimaterroristen“ wurde die Letzte Generation oft genannt, aber zum Terror oder auch zum gewaltsamen Widerstand muss der zivile Ungehorsam eine klare Grenze ziehen. So darf eine Protestaktion nie anonym oder im Geheimen stattfinden. Eine Rosa Parks im Bus oder ein Klimakleber auf der Straße gibt sich immer zu erkennen: „Er schuldet ja der Öffentlichkeit eine Erklärung, warum es das tut.“

Eine gewaltsame Eskalation sei außerdem immer zu vermeiden. Also kein Widerstand gegen die Polizei. Schließlich erkennt man den Staat, sein Rechtssystem und auch sein Gewaltmonopol auf jeden Fall an. 

Die Klimakleber appellieren viel mehr an die Demokratie. „Man will nicht selbst die Strukturen ändern“, so Knopp, „sondern man fordert die Institutionen auf, das zu tun .“

Ziviler Ungehorsam muss gewaltfrei sein. Ob damit auch Gewalt gegen Sachen ausgeschlossen ist, bleibt umstritten. Die Klimakleber hätten Gewalt ausgeübt, etwa gegen Rettungsautos, die im Stau steckten, argumentieren Gegner. Für die Klimakleber ein heikles Argument, erklärt der Soziologe: „So kann man ihnen nämlich die moralische Rechtfertigung absprechen. Denn wer Gewalt ausübt, wird von der demokratischen Debatte ausgeschlossen.“

Der US-amerikanische Sänger Harry Belafonte (l.) schüttelt am 21. August 1964 dem US-amerikanischen Führer der Bewegung gegen Rassentrennung Martin Luther King die Hand.

  • US-Bürgerrechtler: Von Rosa Parks zu „Black Lives Matter“

Weil sie sich geweigert hatte, den Sitzplatz in einem öffentlichen Bus für einen Weißen freizumachen, wurde die Afroamerikanerin Rosa Louise Parks am 1955 festgenommen. Das löste einen  Busboykott in der Stadt aus und markierte den Startschuss für die schwarze Bürgerrechtsbewegung in den USA. Es folgten Akte zivilen Ungehorsams, etwa Sit-ins in Restaurants für Weiße.

Trotz teils brutaler Angriffe seitens der Staatsmacht auf die Demonstranten, rissen deren Bestrebungen nach Gleichberechtigung nicht ab. Letztlich mündeten diese 1965 im „Voting Rights Act“, mit dem Schikanen aufgehoben wurden, die  schwarze Wähler von den Urnen fernhalten sollten.

Doch da die Diskriminierung andauerte, radikalisierten sich Teile der Bürgerrechtsbewegung ab Mitte der 1960er-Jahre. Malcom X oder später „Black Power“ waren nicht mehr  vom gewaltlosen Ideal überzeugt. Bekannt wurde „Black Power“ bei den Olympischen Spielen 1968, als zwei schwarze Leichtathleten ihre Fäuste bei der Siegerehrung in die Höhe reckten.

Die neue Generation übte Kritik an der Ikone der Bürgerrechtsbewegung Martin Luther King, der 1964 den Friedensnobelpreis erhielt und 1968 erschossen wurde. Gegen Rassismus heute kämpfen seit 2013 die Aktivisten von „Black Lives Matter“. Bekannt wurde die Bewegung nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd, der 2020 starb, nachdem ein weißer Polizist fast zehn Minuten lang auf dessen Hals gekniet war.

Gewalttäter oder Kämpfer für Gerechtigkeit: Was darf Protest?

Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg während einer „Fridays for Future“-Demonstration in Hamburg am 21. Februar 2020.

  •  Fridays for Future: Schülerprotest für den Klimaschutz

„Skolstrejk för Klimatet“ – Schulstreik für das Klima, propagierte die damals 15-jährige Greta Thunberg. Mit dieser außergewöhnlichen Maßnahme forderte die Schwedin seit 2018 mehr Einsatz der Staaten, damit das selbst gesteckte Ziel, die Erderwärmung bis Ende des Jahrhunderts auf 1,5 Grad (im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter) zu begrenzen, erreicht werden könne. Rasch verbreitete sich die Bewegung rund um den Globus, als „Fridays for Future“ gingen weltweit Schüler an Freitagen oftmals nicht in den Unterricht, sondern auf die Straßen, um für mehr Klimaschutz zu demonstrieren.

Auch in Österreich kam es zum Unterrichtsboykott, wobei so mancher Pädagoge die Jugendlichen anhielt, zu den Kundgebungen zu gehen. Und umgekehrt war bei einigen Schülern die entfallende Mathe-Stunde mehr Motivation, an der Demo teilzunehmen, als das Klima. Der Höhepunkt der „Friday for Future“-Bewegung in Österreich war  der 27. September 2019. Laut Organisatoren nahmen landesweit rund 150.000 Menschen an Kundgebungen teil, laut Polizei nur die Hälfte. Nächster Großkampftag der Aktivisten soll der 27. September sein, der Freitag vor der Nationalratswahl.

Die Klimabewegung aber hat sich inzwischen aufgespalten. Für die „Fridays“-Aktivisten spalten radikalere Bewegungen wie die Letzte Generation die Gesellschaft. Die dagegen betrachten die Schülermärsche als wirkungslos.

Gewalttäter oder Kämpfer für Gerechtigkeit: Was darf Protest?

Die Besetzung der Hainburger Au: Am 19. Dezember kam es zum Showdown, 800  Polizeibeamte gingen mit Schlagstöcken gegen die 3.000 Besetzer vor.

  • Hainburg: Au-Besetzung und Geburtsstunde der Grünen

Alles begann mit einem Sternmarsch in die Hainburger Au am 8. Dezember 1984. Mehrere hundert Personen schlugen dann in dem Feuchtgebiet ihr Lager auf. Die Besetzung hatte begonnen, um die Rodungsarbeiten für den geplanten Bau eines Wasserkraftwerkes zu verhindern. Der Aktivismus hatte am Ende des Tages weitreichende Folgen für Ökologie und auch für die Politik.

Die damalige Bundesregierung unter Kanzler Fred Sinowatz (SPÖ)  wollte das Projekt an der Donauunter allen Umständen durchziehen. Und wusste auch den mächtigen Gewerkschaftsbund hinter sich. Auf der anderen Seite standen Umweltschützer und Prominente, wie der Journalist Günther Nenning. Auch die Kronenzeitung hatte sich auf die Seite der Besetzer geschlagen, begleitete diese wohlwollend.

Am 19. Dezember kam es zum Showdown: 800 Polizeibeamte riegelten ein  Gebiet ab, das dann gerodet wurde. Dabei gingen die Sicherheitskräfte mit Schlagstöcken gegen die  3.000 Besetzer der Au vor, Blut floss, 19 Demonstranten wurden verletzt. Am Abend desselben Tages demonstrierten in Wien 40.000 Menschen.

Unter dem Druck der öffentlichen Meinung ordnete Sinowatz einen „Weihnachtsfrieden“ an. Das Kraftwerk  wurde nie gebaut. Stattdessen ist das Gebiet heute Teil des Nationalparks Donau Auen – und die Grünen zogen 1986 erstmals in den Nationalrat ein.  

Gewalttäter oder Kämpfer für Gerechtigkeit: Was darf Protest?

5. Januar 2019: Ein Demonstrant der „Gelben Westen“ (Gilets Jaunes) während Zusammenstöße auf einer brennenden Barrikade in Paris.

  • Die Gelbwesten: Aufstand der Unzufriedenen

Weil Frankreichs Präsident Emmanuel Macron für die Energiewende eine höhere Besteuerung fossiler Brennstoffe plante, zogen wütende Bürger im Spätherbst 2018  ihre gelben Warnwesten an und gegen den Staatschef ins Feld. Die „Gelbwesten“-Bewegung war geboren – und prägte das politische Geschehen rund ein halbes Jahr lang. Eine Zeitenwende für Frankreich, in dem öffentlicher Protest und Rebellion traditionell mit linken politischen Anliegen verknüpft waren.

Die „Gelbwesten“ dagegen vereinten politische Bewegungen von rechten Nationalisten bis zu Anarchisten. Schnell wurden weitere Forderungen aufgestellt, wie eine Anhebung des Mindestlohnes und der Renten und ganz generell mehr Basisdemokratie. Dazu kam der allgemeine Frust über Macron. Jeden Samstag gingen die „Gelbwesten“ auf die Straßen, am Höhepunkt bis zu 300.000. Sie waren eine inhomogene Masse, die sich vor allem über eine diffuse Unzufriedenheit definierte und  sich vor allem über soziale Medien organisierte.

Fand die Bewegung zunächst noch Rückhalt unter den Franzosen, schwand dieser mit  der Radikalisierung der Aktivisten. Denn vermehrt kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen, inklusive Brandstiftungen und Plünderungen. Daran änderte auch ein kurzfristiges Einlenken der Regierung nichts. Diese saß die Protestbewegung aus, die sich im Laufe des Jahres 2019 buchstäblich verlief.

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