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Green Jobs sind Knochenarbeit | Wiener Zeitung

von Max

Die Energiewende bringt neue „Green Jobs“ mit sich. Denen muss man aber erst einmal gewachsen sein.

Es ist ein grauer Montagmorgen in Wien-Brigittenau. Die gerade aufgehende Sonne kann die Kälte der Nacht noch nicht vertreiben; ein eisiger Wind weht von der Donau her über das Dach des Gründerzeithauses, auf dem Sven und Mirko ihre Seilsicherung befestigen. Sie und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten werden die beiden in den nächsten Stunden davor bewahren, in die Tiefe zu stürzen, wenn sie in gut zwanzig Metern Höhe entlang der Dachkante auf den rund dreißig Grad steilen Ziegeln balancieren.

Sven und Mirko sind „Eco Roof Master“. So nennt die laufende Kampagne des Klima- und Energiefonds die Handwerker:innen, die auf dem Dach einen „Green Job“ erledigen – also einen grünen Beruf im Dienst des Klimaschutzes. Diese entstehen haufenweise im Zug der Energiewende, und wer die Werbe-Website für diese Jobs, die mit Einstiegsgehältern zwischen 1.700 und 2.000 Euro netto dotiert sind, betrachtet, fühlt sich mehr an ein buntes Computerspiel aus den Neunzigern erinnert als an bodenständiges Handwerk. Der Dachdecker wird hier zum bereits erwähnten „Eco Roof Master“, die Elektrotechnikerin zur „Green Energy Magician“, der Heizungstechniker zum „Eco Pipe Ninja“. Hinter vielen dieser stylischen Berufstitel steckt vor allem eines: harte Knochenarbeit.

Aus Dachmonteuren werden „Eco Roof Master“.

© Klima- und Energiefonds auf Instagram (Screenshot)

Mehr als eine Tonne an einem Tag

Zum Beispiel bei Sven und Mirko. Die kämpfen als erstes damit, ihr Material überhaupt aufs Dach zu bekommen. Denn die fünf Meter langen Montageschienen für die mannhohen Photovoltaikmodule sind nicht nur viel zu lang für den Lift, sondern auch für die Wendeltreppe ins Dachgeschoß. Die Lösung ist ein Seilzug durch den Innenhof direkt aufs Dach. Die 1,76 mal 1,13 Meter großen Module selbst passen immerhin in den Lift – der allerdings nur bis zum dritten Stock fährt. In die oberste Etage müssen sie zu Fuß getragen werden. Und zwar rund 50 Stück. Klingt viel, ist es auch. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die Riesentrümmer zwar eigentlich nur je 21 Kilo haben, sich aber schon in der Ebene ordentlich reinhängen beim Schleppen. Wie mag sich das erst für Sven anfühlen, der später draußen Modul für Modul durch die eigens herausgeschnittene Luke entgegennimmt, auf die Schulter packt und damit quer übers Dach marschiert, teilweise direkt entlang der Dachkante?

Blick von einem steilen Dach in die Tiefe
Photovoltaik-Montage auf dem 30 Grad steilen Dach. Zwanzig Meter geht es unter der Kante in die Tiefe.

© Renah Bau

„Es gibt härtere Jobs“, wiegelt Sven, darauf angesprochen, ab. Sein Chef Max allerdings weiß um die Anstrengung. „Es geht immer mehr auf den Körper“, sagt er. „Auch wenn nicht jeder Tag gleich hart ist.“ Ein Schrägdach wie das, auf dem Sven gerade herumklettert, ist äußerst fordernd. „Da ist die Belastung besonders groß“, erklärt Max. „Durch den Winkel, in dem man ständig auf den Ziegeln steht, ist immer eine gewisse Grundanspannung da.“ Und in dieser Grundanspannung bewegt Sven mehr als eine Tonne an einem Tag über das Dach.

Der Rücken macht nicht mehr mit

Aber so weit sind die Monteure noch längst nicht, denn zunächst heißt es Ziegel für Ziegel demontieren, für die Dachhaken abfräsen und wieder auflegen. Gut hundertmal. Das geht vor allem ins Kreuz, wie sich an Tag zwei zeigen wird: Da macht nämlich Mirkos Rücken nicht mehr mit. Nach zwei Stunden schleppt er sich gebeugt aus dem Haus, kann sich weder gerade aufrichten noch hinsetzen, man sieht ihm seine Rückenschmerzen an. Damit steht die Baustelle erst einmal still, denn während Mirko ins Spital fährt, wo eine Nervenentzündung diagnostiziert wird, darf Sven aus Sicherheitsgründen nicht allein aufs Dach, bis Firmenchef Max einen Ersatzmann organisiert hat.

Ein Foto eines Gebäudes in Wien.
Sven balanciert ein mannhohes Modul an der Dachkante entlang.

© Fotocredit: WZ

Es bleibt nicht die einzige Verzögerung. Denn die Montage der Module muss mehrmals verschoben werden, weil der Wind zu stark ist. Die Module wiegen zwar mit 21 Kilo nicht allzu viel, aber die Angriffsfläche im Wind ist sehr groß. Dazu kommt die Kälte in den Fingern, Arbeitshandschuhe hin oder her. Montiert wird nämlich das ganze Jahr über, auch im Winter. „Nur wenn es zu nass ist, gehen wir nicht aufs Dach“, erklärt Max. „Und bei Eis – aber das taut meistens die Sonne untertags weg, da geht es dann auch.“

Mit der 70-Kilo-Batterie auf der Wendeltreppe

Vier Geschoße tiefer ist die Arbeit des „Green Energy Magician“ Günther nicht wesentlich leichter, im Gegenteil. Der Elektriker installiert nämlich zusätzlich zum Wechselrichter (der den Gleichstrom aus den Photovoltaikmodulen in haushaltsüblichen Wechselstrom umwandelt – daher der Name des Geräts) auch einen Stromspeicher. Und eine Batterie wiegt 70 Kilo, also nicht viel weniger als Günther selbst. Die muss er über die Wendeltreppe in den Keller hinunterwuchten. Und das als Ein-Mann-Unternehmen – geht das überhaupt? „Irgendwie hab ich es noch jedes Mal geschafft“, stellt er lapidar fest.

Günther braucht aber nicht nur Kraft, sondern auch fundierte Software-Kenntnisse. Denn Wechselrichter und Batterie kommunizieren als smarte Geräte mit den Smartmetern im Haus, damit der Sonnenstrom möglichst effizient genutzt wird. Das bedeutet eine entsprechende App-Einschulung für den nicht besonders technik-affinen Kunden. Und damit ist erst ein Teil der Hausaufgaben erledigt, denn Günther steht ihm auch noch auf dem Weg durch den Anmelde- und Förderdschungel bei – und der ist lang und hürdenreich.

„Viele wissen nicht, was auf sie zukommt“

All das kommt in den bunten „Green Jobs“-Werbeclips nicht vor. Es wird darin zwar nicht behauptet, dass es leichte Arbeit sei – im Grund genommen erfährt man gar nichts über die Handwerksberufe, die hier mit englischen Fantasienamen versehen wurden, die sowohl Max als auch Günther ein müdes Lächeln entlocken. Zugleich zeigt sich hier wieder einmal ein Grundproblem der Handwerkslehre: „Viele wissen gar nicht, was da auf sie zukommt“, meint Max. Er würde sich deshalb mehr Praxistage für die Polytechnikum-Schüler:innen wünschen. „Als Elektriker zum Beispiel hast du am Anfang nicht viel mit Strom zu tun, da schleppst du erst einmal nur.“

Zwei Arbeiter bereiten ein Dach für die Montage einer Solaranlage vor.
Bei der Arbeit auf dem Schrägdach ist immer eine gewisse Grundspannung da, sagt Philip. Die geht in den Rücken.

© Fotocredit: WZ

Grundsätzlich findet er den Ansatz aber nicht schlecht, diese Handwerksberufe zielgruppenangepasst zu bewerben, um vielleicht auch andere Schichten anzusprechen, denn bekanntlich wird Bildung vererbt, und „leider kommen die meisten Handwerkslehrlinge nur noch aus Handwerksfamilien“. Gleichzeitig stellt er einen gewissen Standesdünkel fest: „Ich kenne tatsächlich Dachdecker oder Schlosser, die beleidigt sind, wenn man sie so nennt. Denen sind diese Berufsbezeichnungen zu altmodisch.“

„Ein großer Teil hält nicht durch“

Was Max, der eigentlich gelernter Kfz-Mechaniker ist, ebenfalls feststellt: „Ein großer Teil der Lehrlinge hält nicht durch. Auch, weil viele Monteure keine guten Lehrer sind. Die geben oft die Härte weiter, mit der sie selbst einst angepackt worden sind. Und wenn der Lehrling dann zweimal mit dem Handy spielt, ist er sowieso unten durch.“ Max erinnert sich nur zu gut an seine eigene Lehrzeit: „Wenn ich frech war, hat mich der Geselle mit der Handlampe gedroschen, bis sie kaputt war; dann hat er mich ins Lager um eine neue geschickt – und dort haben sie mich zur Sau gemacht, weil die Lampe hinüber war.“

Zurück ins Hier und Jetzt, aufs Dach des Gründerzeithauses, auf dem es am Nachmittag des vierten Tages endlich soweit ist: Max und seine Leute haben – nicht zuletzt dank des persönlichen Arbeitseinsatzes des Chefs – alle Module auf den Dachflächen fixiert, alle Kabel sind gelegt, und die Anlage liefert grünen Strom. Der Trupp ist bereit für die nächste Baustelle. Dort ist ein Flachdach dran. „Das wird ja richtig gemütlich“, kommentiert Sven. Bloß ist strömender Regen angesagt. Aber wer für grünen Strom sorgen will, darf nicht empfindlich sein.


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Infos und Quellen

Genese

WZ-Redakteur Mathias Ziegler war jüngst privat in die Montage von drei Photovoltaikanlagen involviert und hatte dabei auch selbst genügend Montagematerial von Dachhaken über Module bis Batteriepacks in der Hand, um nachvollziehen zu können, was für eine Plackerei das ist.

Gesprächspartner

Die Dachmonteure Max, Sven und Mirko sowie der Elektriker Günther waren auf derselben Baustelle zugange. Ihre Namen wurden für diesen Artikel geändert.

Daten und Fakten

  • Unter „Green Jobs“ versteht man Arbeitsplätze im Umweltsektor, die laut Definition der EU mit der Herstellung von Produkten, Technologien und Dienstleistungen zu tun haben, die Umweltschäden vermeiden und natürliche Ressourcen erhalten. Dazu gehören Bereiche wie erneuerbare Energien, nachhaltiges Bauen und Sanieren oder Wasser- und Abwassermanagement. Es sind Lehrberufe, Hilfsarbeiten oder Jobs mit akademischer Ausbildung. Waren im Jahr 2008 rund 174.206 Beschäftigte in Österreich in der Umweltwirtschaft tätig, ist dieser Wert bis 2021 (vorläufige, geschätzte Daten) auf 204.200 gestiegen. Im selben Zeitraum hat sich der Umsatz der Umweltwirtschaft von 31 auf mehr als 46 Milliarden Euro erhöht. Die umweltbezogene Bruttowertschöpfung wird mit knapp 19 Milliarden Euro beziffert, mit einem hohen Exportanteil von rund 15 Milliarden Euro. Das Management von Energieressourcen – von erneuerbaren Energien über thermische Sanierung und Dämmstoffproduktion bis Energieberatung – macht gut ein Drittel der Beschäftigten in den „Green Jobs“ aus.

  • Am Polytechnikum absolvieren viele Schüler:innen die neunte Pflichtschulstufe, bevor sie eine Lehre beginnen.

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