Das Metropol in Wien-Hernals war für die Grünen schon Schauplatz großer Tragödien und großer Freude: Eine Tragödie war für sie, als der grüne Balken 2017 bei 3,8 Prozent stehen blieb und sie im Anschluss aus dem Nationalrat geflogen sind. Große Freude brach aus, als er 2019 auf 13,9 Prozent anstieg und sie erstmals Koalitionspartner im Bund wurden.
Viereinhalb Jahre später grundelt die Partei um Spitzenkandidat Werner Kogler in Umfragen im einstelligen Bereich herum, immer knapp vor oder knapp hinter den Neos. Vor der ersten Hochrechnung wurde den Grünen 10 Prozent zugetraut – mitberücksichtigt ist da erstmals der „Hochwasser-Effekt“:
Die schweren Überflutungen im Osten Österreichs vor zwei Wochen haben das Klima-Thema wieder mehr in den Fokus gerückt – doch nach den ersten Ergebnissen kommt die Partei nicht über 8,6 Prozent hinaus.
Erste Reaktionen auf das vorläufige Wahlergebnis
Bei den Grünen herrscht kurz nach Verkündung der ersten Hochrechnung Sprachlosigkeit: Dass der eigene Balken bei 8,6 Prozent liegt, kann ja noch relativiert werden – „vielleicht tut sich in den großen Städten noch was“, heißt es da. Dass aber die FPÖ fast auf 30 Prozent hochgeschossen ist, tut vielen hier weh. Auch die Angst vor Schwarz-Blau ist in der Grünen Wahlzentrale groß.
Klimaschutz war im gesamten Wahlkampf der Grünen das zentrale Thema. Was in den viereinhalb Jahren in der türkis-grünen Regierung sonst noch gelungen ist – die ökosoziale Steuerreform, das Klimaticket, die Valorisierung der Sozialleistungen etc. – wurde eher in langen Nebensätzen erwähnt.
Dabei haben gerade diese Verhandlungserfolge zu ihrem jetzt schier überdimensionalen Selbstbewusstsein beigetragen. Mit der bunten Ökotruppe, die sie noch vor fünf Jahren waren, hat die jetzige Einheit um Vizekanzler Kogler nicht mehr viel gemein. Dass die Grünen es schaffen würden, binnen kürzester Zeit in ihren Ministerien eine straffe Organisation aufzustellen – ganz zu schweigen vom Parlamentsklub, den Sigrid Maurer fest im Griff hat – hätte 2019 wohl niemand gedacht.
Gewessler unverzichtbar
Und die Grünen sind wild entschlossen, weiterzumachen. Sie wollen wieder regieren. Auch, wenn hinter den Kulissen niemand so recht daran glaubt.
Durch ihre Durchsetzungskraft und Hartnäckigkeit – um nicht zu sagen: Rücksichtslosigkeit – gegenüber der ÖVP haben die Grünen als Juniorpartner verbrannte Erde hinterlassen. Dessen ist man sich in der Partei bewusst, wie man hört.
Eine Schlüsselperson ist dabei Leonore Gewessler. Von Sympathisanten für ihr Ja zum EU-Renaturierungsgesetz wie eine Heldin gefeiert, ist die Klimaministerin für die Türkisen spätestens seit dieser Aktion Persona non grata.
ÖVP-Kanzler Karl Nehammer hat Gewessler (ebenso wie Herbert Kickl von der FPÖ) bereits namentlich ausgeschlossen, wenn es um eine mögliche neue Regierung geht. Kogler wiederum hat klargestellt, dass Gewessler für ihn unverzichtbar ist.
Eine Chance sehen grüne Funktionäre allenfalls dann, wenn sich die SPÖ in den Sondierungen mit der ÖVP vorzeitig aus dem Rennen schießt und aus Türkis-Rot-Pink nichts wird. Auch eine Kombination aus Türkis-Pink-Grün wäre, so heißt es, theoretisch machbar – sofern die ÖVP gewillt ist, auf eine Neuauflage von Türkis-Blau bzw. Blau-Türkis zu verzichten.
Wie geht’s für die Grünen weiter?
Apropos Gewessler. Wie es für sie weitergeht, ist ein großes Fragezeichen. Dass sie für unbestimmte Zeit als einfache Abgeordnete ins Parlament geht, gilt laut jenen, die sie gut kennen, als ausgeschlossen. Gewessler wolle mehr, sie sei eine „Macherin“, heißt es da.
Seit Jahren schon wird sie als Nachfolgerin von Parteichef Kogler gehandelt – der aber hat bis dato keine Anstalten gemacht, den Platz zu räumen. In Gang gesetzt werden könnte eine Debatte, sollten die Grünen am heutigen Wahlsonntag einstellig werden, im Ergebnis also unter 10 Prozent zum Liegen kommen.
Befürchtet wird von manchen auch eine Entwicklung, wie sie derzeit in Deutschland zu beobachten ist: Hier regieren die Grünen seit Ende 2021 in einer Ampelkoalition mit SPD und FDP. Schlechte Umfrage- und Wahlergebnisse, aber auch ein gewisser Verlust der Glaubwürdigkeit an der Basis haben zu ersten Zerfallserscheinungen geführt: Kürzlich ist der Parteivorstand zurückgetreten, dann hat sich auch die Parteijugend zurückgezogen.
Das Wiener Metropol wird heute wohl auch ein Ort der inneren Einkehr, aus dem KURIER live berichtet: Wo wollen die Grünen nach viereinhalb erfolgreichen, wenn auch aufreibenden Jahren eigentlich hin? Und wer wird sie in diese Zukunft führen? Die grünen Gremien tagen offiziell erst am Dienstag.