Haben wir jetzt als Konsument:innen Einfluss oder nicht?
Vergangene Woche ist etwas sehr Trauriges passiert: Der Lebensmittelhändler markta musste Insolvenz anmelden. Bei markta bekam man Produkte von regionalen Bauern und Bäuerinnen rund um Wien, alle aus Kleinbetrieben. Das Schöne war das Konzept dahinter: All diese kleinen Betriebe, die nicht nur für den Erhalt kleinstrukturierter Landwirtschaft und damit höherer Biodiversität sorgen, sondern auch allein durch ihre geringe Größe für die großen Supermarktketten nicht attraktiv waren und so Nachteile im Markt hatten, konnten bei markta ihre Produkte verkaufen. Vom Online-Markt entwickelte sich markta weiter zum Filialisten, zwei Filialen in teuren Bezirken Wiens wurden eröffnet, die nächsten waren in Planung.
Doch nun die Vollbremsung: Nicht bei den Lieferant:innen, sondern bei markta lag das volle finanzielle Risiko – sie boten die Infrastruktur von Website bis Regalbau in der Filiale, sie mussten das Personal bezahlen, und all das sollte durch den Verkauf der Produkte finanziert werden. Logisch, dass das zu Beginn noch nicht geht. Also halfen Investor:innen aus. Als diese Gelder aufgrund des absurden Chaos, das gerade auf den Finanzmärkten dank US-Präsident Donald Trump herrscht, ausblieben, musste man die Reißleine ziehen. So erklärt es Geschäftsführerin Theresa Imre auch sehr gut in ihrem Instagramvideo.
Rezession frisst Nachhaltigkeit
markta war mehr als nur ein Bauernmarkt, es war die Idee, Bauernmärkte in die Zukunft zu begleiten. Doch was ist, wenn die Zukunft eine Mega-Rezession, explodierende Lebenshaltungskosten und völlig verrückt spielende Märkte beinhaltet? Klar, dann wird es schwierig. Nicht nur für markta, sondern auch für all die Zulieferbetriebe, die durch markta einen großen Teil ihres Umsatzes machten. Die Insolvenz von markta lässt mich sehr nachdenklich zurück.
Jahrelang behauptete ich komplett überzeugt: Die Konsument:innen haben die Macht. Denn sie entscheiden, wo ihr Geld hingeht. Doch irgendwann habe ich das nicht mehr so überzeugt vor mir hergetragen. Ich kann sogar genau sagen, ab wann ich es hinterfragt habe: Als H&M mir mit genau diesem Slogan um die Ecke kam. Ein Fast Fashion produzierender Konzern, der halt auch ein paar Teile produziert, die ein bissl nachhaltiger sind als die Zehn-Euro-Polyesterbluse, erklärt mir, dass ich mit meinem Konsum bestimmen kann, wo es langgeht?! Wie bitte? Da spielen doch wohl auch noch ganz andere Dinge rein, gerade bei Konzernen – und diese Konzerne sitzen außerdem an einem sehr viel längeren Hebel als ich.
Also entfernte ich mich von diesem Mantra, das ich im Nachhinein als verdammt neoliberal identifizierte. Es war doch nix anderes als das klassische „DU KANNST ES SCHAFFEN“-Tellerwäscher-Millionär-Gschichtl. Aber eines ist klar: Ganz unschuldig sind die Konsument:innen nicht. Eine Teilverantwortung liegt natürlich in ihren Kaufentscheidungen! Da können wir uns nicht rausargumentieren.
Welchen Wert geben wir Lebensmitteln?
Als ich von der für mich sehr überraschenden Insolvenz von markta hörte, war dieser Gedanke wieder sehr präsent: Gerade in diesem Konzept lag natürlich auch Verantwortung bei den Konsument:innen. markta selbst hat so viel richtig gemacht – die Filialen wurden im 8. und im 7. Bezirk aufgemacht, an stark frequentierten Stellen. Stark frequentiert auch von vielen Menschen, die es sich leisten konnten, höhere Preise für Lebensmittel zu zahlen. Diese Bezirke gelten als jene, in denen Menschen mit einem höheren Bewusstsein für Nachhaltigkeit wohnen (hat hier jemand Bobos gesagt?). Doch es hätte noch mehrere dieser Läden gebraucht, um das ganze System dahinter – es gab über 250 Lieferant:innen – zu tragen. Und es hätte mehr Umsatz gebraucht.
Jetzt kam das Ende und umgehend tobte man sich in den Kommentarspalten aus – markta war viel zu teuer. Sie waren kein Vollversorger und damit keine Konkurrenz zu Billa, Spar und Co. Dass sie diesen Anspruch nie stellten, sondern schlicht und einfach eine Plattform für viele kleine Landwirt:innen waren, ist den Konsument:innen in ihrem Anspruchsdenken anscheinend egal. Doch das Preisargument, das macht mich langsam echt fuchtig. GERADE im Fall von markta.
Ich möchte sie jetzt nicht über den Klee loben, aber man muss einfach feststellen: markta stand und steht für eine Alternative im Lebensmittelbereich. Sie machen’s anders als ein Supermarkt. Nicht mehr und nicht weniger. So viele Menschen erklären mir bei allen möglichen öffentlichen Auftritten seit 15 Jahren (!), dass sie ja nuuuur regional und wenn geht bio kaufen. Ganz wenig Fleisch, aber wenn, muss es bio sein oder Wild, weil ein Freund von einem Freund von einem Freund sei Jäger. Und sie spenden für die Rettung der Bienen, Imkerei ist ja sowas Spannendes und Bienen sind ja sooo wichtig (den Unterschied zwischen Wildbienen und Honigbienen kennen viele nicht, denen empfehle übrigens ich die Expertise von Dominique Zimmermann und ihr Buch „Insektengeflüster“).
Der Anteil sinkt
Dann kam markta daher und bot genau diesen Leuten eine Anlaufstelle – Honig von engagierten Imker:innen in und um Wien, doch gekauft wurde das gepanschte Zeug im Supermarkt ums Eck. Das Fleisch-Argument glaube ich sowieso nicht mehr, gerade in konventionellen Supermärkten ist das Fleischangebot riesig und der Bioanteil davon nicht. Und jetzt sagen alle, uuuh, markta war sooo teuer.
Nein, bei markta war der Preis so kalkuliert, dass alle in der Lieferkette fair verdienen. Aber unser Zugang zum Lebensmittelkonsum hat sich einfach radikal verändert. Während in den 1960ern noch gut 35 Prozent des Haushaltseinkommens in Lebensmittel gingen, sank dieser Anteil in den Folgejahrzehnten immer weiter. In den frühen 2020ern lag er nur noch bei etwa zwölf Prozent und stieg durch die Inflation wieder leicht an. Nicht nur sind so viele andere Kosten dazugekommen – höhere Mieten, elektronische Gadgets, Internetkosten usw. –, wir haben auch den Wert für den echten Preis von Produkten durch den globalen Warenhandel mit Lebensmitteln verlernt. Und wir denken im Diskonter nicht darüber nach, ob bei jedem Sackl Nudeln jeder in der Lieferkette fair bezahlt wurde.
Niemals würde ich jemandem vorwerfen, dass er oder sie sich Lebensmittel nicht leisten kann. Ja, es geht sich oft schlicht nicht aus. Doch gerade an jene, denen Nachhaltigkeit wichtig ist und die es sich leisten könnten, appelliere ich: Denkt über die Gewichtung in euren monatlichen Ausgaben nach, wenn ihr es könnt. Statt dem dritten Streaming-Abo könnten diese 15 Euro einen echten Unterschied für einen bäuerlichen Kleinbetrieb machen. Und genau da haben wir Konsument:innen doch eine Verantwortung, auf die wir achten sollten.
Nunu Kaller schreibt alle zwei Wochen eine Kolumne zum Thema Nachhaltigkeit. Alle Texte findet ihr auch in ihrem Autor:innenprofil.
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