Für die Angehörigen vier israelischer Geisel ist es nun zur Gewissheit geworden: Ihre von der Terrorgruppe Hamas entführten Verwandten sind tot. Ihre Leichen wurden im Gazastreifen an Israel ausgehändigt.
Über das Schicksal vieler anderer Menschen, die bei dem verheerenden Hamas-Massaker im Oktober 2023 verschleppt wurden, herrscht jedoch Ungewissheit. So zum Beispiel über den Verbleib von David Cunio: Der 34-jährige Familienvater war gemeinsam mit seiner Familie am 7. Oktober aus dem Kibbuz Nir Oz von den Terroristen entführt worden. Seine Frau und die beiden Töchter wurde im Zuge eines Gefangenaustausches freigelassen, Cunio befindet sich noch immer in der Gewalt der Hamas. Ihm hat der israelische Filmemacher Tom Shoval nun einen Brief geschickt – in Form eines Filmes, der auf der Berlinale gezeigt wurde: In seiner Dokumentation „A Letter to David“ erinnert Shoval an seinen entführten Schauspieler-Freund Cunio.
Tatsächlich gibt es wohl kaum einen anderen Beitrag im Festivalprogramm, der so eng mit der Berlinale verbunden ist wie „A Letter to David“. Shoval hatte für sein Regiedebüt „Youth“ ein Bruderpaar gesucht und David Cunio, gemeinsam mit seinem eineiigen Zwilling Eitan, für die Hauptrolle ausgewählt.
Erzählt wird die Geschichte zweier Brüder, die ein Mädchen entführen, um mit dem erpressten Geld ihren verschuldeten Eltern zu helfen. „Youth“ lief 2013 im Programm der Berlinale. Zwölf Jahre später kommt Shoval nun mit seinem traurigen Nachfolgewerk zurück.
Nachdem der Regisseur von der Entführung seines ehemaligen Hauptdarstellers erfahren hatte, kehrt er sich der Vergangenheit zu und grub Aufnahmen von David und Eitan Cunio aus, die im Zuge des Casting-Prozesses entstanden waren. David hatte damals mit einer Videokamera begeistert sein Leben im Kibbuz gefilmt und in hinreißenden Aufnahmen Freunde und Familie porträtiert.
Politische Abstinenz
Zu den glücklichen Aufnahmen von damals steht die Gegenwart in schrecklichem Gegensatz: Tom Shoval besucht Eitan Cunio, der in den Trümmern seiner verbrannten Wohnung in Nir Oz steht. Mit gequälter Stimme erzählt er davon, wie er sich mit seiner Familien in einem Sicherheitsraum seiner Wohnung einschloss, während die Terroristen das Haus anzündeten. Seine Berichte davon, wie der aufkommende Rauch ihn und seine Familie beinahe erstickt hätte, ist niederschmetternd.
Politische Analysen der Situation lässt Tom Shoval weg. Er konzentriert sich ausschließlich auf die Trauer der Familie von David Cunio, der – wie es der Regisseur ausdrückt – von der Gegenwart gekidnappt wurde.