Startseite Kultur „Ich dachte, der ,Tristan’ bringt mich um“

„Ich dachte, der ,Tristan’ bringt mich um“

von Max

Abokonzert mit den Wiener Philharmonikern, derzeit „Arabella“  und demnächst „Lohengrin“ an der Staatsoper: Stardirigent Christian Thielemann wird derzeit in Wien intensiv gefeiert.

KURIER: Sie werden in Wien verlässlich vom Publikum gefeiert. Ist so eine Liebe, die man von einer Stadt bekommt, etwas, um das man sich sorgt, von dem man auch Angst hat, dass es einmal erlahmt?

Christian Thielemann: Das ist eine sehr, sehr große Verantwortung. In Wien ist ja nur das Beste gut genug, alle geben sich die Klinke in die Hand, Wien ist, wenn Sie so wollen, die Welthauptstadt der Musik. Das Publikum weiß sehr genau zu werten! Ich bin immer beeindruckt von dem abgestuften Applaus: Gute Leistungen werden auf die eine Art gewürdigt, bessere Leistungen anders, sehr gute wieder anders. Wenn man weiß, dass die Leute so viel davon verstehen, ist man besonders gut vorbereitet. Das ist für mich sowieso immer wichtig, auch vor dem Orchester. Da wird man beurteilt, wie gut man kapellmeisterlich vorbereitet ist. Denn es braucht dieses Exakte, sonst klappt nichts.

Denken Sie sich manchmal: Aber heute war ich eigentlich besser (oder schlechter), als das Publikum meint?

Ich hatte manchmal Aufführungen, nach denen ich dachte, naja, ich weiß nicht. Aber Menschen, denen ich vertraue, meinten: Das war ganz fabelhaft. Und ja, auch umgekehrt, dann sagten sie, ja, das war eine gute Aufführung, aber die letzte war spannender. Wenn das Publikum nicht mitzieht, dann fehlte die Atmosphäre. Es geht manchmal nicht nur um Präzision oder um vokale Sonderspitzenleistung, sondern es geht immer um das gesamte Paket. Wenn auch mal etliche Dinge im Orchester schief gehen – was auch passieren kann, das sind ja alles nur Menschen! –, dann fällt das oft gar nicht ins Gewicht, wenn die allgemeine große Atmosphäre stimmt. Ich höre öfter legendäre Aufnahmen an, Furtwängler, Knappertsbusch. Da sind auch mal Tempi auseinander oder die Intonation ist nicht so toll. Aber die Aufführung hat eine derartige Atmosphäre, dass man das überhört.

Wien erhebt ja das Drüberschludern zur Kunstform.

Die Mentalität in Wien ist ja merkwürdigerweise der Berliner Mentalität relativ nah, dieses Direkte, Nörgelige, das sich manchmal schnell Beklagende, das kenne ich aus Berlin. Deswegen habe ich mich in Wien mit dem Orchester gleich so zuhause gefühlt. Und inzwischen bin ich in einem Alter, dass ich Jüngere im Orchester anlernen kann. Dieser Generationenwechsel ist eine hochspannende Angelegenheit. Es freut mich, dass ich hier sozusagen der Erste bin, der den Klang mitbestimmt. Da bin ich auch nicht ungeduldig, es ist meine Verantwortung, den Qualitätsstandard hochzuhalten.

In Berlin wiederum haben sie ein Haus übernommen, das 30 Jahre lang den gleichen Musikdirektor hatte. Ist das nicht schwierig?

Daniel Barenboim und ich sind sehr gute Freunde, er war in meinem Leben und meiner Karriere extrem wichtig. Und wir sind uns musikalisch recht nah. Er hat das Orchester zu einem wirklich spektakulär guten Zustand gebracht. Ich habe zu ihm gesagt: Du hast den Tisch gedeckt, und ich muss den ab jetzt in Ordnung halten, das Besteck putzen, auch mal Teller abservieren.

Die Sorge war zuletzt, dass das, was auf diesen Tellern angerichtet ist, viel karger wird: Berlin will 130 Millionen Euro bei der Kultur sparen. Um die Debatte wurde es ruhig. Wie steht es da?

Wir sind hinter den Kulissen in intensiven Gesprächen, das ist derzeit stille Diplomatie. Man muss immer bedenken, dass die Fixkosten eines Theaters 80, 85 Prozent ausmachen. Wenn man also spart, geht das an die Anzahl der Premieren, an die Sänger, die man einlädt. Das ist genau falsch, die Menschen müssen doch gern ins Theater gehen.

Sie haben im Herbst einen Satz gesagt, von dem ich dachte: Na hoffentlich altert der nicht schlecht. Dass nämlich in Wien niemand daran denkt, den Kulturetat zu kürzen. Seitdem wird aber hier das Budgetdefizit immer größer, es steht in vielen Bereichen Sparen bevor. Wie und ob die Kultur betroffen ist, weiß man noch nicht.

Es möge Ihnen erspart bleiben! Es wäre aber auch sträflich. Die Menschen kommen ja nicht nur hierher, weil Wien eine schöne Stadt ist und sie Sachertorte oder Tafelspitz essen wollen. Sondern wegen der Oper oder der Kunst. Ich habe manchmal das Gefühl, es gibt ein derart begeistertes Wiener Publikum, das geht in den Musikverein und dann gleich anschließend in die Staatsoper und gar nicht mehr nach Hause. Manchmal denke ich, die schlafen in der Oper und waschen daheim nur die Wäsche. Und jeder Tourist lässt viel Geld hier. Wenn man an allem dem zu viel dreht, sägt man sich den Ast ab, auf dem man sitzt.

Wovon das Publikum meist weniger begeistert ist, ist die Regie. Da wird verlässlich gebuht, was das Zeug hält. Es scheint die Oper allgemein hier in einer verzwickten Lage zu sein.

Ich bin überzeugt, dass man etwas wagen muss. Das wäre doch Quatsch, das nicht zu tun. Und dann wird es immer Menschen geben, die unzufrieden sind. Manchmal könnte ein Direktor auch zugeben, dass man sich geirrt hat, und eine neue Inszenierung beauftragen. Am besten ist, für alle Geschmäcker etwas im Kasten zu haben. Vor allem auch für das junge Publikum. Das liest im Opernführer, wo die Werke spielen sollen, in Neapel oder Nürnberg, und dann kommen sie in die Oper, und das spielt in der Tiefgarage. Wenn man sich gut im Repertoire auskennt, kann man offen für Neues sein.

Philippe Jordan musste bei der „Don Carlo“-Premiere aber sogar die weiße Fahne schwingen, weil so viel gebuht wurde.

(lacht) Ja, das fand ich sehr humorvoll, dass Philippe hier sagte: Hallo, hallo, wir sind auch noch da! Ich nehme so etwas selbst auch mit Humor, weil ich schon so viel erlebt habe. Ich finde es furchtbar, wenn die Musik leidet. Aber das Publikum muss auch die Möglichkeit haben, seine Meinung zu sagen. Das Schlimmste ist, wenn Sie Meinungsfreiheit unterdrücken. Das gilt für alle, auch für die, mit denen ich nicht einverstanden bin. Und wenn es dann mal eskaliert, ja, das ist halt Theater. Das würzt das Leben, das darf man nicht so verbissen nehmen.

Sie stehen wie kein anderer für das Repertoire, das Sie gerade in Wien leiten, Wagner und Strauss. Wacht man da manchmal auf und sagt sich, ach, ne, nicht schon wieder, das habe ich jetzt dann doch durchgespielt?

Die letzte „Arabella“ habe ich vor sieben Jahren dirigiert! Ich musste mich da wirklich reinfuchsen, ich habe eine Weile gebraucht, bis ich das Stück wieder so gut drauf hatte. Manches, wie den „Lohengrin“, dirigierte ich zuletzt wohl öfter, obwohl der Eindruck oft täuscht. Aber ja, man muss schauen, dass man einzelne Werke nicht zu oft wiederholt.

Den „Tristan“ wollten Sie ja gar nicht mehr dirigieren!

Den Schwur habe ich wieder gebrochen. Zwölf Jahre lang habe ich keinen gemacht, weil mich der 2003 in Wien so angestrengt hatte. Ab 2015 aber hab ich in Bayreuth und dann auch in Dresden dirigiert. Und nun habe ich mit dem Werk auch wieder meinen Frieden geschlossen. Mit zunehmender Erfahrung lernt man, wie man den Bogen auch mal runternimmt. Aber wenn Sie jünger sind, ist alles so wahnsinnig aufregend, dass Sie sich an diesem Lavastrom verbrennen. Ich habe dieses Stück immer geliebt. Und gehasst, denn ich dachte mir, der „Tristan“ bringt mich um. Aber dann habe ich ihn ein wenig gezähmt. Denn er muss aufgeführt werden, sonst liegt er nur im Kasten rum, als Partitur.

Stardirigent Christian Thielemann: "Ich dachte, der ,Tristan’ bringt mich um“

Es müssen, so stellt man sich vor, ja diese emotionalen Stürme, in denen man da Abend für Abend steht, dem Dirigenten überhaupt an die Substanz gehen. Stimmt das?

Ja, klar! Sie müssen gesund leben. Ich trinke grundsätzlich einen Tag vor der Aufführung keinen Alkohol. Ich versuche gut zu schlafen vor der Aufführung, und alles das zu machen, damit die Auführung von mir die größte Konzentration erfährt.

Das dürfte bei so vielen Aufführungen schwierig sein.

Manche sagen: Der macht weniger als die anderen Dirigenten. Aber mein Kalender ist derart voll, ich finde das zu viel! Man muss auch ein Privatleben haben. Es hat doch überhaupt keinen Sinn, eine schöne Karriere, aber überhaupt keine Freunde zu haben. Man muss auch Dinge machen, die überhaupt nichts mit Musik und den entzückenden Herrschaften im Musikleben zu tun haben. So nett und so toll die alle sind. Es ist in jeder Beziehung gut, wenn man sich mal eine Weile nicht sieht.

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