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Ich kaufe meine erste Aktie – im Pyjama

von Max

Gerade krame ich noch nach dem Ausweis, da poppt er auf dem Bildschirm meines Handys auf. Ein Typ mit Headset. Offenbar im Homeoffice. Ich bin wie festgefroren, blicke ihn entsetzt an und versuche zu eruieren, ob es sich hier um einen echten Menschen oder eine KI handelt. „Guten Abend! Bitte den Ausweis in die Kamera halten.“ Echter Mensch also. Mechanisch halte ich den Ausweis hoch, biege und schwenke ihn wie angewiesen und versuche, die Fassung zurückzugewinnen. „Geburtsdatum?“ Hab ich vergessen.

Meine Gedanken kreisen um die Schlaffrisur und den Pyjama, den ich an diesem Freitagabend trage. Kurz bevor ich entschied, jetzt noch schnell das Depot beim Online-Broker zu eröffnen. „Einmal kurz stillhalten, ich mache ein Foto“, sagt der Typ und hält den wohl unelegantesten Einstieg in die Börsenwelt auch noch bildlich fest.

Sparen Sie noch?

Den Entschluss, hart erarbeitetes Geld zu investieren, traf die Inflation für mich. Sind 1.000 gesparte Euros binnen eines Jahres (von 2023 auf 2024) auf dem so gut wie nullverzinsten Sparkonto plötzlich nur mehr knappe 900 wert, beginnt man umzudenken. (Wer es nicht glaubt, schaut in den Kaufkraft-Rechner der Raiffeisen-Bank.)

Also machte ich meine Hausaufgaben. Hörte Podcasts, las Bücher (Tipps gibt es weiter unten) und begann, darauf zu vertrauen, was scheinbar alle Finanzexperten raten: Auf Sparkonten nur den Wohlfühl-Notgroschen parken (eine beliebige Anzahl an Netto-Monatsgehältern, aber maximal zwölf) und den Rest investieren. Die Österreicher folgen diesem Beispiel nur ungern, zeigt die Wertpapier-Studie der Arbeiterkammer. Sicherheit geht vor, auch wenn sie einem über die Jahre viel Geld kostet. 

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Über 40 Prozent nutzen Sparkonten oder den guten, alten Bausparer. Lediglich 18 Prozent setzen auf Aktien. Dabei sind die mit fünf Prozent Realrendite die klaren Anlagegewinner, zeigt eine globale Studie der Credit Suisse, die 123 Jahre zurückgeht. Sofern man die richtige Strategie anwendet.

Gut, dass es nur eine gibt

Wer sein Geld in Aktien investiert, muss damit rechnen, Verluste einzufahren. Eine vergleichsweise sichere und günstige Variante für Einsteiger gibt es trotzdem – da sind sich Experten einig. Auch Robert Karas, Chief Investment Officer der Gutmann Privatbank, der sich in der Wiener Filiale Zeit für eine Beratung nimmt: „Am einfachsten ist es, mit einem ETF auf den Weltaktien-Index zu gehen und von der breiten Streuung zu profitieren.“ Man kauft also keine Einzelaktie, sondern gleich Tausende, die einen ganzen Index abbilden.

Jedem ein Begriff ist hier der MSCI World, der 1500 Unternehmen weltweit zusammenfasst und sehr solide performt. Vom Tisch ist die Einzelaktie deshalb nicht, aber dazu später mehr. Zuerst geht es an die ETF-Auswahl mit Finanzmathematikerin und Ex-Immofinanz-Aufsichtsrätin Larissa Kravitz – auch bekannt als Investorella.

Larissa Kravitz kauft mit 14 Jahren bereits ihre ersten Aktien. Sie studiert Bank- und Finanzwirtschaft sowie Quantitative Trading and Financial Engineering und arbeitet als Aktienhändlerin. Mit 32 ist sie Aufsichtsrätin bei Immofinanz. 2019 machte sie sich unter dem Label Investorella selbstständig, hat einen Podcast und schreibt Bücher. Ihre Mission ist es, die finanzielle Autonomie von Frauen durch Bildung zu stärken.

Die Checkliste der ETFs

Schon im Vorfeld habe ich mein Auge auf zwei ETFs geworfen. Auf breit gestreute, die einem so gut wie jeder Finfluencer nahelegt. „Das ist schon mal gut“, bestätigt Kravitz die Auswahl. „Die meisten Leute machen verrückte Sachen. Deswegen habe ich einen Workshop, der Gruselkabinett des Portfolios heißt.“ Unoriginell ist mein Sparplan also nicht, trotzdem werde ich ihn ändern, sobald wir die Checkliste durchgehen.

Zu beachten gibt es viel, zu finden ist das meiste in den Factsheets der jeweiligen Sammelaktie (auf extraetf oder justetf.com). Relevant sind etwa der Tracking Error, der anzeigt, wie genau der Anbieter den Index kopiert. Weiters interessant ist, wie oft der Index angepasst wird, ob der ETF ausschüttend oder thesaurierend ist und wie es um die Renditen und Volatilität steht. Auch Name und Inhalt gehören überprüft. Sonst könnte es passieren, im Nachhaltigkeits-ETF einen Erdöl-Konzern vorzufinden.

„Die Sache ist: man braucht keine Einzelaktie mehr. Stattdessen geht man breit in den Aktienmarkt“

„Du würdest ja auch keinen Typen heiraten, nur weil dir der Vorname gefällt“, verdeutlicht Kravitz. Der erste Punkt beim Rundum-Check ist jedoch ein anderer: die Gebühren. „Ältere ETFs sind tendenziell teurer“, sagt Kravitz. Jedoch hätten diese für Anfänger einen Vorteil: sie sind stabiler, haben ein ordentliches Volumen und laufen weniger Gefahr, eingestellt oder fusioniert zu werden. Hier wäre dann Erfahrung von Vorteil. Ich denke an den ETF meiner Wahl – er ist nur ein paar Jahre alt und wird es daher nicht ins Depot schaffen.

  1. Aktien sind historisch gesehen die besten Renditebringer. Aber sie schwanken, was ein Nachteil sein kann, wenn man Geld entnimmt. Deswegen empfiehlt Kravitz, diese drei weiteren Anlageformen verstehen und anwenden zu lernen, um sich langfristig ein Vermögen aufzubauen:
  2. Immobilien bringen nicht besonders viel Rendite, sind aber in europäisch-urbanen Gegenden weit weniger volatil als Aktien. Außerdem bieten sie einen guten Inflationsschutz
  3. Gold ist für all jene, denen der Aktienmarkt zu kompliziert ist, ein gutes Einstiegsprodukt, so Kravitz. Besonders vorteilhaft am Gold ist die Beständigkeit und dass es größtenteils mehrwertsteuerfrei ist
  4. Anleihen sind dem Sparbuch sehr ähnlich, aber bei kurzer Laufzeit weiß man genau, was man zurückbekommt

Keine Klumpen bilden

Was Kravitz an meinem Sparplan von zwei ETFs schätzt, ist die Streuung. Die hat nämlich nichts mit der Anzahl zu tun. „Man kann mit zwei Wertpapieren besser diversifiziert sein, als mit 60“, sagt sie. 

Dazu ein Beispiel: Nimmt man zwei ETFs, etwa den MSCI ACWI und den MSCI World, kann ein Klumpenrisiko entstehen. Denn inhaltlich sind sie in vielen Teilen ident. Haben einen starken Tech- und USA-Fokus und Firmen wie Apple und Microsoft an vorderster Front. „Das ist wirklich gefährlich“, sagt Kravitz. 

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Gibt es in diesem Sektor einen Crash, reißt plötzlich das gesamte Portfolio ab. Das ließe sich verhindern, indem man – wie ich – auf Industrie und Entwicklungsländer gestreut hätte. Und damit sicherstellt, dass, wenn der eine Markt kracht, der andere vielleicht gerade floriert. Und kracht einmal die ganze Weltwirtschaft, ist das schlecht gehende Depot wahrscheinlich sowieso das geringste Problem.

Und die Einzelaktie?

Das erste Investment ist somit beschlossene Sache. Allerdings nimmt mit einem ETF-Sparplan, der bestenfalls bis zur Pension läuft, die Karriere als umtriebige Aktionärin ein schnelles Ende. Also nochmal zurück zu den Einzelaktien.

Finanzanalyst Robert Karas baut privat ausschließlich auf diese. Trotzdem betont er, die erste Unternehmensbeteiligung immer nur als Testballon anzugehen. Sprich, in einer Größe, deren Totalverlust man verschmerzen kann. Denn einfache Antworten gibt es, anders als bei den Indexfonds, keine. „Will man in Aktien investieren, muss das Interesse einsetzen. Sonst würden wir alle einen Unikurs belegen“, sagt Karas und ergänzt: „Es ist wie ein Schachspiel, wo sich Regeln und Mitspieler dauernd ändern.“

Erfahrungsbericht: Ich kaufe meine erste Aktie – im Pyjama

Robert Karas ist Chief Investment Officer der Bank Gutmann und seit 2022 Partner. Der Top Asset Manager und ausgebildete Finanzanalyst (CFA) verfügt über jahrzehntelange Erfahrung sowie internationale Expertise. Privat setzt er auf Einzelaktien und bleibt diesen am liebsten jahrzehntelang treu. 

Bis man souveräne Entscheidungen trifft, könnten Jahre ins Land ziehen. Beliebte Anfängerfehler ließen sich aber vermeiden. „Ich würde davor warnen, in Dinge zu investieren, die die Schlagzeilen beherrschen“, sagt Karas. Denn sind sie erst einmal dort gelandet, liegt der beste Kurs oft in der Vergangenheit. 

Eine breite Streuung würde auch das Geschäft mit der Einzelaktie sicherer gestalten. An Investoren-Legende Warren Buffett, der die Hälfte seines Portfolios in nur einer Aktie (Apple) hat, sollte man sich deshalb als Anfänger nicht orientieren, rät Karas. Genauso wenig wie am Preis der Aktie. „Der hat eigentlich keine Bedeutung.“

„Man vergibt sich etwas, wenn man nicht die Mechanismen des Kapitalismus kennenlernt“ 

Interesse statt Trading

Auf den Weg gibt er mir, zunächst auf Unternehmen zu setzen, wo ein persönlicher Bezug besteht. An deren Geschäftsmodell man glaubt und an dem man langfristig teilhaben will. So habe man einen Steuer-Schonungseffekt. „Solange ich nicht verkaufe, zahle ich keine Steuern“, erklärt der Finanzanalyst. Trading, also kaufen und im richtigen Zeitpunkt verkaufen, scheidet für mich als Einsteiger somit aus.

Zurück auf dem Sofa kaufe ich vier Aktien eines Getränke-Konzerns. Ohne Limit, ganz nach Marktpreis. Lange Durststrecken kann es zwar auch bei weltbeherrschenden Unternehmen wie diesem geben, so Karas, ein Totalverlust sei aber unwahrscheinlich. Als sie im Depot aufscheinen, ist die Aufregung groß. Und der Kurs gefallen.

Noch ein Selbsttest

Auch KURIER-Wirtschaftschef Robert Kleedorfer machte einen Selbsttest. Im Aktiengeschäft ist er zwar seit Jahren versiert – mit seinem neuen Direktbroker legte er dann aber trotzdem keinen leichten Start hin. Lesen Sie mehr in: Der KURIER-Wirtschaftschef und das Broker-Depot

Haftungsausschluss: Die im Artikel besprochenen Investments dienen ausschließlich der unverbindlichen Information und ersetzen keine professionelle Beratung. Weder stellen diese Angaben ein Angebot, eine Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes zum Kauf oder Verkauf der erörterten Finanzprodukte noch eine Erbringung von Anlageberatung dar. Der KURIER übernimmt insbesondere keine Haftung für künftige Kursentwicklungen.

Buch:

  • „Das einzige Buch, das du über Finanzen lesen solltest“ von Thomas Kehl und Mona Linke hat sich bereits über 400.000 Mal verkauft. Die Autoren vermitteln niederschwellig Aktienwissen und praktische Tipps, wie der Einstieg an der Börse gelingt.
  • „Mach mehr aus deinem Geld“ von Christiane von Hardenberg gibt ebenfalls einfach anzuwendende Tipps und praktisches Finanzwissen auf den Weg. Ein starker Fokus liegt darauf, wie sich mittels Immobilien ein Vermögen aufbauen lässt.

Podcast:

  • „Investorella“ von Larissa Kravitz vermittelt kurzweilig und informativ alles, was es zum Thema Finanzen, Ausgaben und Vermögensaufbau zu wissen gibt. Insgesamt 76 Folgen sind bereits überall dort, wo es Podcasts gibt, abrufbar. Es gibt sowohl kurze Folgen (Was läuft falsch in meinem Depot, 12 Minuten) als auch ausgiebige Episoden (Bitcoin: schöne neue Kryptowelt, 76 Minuten)
  • „Ziemlich gut veranlagt“ von KURIER-Wirtschaftschef Robert Kleedorfer und kronehit-Journalist Rüdiger Landgraf geht ordentlich in die Tiefe und beschäftigt sich (dennoch einfach verständlich) mit Aktien, Fonds, ETFs und Geldanlage. Etwa: ob die Amazon-Aktie noch eine gute Wahl ist

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