Ich seh die Fotos, die du machst. Ich seh die Nachrichten, die du schreibst. Ich seh die Orte, an die du gehst. Und du siehst mich nicht. Ich seh, ich seh, was du auch siehst.
Es ist ein Kinderspiel, die Spionage-Software Mspy auf einem Handy zu installieren. In wenigen Minuten ist die Trojaner-App eingerichtet. Die Software läuft unerkannt im Hintergrund, meist ohne Kenntnis der Betroffenen. Sie wissen nicht, dass ihre Suchverläufe im Web beobachtet werden, dass bei Telefonaten jemand mithört und dass jeder Buchstabe, den sie tippen, getrackt wird. Und das meist von Personen aus ihrem direkten Umfeld.
Der Schweizer Hackerin und Journalistin Maia Arson Crime wurde ein Datensatz von 3,6 Millionen Mails zugespielt, die weltweit an den Mspy-Kundensupport geschrieben wurden. Sie übergab die Daten an die Non-Profit-Organisation „ddosecrets“, die sie am 23. Juni vergangenen Jahres auf ihrer Website veröffentlichte. Die WZ hat sich die Daten angesehen – und nach österreichischen E-Mail-Adressen gefiltert. Sie stammen von rund 2.000 Menschen. Unter ihnen sind Anwälte, Polizisten, eine hochrangige Politikerin. Aus allen Gesellschaftsschichten haben sich Menschen für die App interessiert oder sie genutzt.
Als Spionage-App sieht die Firma Mspy, die ihren Sitz in Tschechien hat, ihr Produkt nicht. Sie verkauft es als legale Telefonüberwachung für Kinder. Auf ihrer Website wirbt sie damit, dass Eltern ihre Kinder mit der App vor „Cybermobbing, Online-Kriminellen, unangemessenen und gewalttätigen Inhalten und anderen Online-Gefahren“ schützen können. Die Chat-Verläufe von Nutzer:innen an den Mspy-Kundensupport zeichnen ein anderes Bild: Die App wird oft illegal verwendet.
Kunde: „Das Zielhandy wird wirklich ohne irgendwelche Nachrichten oder sonstiges geknackt?“
Mspy: „Bitte beachten Sie, dass es auf einem Telefon völlig unsichtbar und absolut nicht erkennbar ist. Niemand wird erfahren können, dass er verfolgt wird.“
Kunde: „Ich möchte das Zielhandy (…) durchsuchen können und orten können (…) Callrecorder und Fernverfolgung (…) ich will alles, was möglich ist, auf dem Zielgerät installieren.“
Diese Anfrage an die Spionage-Software Mspy ist eine von vielen, die zeigt wie Menschen in Österreich ihre Partner:innen, Kinder oder Mitarbeiter:innen ausspionieren wollen.
Wie es sich anfühlt, überwacht zu werden
Ein Opfer der illegalen Überwachung mit Mspy ist Michael (Name von der Redaktion geändert). Durch Zufall entdeckt ein Antiviren-Programm, dass Michaels E-Mail-Adresse von Mspy genutzt wird. Er wendet sich an den Support der Software-Firma, die ihn darauf hinweist, dass die App vollkommen legal sei und Kunden nicht ermutigt werden, Mspy illegal zu nutzen. Michael berät sich mit einem Anwalt, er möchte klagen. „Nach Absprache mit meinem Anwalt hat er mich aufgefordert, Ihnen zu schreiben. Sollten Sie es weiterhin zulassen, dass mein Handy ausspioniert wird, werde ich klagen“, droht Michael einem Mitarbeiter von Mspy. Michael versucht herauszufinden, ob sich jemand in seinem Umfeld verdächtig verhält, ob jemand mehr weiß, als er wissen sollte. Seine Nachforschungen führen ins Nichts. Mit dem Gefühl, beobachtet zu werden, ist Michael vertraut. Schon zwei Jahre zuvor hat er entdeckt, dass sein Handy mit einer anderen Überwachungsapp getrackt wurde. Doch auch damals bestätigt sich keiner seiner Verdachtsmomente. Michael verklagt die Firma Mspy schließlich nicht – zu aufwändig und kostspielig sei ein Gerichtsprozess. Bis heute weiß Michael nicht, wer hinter der Spionage steckt.
Wie in Michaels Fall bleiben die Täter:innen meistens unentdeckt. Sie verstecken sich hinter Mail-Adressen mit Pseudonymen, die oft nach dem Kauf eines Abonnements der Überwachungsapp gelöscht werden. Das erschwerte auch die Recherche zu diesem Artikel. Die WZ kontaktierte über 200 Personen via Mail, jedoch existierten viele der Mailadressen nicht mehr. Insgesamt meldeten sich nur zehn Personen zurück, von denen der Großteil leugnete, Mspy je genutzt zu haben. Einer der wenigen, der sich zu der Software äußern wollte, beschreibt, dass Mspy so gut wie alles konnte und dass Betroffene kaum eine Chance hätten, die Überwachung mitzubekommen. Sein Fazit: „Mit dem Programm kann jeder sehr einfach zum Agenten werden, man muss nur zwei Minuten Zugriff auf ein Handy bekommen!“ Auf die Nachfrage, warum er Mspy nutzte, wollte er nicht eingehen. Er habe die Software vor einigen Jahren nur „mal aus Jux“ heruntergeladen.
Der Spionage verfallen
Andreas (Name von der Redaktion geändert) ist von seinen Emotionen überwältigt, als er sich für das dreimonatige Premium-Paket von Mspy entscheidet. Der Mann, der Jus studiert hat, ist sich bewusst, dass er nicht nur die Grenze des Gesetzes übertritt, sondern auch die der Privatsphäre seines Kindes.
Zu dem Zeitpunkt, als Andreas die Spionage-Software auf dem Handy seiner Tochter installiert, ist diese 16 Jahre alt. Er möchte Zugriff zu den Snapchat- und WhatsApp-Nachrichten seiner Tochter. Denn Andreas hat einen Verdacht. Moralische Bedenken hat er bis heute keine, wie er der WZ in einem Telefonat erzählt.
„Wenn man Sorgen um das eigene Kind hat, dass es in falsche Bahnen gerät, und da redet man nicht davon, dass sie irgendwann einmal einen Joint raucht, sondern da redet man von harten Drogen und Tod und Elend, da wäre ich zu vielem bereit, um meine Tochter zu schützen. Meine Intention war, zu wissen, ob sie sich mit einem Drogendealer trifft“, rechtfertigt sich der besorgte Vater.
Andreas installiert die Software, will sie aber nicht genutzt haben. In erster Linie aus technischen Gründen. Zu schlecht und kompliziert sei der Aufbau gewesen. Ein wenig Reue verspürte er nach der Installation dann doch: „Man sollte sowas nicht aus der Emotion heraus machen, sondern einmal runterkommen und schauen, ob es nicht legale Möglichkeiten gibt, die Situation zu entschärfen, was ich dann letztendlich auch gemacht habe.“
Kann ich ein fremdes Handy ohne Zustimmung überwachen? zB von Mitarbeitern?
Mspy-Kunde
Andreas ist nicht der Einzige, der sich für die Überwachung seines Kindes interessiert. Einige der Mails zeigen besorgte Eltern, die um die Sicherheit ihrer Kinder bangen. Doch nicht nur die eigenen Kinder werden ausspioniert.
Kunde: „Guten Tag, ich hab 3 Kinder – deren Aktivitäten am PC möchte ich stichprobenartig kontrollieren! Eventuell auch stichprobenartig meine Mitarbeiter am PC. Was empfehlen Sie mir?“
Kunde: „Kann ich ein fremdes Handy ohne Zustimmung überwachen? zB von Mitarbeitern?“
Kunde: „Guten Tag, wir sind auf der Suche nach einem Ortungsprogramm, das ca. 60-70 Handys orten kann. Momentan sind ca. 50 Handys aktiv, es werden aber immer mehr. Wir brauchen das Programm im Falle, wenn ein Handy verloren geht oder falls wir nicht wissen, wo sich ein Mitarbeiter im Moment befindet. Die Handys, die geortet werden sollen, sind folgende (…)“
The divorce went through!
Eltern spionieren also ihre Kinder aus, Arbeitgebende ihre Mitarbeitenden. Wie schaut es in der „Liebe“ aus? Wie aus den Supportmails hervorgeht, haben vor allem Männer Probleme mit Vertrauen – und mit Kontrolle.
Kunde: “Hello, I would like to get the app. But you can only pay with a credit card. But my wife sees our account, we have the same.”
Kunde: „Ich möchte gern das handy meiner frau überwachen. Leider bewacht sie es tag und nacht und ist mit einem pin (den ich nicht weiß) gesichert [sic]“.
Kunde: “Your service worked fine – on September 14 the divorce went through and my client was very happy with the service we have provided”
Mspy: “We appreciate your feedback”.
Ist das noch rechtens?
„Sie sollten in Ihrem Angebot auch erwähnen, dass Ihr Produkt polizeilich und gerichtlich verboten ist und die Inanspruchnahme bestraft wird.“ Mit diesen Worten wendet sich ein verärgerter Nutzer an den Mspy Support. Doch wie legal oder illegal ist die App wirklich?
Der Einsatz der Handy-Überwachungssoftware Mspy ist ohne Zustimmung der Betroffenen nicht erlaubt. „Das scheint vor dem Hintergrund der Möglichkeiten einer solchen Software kaum durchführbar zu sein“, klärt der auf Datenschutz spezialisierte Rechtsanwalt Daniel Bauer auf. Die Nutzung von Mspy kann mehrere Straftaten, wie den widerrechtlichen Zugriff auf ein Computersystem, die Verletzung des Telekommunikationsgeheimnisses oder das missbräuchliche Abfangen von Daten beinhalten. Selbst die Überwachung von Kindern sei illegal, da Kinder bis zu 14 Jahren nicht die nötige Urteils- und Einsichtsfähigkeit hätten, um einem Einsatz von Mspy zuzustimmen. Arbeitnehmende hätten gegenüber ihren Arbeitgebenden, die solch eine Software einsetzen, Anspruch auf Unterlassung.
Die Software Mspy nutzt einen Graubereich und bietet legale Spionage, solang die Betroffenen ihrer Überwachung zustimmen. Die Realität sieht anders aus, wie unsere Recherchen zeigen. Die App wird in den meisten Fällen illegal genutzt. Das digitale Zeitalter setzt auf Kontrolle, nicht auf Vertrauen. Die meisten Betroffenen verweilen in Unwissen.
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Infos und Quellen
Genese
Durch Zufall sind die beiden Autorinnen Anna Schimpp und Ronja Reidinger auf den Datenleak gestoßen. Überrascht davon, wie viele österreichische Daten darin zu finden waren, begann die Suche nach einer Antwort auf die Frage, aus welchen Beweggründen Menschen sich dazu entschließen, andere auszuspionieren. Was folgte, waren stundenlanges Lesen von geleakten Support Mails, sowie die meist unbeantworteten Versuche, Personen zu kontaktieren, die selbst mal jemanden ausspioniert haben.
Gesprächspartner
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Michael (Name von der Redaktion geändert) erzählt, wie es sich anfühlt, überwacht zu werden.
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Andreas (Name von der Redaktion geändert) war der Einzige, der sich auf ein richtiges Gespräch einließ. Er selbst hatte vor Jahren mal seine Tochter ausspionieren wollen und erzählte, wie es so weit kommen konnte.
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Daniel Bauer ist ein Rechtsanwalt, der unter anderem auf Datenschutzrecht spezialisiert ist. Er erzählte, wie die Nutzung von Mrechtlich geregelt ist.
Daten und Fakten
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Der geleakte Datensatz besteht aus 3,6 Millionen Supportmails.
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48.000 Nachrichten sind laut dem Spiegel auf Deutsch verfasst.
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2.285 Mails lassen sich Österreich zuordnen und wurden von uns durchgeschaut.
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Der Datensatz stammt ursprünglich von der Schweizer Hackerin und Journalistin Maia Arson Crime.
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Die Website zu MSpy ist öffentlich zugänglich.