KURIER: Wie lässt sich das Leben als Apostolischer Administrator an?
Josef Grünwidl: Es ist für mich eine sehr spannende Zeit, weil ich die Erzdiözese Wien in allen Teilbereichen und Facetten kennenlernen kann. In sehr vielen Gesprächen mit den einzelnen Abteilungs- und Dienststellenleitern bekomme ich einen guten Überblick, was sich tut und was die Leute beschäftigt, wo es Fragen und Probleme gibt. Und im Übrigen sorge ich dafür, dass der kirchliche Alltag hier gut weitergeht.
Bei Ihrer Vorstellung als Apostolischer Administrator war von sechs bis acht Wochen bzw. von einigen Monaten bis zur Ernennung eines neuen Erzbischofs die Rede. Sie haben selbst gemeint, „in absehbarer Zeit“ würde Ihre Funktion erlöschen. Warum dauert es nun so lange – zumal ja Papst Franziskus selbst vom Spital aus jede Menge neuer Bischöfe ernannt hat, aber eben keinen für Wien?
Dazu muss man sagen, dass der Papst jene Bischöfe ernannt hat, bei denen die Vorbereitungen schon abgeschlossen waren. So weit sind wir in Wien eben noch nicht. Ich habe zwar bei meiner Ernennung im Jänner auch gedacht, dass es schneller gehen wird – aber nun sieht es danach aus, dass es doch noch eine Zeit lang dauert. Mein persönlicher Wunsch ist, dass bis zum Sommer eine Entscheidung getroffen wird, sodass wir im September mit Beginn des neuen Arbeitsjahres mit dem neuen Erzbischof beginnen können.
Aber wieso diese Verzögerung?
Das ist sicherlich für viele unverständlich. Trotzdem habe ich Verständnis für Rom und auch für den Nuntius, weil es offensichtlich gar nicht so einfach ist, einen Nachfolger zu finden. Rom ernennt im Jahr ungefähr 300 Bischöfe – und für jeden dieser Bischofssitze gibt es etliche Kandidaten, die genauer angeschaut und überprüft werden. Da kann man sich vorstellen, was das für ein Riesenaufwand ist.
Könnte es sein, dass den Papst Wien weniger interessiert als andere Weltgegenden – was ja zu seiner Sicht auf die Kirche passen würde?
Nein, das glaube ich nicht. Ich denke, es liegt wirklich daran, dass es schwierig ist, einen Nachfolger für Kardinal Schönborn zu finden.
„Mein persönlicher Wunsch ist, dass bis zum Sommer eine Entscheidung getroffen wird, sodass wir im September mit Beginn des neuen Arbeitsjahres mit dem neuen Erzbischof beginnen können.“
In der „Presse“ wurde kürzlich von einem Gespräch zwischen Ihnen und dem Nuntius berichtet. Hat es das gegeben?
Ja, ein solches Gespräch hat stattgefunden. Ich wollte ihm einfach erzählen, wie es in der Administration geht, er hatte auch seinerseits Fragen und Anliegen.
Hat dieses Gespräch neue Perspektiven hinsichtlich der Nachfolge eröffnet?
Für mich gilt das, was ich vorher schon gesagt habe: Ich sehe mich als Administrator für eine Übergangszeit, ich sehe mich nicht als neuer Erzbischof.
Es hieß in dem Bericht auch, Sie hätten für die Leitung der Erzdiözese abgesagt …
Es war nicht so, dass mich der Nuntius gefragt hätte, ob ich Erzbischof werden will und ich geantwortet hätte: Nein. Sondern ich habe von mir aus gesagt, dass ich mich für diese Aufgabe nicht für geeignet halte und daher auch nicht als Kandidat zur Verfügung stehen möchte.
Aber es ist offensichtlich komplizierter, für Wien jemanden zu finden als für andere Diözesen …
Ich glaube, das kann man so sagen. Und das ist auch verständlich, weil der Erzbischof von Wien etwa auch mit anderen österreichischen Bischöfen nicht vergleichbar ist. Wien ist die Bundeshauptstadt, das Zentrum der Politik, der Ökumene, der Medien und vieler anderer Bereiche, und deswegen sind die Aufgaben eines Wiener Erzbischofs vielfältiger und breiter. Meine Hochachtung gilt Kardinal Schönborn, der bis zu seinem 80. Geburtstag fast 30 Jahre lang diese Last getragen und diese Verantwortung auf sich genommen hat.
Ungeachtet Ihrer Selbsteinschätzung hört man immer wieder, salopp formuliert: „der Grünwidl macht das sehr gut, der könnte gleich bleiben“. Nicht zuletzt hat auch der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Salzburgs Erzbischof Franz Lackner, nach der letzten Vollversammlung gemeint, dass er sich Sie gut als Schönborn-Nachfolger vorstellen könnte: Er „würde das begrüßen“, hat er ausdrücklich gesagt.
Ich nehme diese positive Resonanz durchaus wahr. Trotzdem muss ich auch auf meine innere Stimme hören …
„Er müsste ein dialogfähiger, hörender Mensch sein, ein guter Kommunikator, ein Brückenbauer, nicht nur innerhalb der Kirche, auch im Blick auf die Ökumene, auf politische Verantwortungsträger.“ (über seine Erwartungen an einen neuen Erzbischof)
Ein neuer Erzbischof müsste „aus anderem Holz geschnitzt“ sein, als Sie, haben Sie kürzlich in einem Interview gemeint. Aus welchem „Holz“ müsste denn der neue Erzbischof „geschnitzt“ sein?
Ich habe damit Kardinal König zitiert, der – als papabile geltend – auf der Reise zu einem Konklave gemeint hat, Päpste seien aus einem anderen Holz geschnitzt als er. Das wollte ich auf mich beziehen. Ich sehe meine Stärken in der Pastoral, mit den Menschen an der Basis, in der geistlichen Begleitung, der Predigt, der Verkündigung. Für die Leitung einer so großen, breit aufgestellten Diözese wie Wien braucht es aber noch ganz andere Qualifikationen: Ich bekomme ja jetzt erst als Administrator einen Einblick in das gesamte Spektrum, das vom Österreichischen Hospiz in Jerusalem bis zu Pro Oriente reicht.
Aus welchem Holz also müsste „der Neue“ dann geschnitzt sein?
Er müsste ein dialogfähiger, hörender Mensch sein, ein guter Kommunikator, ein Brückenbauer, nicht nur innerhalb der Kirche, auch im Blick auf die Ökumene, auf politische Verantwortungsträger.
Kardinal Schönborn hat bei seinem Abschied gesagt, er möchte ein „Altbischof in Rufweite“ sein. War er das bisher?
Absolut. Er ist am Beginn der Fastenzeit aus seiner Wohnung im Erzbischöflichen Palais ausgezogen und in das Kloster der Schwestern vom Lamm im 20. Bezirk übersiedelt. Er hat ungefähr zwei Tage pro Woche, an denen er hier im Büro ist. Das ist für mich sehr hilfreich, ich kann mit ihm in Kontakt sein, er berät mich und erklärt mir bestimmte Dinge.
Was sind denn die größten Herausforderungen für die Erzdiözese?
Eine der größten Herausforderungen ist für mich die Gottesfrage: wenn laut einer Umfrage von ORF und Uni Wien nur ein ganz geringer Prozentsatz der Menschen daran glaubt, dass Gott sich in Jesus Christus geoffenbart hat; wenn der Gottesbegriff immer diffuser wird. Es ist erfreulich, dass sich noch immer eine große Bevölkerungsgruppe in Österreich als religiös, spirituell bezeichnet. Aber wenn man genauer hinsieht, merkt man, dass das mit dem Gott der Bibel oder dem christlichen Gottesbild nur noch sehr wenig zu tun hat.
„Wenn man genauer hinsieht, merkt man, dass das mit dem Gott der Bibel oder dem christlichen Gottesbild nur noch sehr wenig zu tun hat.“ (über das gängige Verständnis von Spiritualität)
Auf weltkirchlicher Ebene blickt alles auf Papst Franziskus. Manche fühlen sich an Johannes Paul II. erinnert – und es wird darüber diskutiert, ob und unter welchen Bedingungen ein Papst zurücktreten soll.
Dass ein Papst zurücktreten kann, hat uns Benedikt XVI. gezeigt. Ich habe es damals etwas eigenartig gefunden, dass ein Erzbischof in Rom gemeint hat, Christus sei auch nicht vom Kreuz herabgestiegen. Ich finde, man muss die persönliche Entscheidung auch eines Papstes respektieren. Und ich bin mir sicher, dass auch Papst Franziskus das für sich sehr gut überlegen wird, ob und wie lange er weitermachen kann. Ich habe jedenfalls vollstes Verständnis, wenn ein Papst sagt: Ich fühle mich aufgrund meines Zustandes nicht mehr in der Lage, dieses Amt auszuüben. Es war sicher nicht ganz einfach, dass Papst Benedikt auch nach seinem Rücktritt weiter im Vatikan gewohnt hat und mit weißer Papstsoutane aufgetreten ist, aber ich traue Papst Franziskus zu, dass er auch hier schon sich Lösungen überlegt hat.
Jüngst ist ein Buch des bekannten Vatikan-Journalisten Marco Politi erschienen mit dem Titel „Der Unvollendete“. Was ist an diesem Pontifikat Ihrer Ansicht nach noch unvollendet?
Ich sehe Franziskus als großen Reformpapst, der oft auch an Grenzen gestoßen ist. Was er angestoßen hat, ist vor allem das synodale Prinzip, welches er der Kirche als Kurswechsel verordnet hat. Das hat man auch daran gemerkt, dass er vom Krankenhaus aus eine Kirchenversammlung für 2028 einberufen hat. Das ist ein Impuls, der von ihm ausgegangen, der aber sicher noch nicht vollendet und meiner Meinung nach nicht zu stoppen ist. Da geht es nicht nur um eine andere Weise der Umgangs und des Redens in der Kirche, sondern da wird das Wesen von Kirche noch einmal verändert: Kirche wird hier nicht so sehr von oben nach unten, hierarchisch, gesehen, sondern vom Gemeinsam-auf-dem-Weg-Sein.
Was ist denn von dieser Kirchenversammlung zu erwarten? Könnte das eine Art Drittes Vaticanum sein – auch wenn es nicht Konzil heißt, aber vielleicht gibt es ja gar keine Konzilien mehr …
Der Begriff der für 2028 geplanten „kirchlichen Versammlung“ ist ein sehr offener: Das ist keine Bischofssynode, da können alle Getauften stark einbezogen sein. Wie das genau aussehen wird, wissen wir noch nicht.
„Ich sehe Franziskus als großen Reformpapst, der oft auch an Grenzen gestoßen ist. Was er angestoßen hat, ist vor allem das synodale Prinzip, welches er der Kirche als Kurswechsel verordnet hat.“
Es ist ja ungewiss, ob Franziskus 2028 noch Papst ist. Könnte ein neuer Papst etwas an dieser synodalen Dynamik ändern?
Mir scheint das sehr unwahrscheinlich zu sein. Denn im Abschlussdokument der letzten Synode hat der Papst wirklich Weichen gestellt, was die Ermächtigung von allen Getauften betrifft, die Dezentralisierung der Kirche, ein neues Verständnis des Primats des Papstes. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein künftiger Papst sich über all das einfach hinwegsetzt.
Wie ist denn die Kirche überhaupt noch zusammenzuhalten angesichts zunehmenden Auseinanderklaffens der Kirchenbilder und der Interpretation, was genuin katholische Lehre sei?
Ich würde sagen, was uns zusammenhält, ist das Evangelium und der Glaube an Christus. In dem Zusammenhang scheint mir bemerkenswert, dass im Schlussdokument der Weltsynode festgehalten wurde: es ist gut, dass es unterschiedliche Geschwindigkeiten und eine Ungleichzeitigkeit in der Kirche gibt. Die Bischöfe werden sogar aufgefordert, kontinentale Konferenzen abzuhalten. Diese Spannung von Welt- und Ortskirche – wie viel Einheit muss sein, wie viel Vielfalt halten wir noch aus? – wird noch größer werden. Und da braucht es wohl eine heilsame Dezentralisierung: es muss nicht jede einzelne Frage für die gesamte Kirche von Rom aus geregelt werden.
„Für mich ist der Dom in diesem Jahr in besonderer Weise ein steinerner Zeuge für Frieden und Auferstehung.“
Wie würden Sie die Botschaft für Ostern in unserer gegenwärtigen Situation formulieren?
Wir haben schon in Österreich so viele Schwierigkeiten – etwa das große Budgetdefizit; von den globalen Problemen gar nicht zu reden. Ostern ist ein Fest gegen die Schwerkraft, gegen alles, was uns hinunterzieht und resignativ macht: Das Gute wird siegen, der Wille zum Frieden wird stärker sein als Hass und Krieg, das Leben ist stärker als der Tod. Das letzte Wort hat Gott – und es wird ein gutes Wort sein. Ich möchte das heuer auch ganz bewusst mit dem Stephansdom verbinden: Vor 80 Jahren stand der Dom als Brandruine da, und er konnte in der Nachkriegszeit, unter schwierigsten Bedingungen wiederaufgebaut werden, weil alle zusammengeholfen haben. Für mich ist der Dom in diesem Jahr in besonderer Weise ein steinerner Zeuge für Frieden und Auferstehung.
Josef Grünwidl
geboren 1963 in Hollabrunn; während der ersten drei Jahre von Kardinal Christoph Schönborn als Erzbischof (1995–1998) war Grünwidl dessen Sekretär, danach bis 2014 Pfarrer in Kirchberg am Wechsel, Feistritz, St. Corona und Trattenbach, von 2014 bis 2023 Pfarrmoderator in Perchtoldsdorf, seit 2023 Bischofsvikar für das Vikariat Süd.
Apostolischer Administrator
Seit 22. Jänner leitet Grünwidl als Apostolischer Administrator interimistisch die Erzdiözese Wien, nachdem der Papst den Rücktritt von Kardinal Schönborn mit diesem Tag, Schönborns 80. Geburtstag, angenommen hat.