Als Jane Campbell 2023 mit über 80 ihr literarisches Debüt vorlegte, begeisterte sie mit feinfühliger Genauigkeit; mit der Fähigkeit, die Menschen zu erkennen und trotzdem zu lieben. Gerade richtig boshaft und doch großzügig sind ihre Storys „Kleine Kratzer“.
Jetzt folgt der erste Roman der studierten Psychoanalytikerin aus Oxford. „Bei aller Liebe“ berichtet von einem fünfzig Jahre zu spät gelieferten Brief, der einer Frau in der Mitte des Lebens eröffnet, wer tatsächlich ihr Vater ist. Erzählt wird aus drei Perspektiven: Vater, Tochter und Onkel, der späte Überbringer des Briefes.
Dass diese Konstruktion nicht ganz neu ist, macht nichts. Eine Geschmacksfrage ist hingegen, wie diese Geschichte den Stellenwert von Blutsverwandtschaft überbetont. Spricht hier die Analytikerin aus der Autorin? Trotzdem spannend und stellenweise sehr berührend, insbesondere durch die banale, nichtsdestoweniger richtige Einsicht, wie schnell das Leben vorbei ist.