Teile des Viertels Borgo Libertà („Viertel der Freiheit“) in der apulischen Hauptstadt Bari sind in den vergangenen Jahrzehnten verkommen. Einst hatte hier die staatliche Tabakmanufaktur einen Sitz – nachdem die in den 80er-Jahren eingestellt wurde, ging es bergab.
Nun aber leben die alten Mauern wieder auf: Die ehemalige Fabrik wird gerade zu einem Campus des Centro Nazionale di Ricerca umgebaut. Der Sitz des Nationalen Forschungszentrums soll dem Viertel gesellschaftlichen wie kulturellen Aufschwung bringen. Es ist nur eines von vielen Projekten, die in Italien aus dem EU-Wiederaufbaufonds mitfinanziert werden.
Immerhin hat das Land, das in der EU am stärksten von der Corona-Pandemie getroffen worden war, den höchsten Betrag aus dem 750-Milliarden-Euro schweren Topf erhalten: 192 Milliarden. Er wurde ins Leben gerufen, um den Mitgliedstaaten aus den schweren wirtschaftlichen Covid-Folgen zu helfen.
Investiert werden muss der Betrag im Laufe von sechs Jahren, also vom Sommer 2021 bis zum Sommer 2026. Und die Projekte müssen immer eine oder mehrere Missionen erfüllen. Die Manufaktur in Bari fällt zum Beispiel unter die Mission Bildung und Forschung.
„Passiert überhaupt schon was?“
Insgesamt an die 262.000 Projekte will man in Italien mit dem EU-Geld finanzieren. Die erste Halbzeit ist nun verstrichen, für den Normalbürger ist aber schwer zu sagen, was umgesetzt wurde oder in Planung ist: „Passiert überhaupt schon was?“, fragt man sich von Nord- nach Süditalien. Eine Frage, die der KURIER an Gianfranco Viesti weitergibt. Er ist Wirtschaftsprofessor an der Uni Bari und hat das Sachbuch „Wird der Aufbauplan Italien wieder auf Vordermann bringen?“ (Donzelli Ed.) verfasst.
„Der Plan ist vor allem dazu gedacht, große Projekte zu finanzieren“, erklärt Viesti dem KURIER. „Zum Bespiel wird eine neue Bahntrasse gebaut, die Bari und Neapel miteinander verbinden soll. Da geht es nicht nur über Flachland, man muss auch durch das Apennin bohren, das geht nicht ruck-zuck.“ Auch, wenn man noch nichts sehe: Die Bauarbeiten seien bereits im Gang.
Neben den positiven Beispielen gibt es auch einige stark kritisierte. So bemängelt zum Beispiel Alberto Lasagna, Ingenieur und Experte im Bereich Wasserverwaltung, den Renaturierungsplan für den Fluss Po. Dafür stehen 357 Millionen Euro bereit.
Der KURIER geht mit Lasagna das Po-Ufer in der Nähe der norditalienischen Stadt Pavia entlang. Er zeigt auf die Pappeln und erzählt: „Um sich für den Klimawandel zu wappnen, hat man beschlossen, die gebietsfremden Pflanzen, die schon seit Jahrzehnten hier gedeihen, auszurotten und mit Einheimischen zu ersetzen“. Zu den gebietsfremden gehören auch die Pappeln, die auf den Flussauen stehen. Sie dienten bis jetzt nicht nur der Möbelindustrie, sondern auch dazu, die Wucht des Wassers zu dämmen.
Lasagna erinnert daran, dass eine solche Maßnahme schon entlang des Flussses Ticino umgesetzt worden war. Beim ersten Hochwasser waren die Pflanzen weg. „Wäre es nicht sinnvoller gewesen, statt für einzelne Uferstrecken, eine Gesamtvision auszuarbeiten? Der Po erstreckt sich über 650 Kilometer, die Eingriffe beschränken sich auf 40 Kilometer“, so Lasagna.
Personalprobleme in den Ärztezentren
Ebenfalls stark bemängelt wird die Umsetzung von Projekten im Gesundheitsbereich. So titelte die Wirtschaftszeitung Sole 24 Ore unlängst: „Bis 2026 wird es an die 1.400 Gemeinschaftsordinationen geben. Leider ohne Personal.“ Gemeint sind Zentren mit öffentlichen Haus- und Fachärzten. In Mailand gibt es mittlerweile zehn davon – doch nur vier haben einen Hausarzt, dafür aber zu wenig Fachärzte, und umgekehrt.
„Der Mangel an Personal gehört zu den großen Problemen“, sagt auch Viesti. Und zwar, weil es an Fachpersonal fehlt, das wegen besserer Bezahlung und unbefristeten Arbeitsverträgen oft lieber auswandert.
Noch einmal auf die Frage zurückkommend, ob der Wiederaufbauplan Italien tatsächlich wieder auf Vordermann bringen wird, antwortet der Professor: „Nein, damit ist nur der Anfang gemacht.“