Sie sind teils weit über 90, manche über 100 Jahre alt – und auch die Stimmen dieser wenigen verbliebenen Zeitzeugen des Grauens werden früher oder später verstummen.
Doch zum gestrigen 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, dem Inbegriff nationalsozialistischer Menschenverachtung, waren diese Stimmen noch einmal sehr laut, dass manche brüchig waren, machte die Botschaft nur noch eindrücklicher.
„Am heutigen Tag blicken wir auf das dunkelste Kapitel unserer Geschichte und gedenken der Millionen von Menschen, die durch Hass und Antisemitismus ermordet wurden.“ Das sagte die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer in Erinnerung an jenen 27. 1. 1945 im Vorfeld jenes Tages, an dem sich für 7.000 ausgezehrte Menschen mit dem Eintreffen der Roten Armee die Tore von Auschwitz-Birkenau öffneten. Die heute 103-Jährige hat dort ihre Eltern und ihren Bruder verloren.
„Das ist meine Mission“
Sie selbst konnte sich zunächst verstecken, wurde aber verraten und nach Theresienstadt deportiert. In diesem KZ lernte sie ihren späteren Ehemann Adolf Friedländer kennen. Beide überstanden den Horror, emigrierten nach 1945 in die USA.
Margot Friedländer kehrte nach dem Tod ihres Mannes nach Deutschland zurück und lebt seit 2010 in Berlin. Dass Ähnliches nie wieder passiert, „das ist meine Mission“.
In dieselbe Kerbe schlug der Auschwitz-Überlebende Pavel Taussig. Er wurde im November 1944, kurz vor seinem elften Geburtstag, mit seiner jüdischen Familie aus der Slowakei in das Todeslager verschleppt.
Am Montag begleitete der 91-Jährige, die deutsche Delegation, angeführt von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Kanzler Olaf Scholz. Er sei nur „zähneknirschend“ gekommen, sagte Taussig, auf dessen linkem Unterarm die tätowierte Häftlingsnummer noch gut erkennbar ist, „aber ich halte es für meine Pflicht“.
In dem nationalsozialistischen KZ in Polen wurden zwischen 1940 und 1945 rund 1,1 Millionen Menschen vor allem an der „Todesmauer“ erschossen, vergast, oder sie starben an Hunger bzw. Krankheiten. Die allermeisten waren Juden, aber auch nicht-jüdische Polen (80.000), Roma (25.000) und Sowjetsoldaten (20.000).
Die Überlebende Janina Iwanska, 94, berichtete an der Gedenkstätte vom Alltag in der „Fabrik des Todes“. Vom Gas, dem Krematorium, von den wahnwitzigen medizinischen Versuchen des Arztes Josef Mengele.
Trotz des Unsagbaren im Lager zeigte sich Iwanskas Leidensgenosse von damals, Marian Turski, 98, Präsident des Internationalen Auschwitz-Komitees, ungebrochen. Den Nachgeborenen schrieb er am Montag ins Stammbuch: „Fürchtet euch nicht. Wir brauchen eine Vision (für die Zukunft).“ Standing Ovations der Gäste folgten den bewegenden Worten.
Insgesamt nahmen an den Gedenkzeremonien Vertreter aus 55 Staaten teil, darunter zahlreiche Staats- und Regierungschefs. Für Österreich war Bundespräsident Alexander Van der Bellen anwesend, der unter anderem von Oskar Deutsch, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, und ÖVP-Ministerin Susanne Raab begleitet wurde. Sie vertrat Interims-Kanzler Alexander Schallenberg.
Putin nicht willkommen
Auch Israels Premier Benjamin Netanjahu war eingeladen, kam aber nicht. Obwohl ihm Polen zugesichert hatte, ihn nicht zu verhaften – gegen ihn liegt seitens des Internationalen Strafgerichtshofes ein Haftbefehl wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen vor.
Nicht eingeladen hingegen war Kremlchef Putin. Gedenkstättenleiter Piotr Cywinski: „Es ist schwer, sich die Anwesenheit Russlands vorzustellen, das offensichtlich den Wert der Freiheit nicht versteht.“
Angesichts der Nachkriegsparole „Nie mehr wieder“ wurde im Umfeld des Gedenktages auch die politische Lage in Europa thematisiert. „Ich sehe Menschen, die sagen: es muss endlich Schluss sein mit dem Erinnern“, analysierte etwa Christoph Heubner, Vize-Präsident des Auschwitzkomitees. Das sei absurd.
Denn „es gibt eine berechtigte Sorge angesichts der politischen Entwicklung in Deutschland und in Europa, dass man wieder falsch abbiegt“. Zumal das Wissen über die NS-Gräuel bei der Jugend schwindet. In einer jüngsten Umfrage gaben in Österreich 14 Prozent der 18- bis 29-Jährigen an, noch nie vom Holocaust gehört zu haben, in Deutschland waren es zwölf Prozent.
„Wir müssen die Fehler der 1930-Jahre vermeiden“, warnte der Holocaust-Überlebende Leon Weintraub, 99, an der Gedenkstätte angesichts des „Erstarkens der radikalen Rechten“: „Seid wachsam!“