Denn in „Queer“ erinnert rein nichts mehr an den eleganten Geheimagenten. Vielmehr spielt Craig seinen heruntergekommenen US-Weltkriegsveteranen William Lee im zerknautschten Leinenanzug, mit dreckigen Fingernägeln und einem Hut auf dem Kopf, unter dessen Krempe ständig die Schweißperlen rinnen. Beinahe durchgehend betrunken und immer mit einer Zigarette im Mundwinkel, driftet Lee durch die Schwulenlokale von Mexiko City der frühen 1950er-Jahre und versucht, seine Heroinsucht in den Griff zu bekommen. Als er auf einen amerikanischen Studenten namens Eugene Allerton trifft, verliebt er sich in den um vieles jüngeren Mann – und beginnt für diese Liebe zu bezahlen.
Zwanzig Jahre trug sich Regisseur Luca Guadagnino („Call Me By Your Name“) mit der Idee, den berühmten, semi-autobiografischen Roman „Queer“ von William S. Burroughs, einen Klassiker der Beat- und Schwulenliteratur, zu verfilmen. Sein Wunschkandidat für die Hauptrolle war ein ikonischer Schauspieler wie Daniel Craig, den er sich zuerst aber gar nicht zu fragen getraute. Als dieser überraschend zusagte, konnte Guadagnino sein Glück kaum glauben. Tatsächlich habe er sich immer schon gewünscht, mit Luca Guadagnino zusammenzuarbeiten, erzählte Craig fröhlich auf der Pressekonferenz in Venedig: „Wenn ich nicht im Film wäre, würde ich darin mitspielen wollen. Es ist genau die Art von Filmen, die ich sehen will und die ich machen will.“
Als William Lee verkörpert Craig mit großer Ausdruckskraft einen getriebenen Mann, der sich seinen Leidenschaften und Süchten ausliefert. Die Sehnsucht nach Sex und Nähe ist ihm ins Gesicht geschrieben und treibt ihn schlaflos durch die Nachtlokale. Als sich sein begehrlicher Blick in dem Gesicht des jungen Eugene verfängt, begibt er sich ungebremst in eine neue Abhängigkeit. Ein Freund warnt ihn vor dem knabenhaften Mann, mit kühler Unentschlossenheit gespielt von Drew Starkey („Outer Banks): „Er ist wie ein Fisch: kalt, glatt und schwer zu fassen.“
So echt wie möglich
Die beiden Männer gehen eine fragile Form der Liebesbeziehung ein, die Guadagnino vor bewusst künstlich gehaltenen, bunten Mexiko-Kulissen inszeniert. Die Sexszenen sind explizit, aber nicht pornografisch und sorgten auf der Pressekonferenz für genügend Gesprächsstoff: „Jeder weiß, dass beim Dreh einer Sexszene nichts intim ist. Der Raum ist voll mit Menschen, die zusehen“, meinte Daniel Craig über die Zusammenarbeit mit seinem Filmpartner Drew Starkey. „Wir wollten die Szenen einfach so berührend, echt und natürlich wie möglich darstellen. Drew ist ein fantastischer Schauspieler, mit dem man wunderbar arbeiten kann. Wir haben versucht, es uns lustig zu machen.“
Dass Luca Guadagninos „Queer“ trotz aller angestrebter Intensität schnell verblasst und nie die gebotene Dringlichkeit bekommt, die es gerne hätte, liegt nicht am Schauspiel. Erzählt wird in drei Kapiteln, die nacheinander aufgeschlagen werden und in ihrer Abfolge eine gewisse Eintönigkeit bekommen. Üblicherweise hat Guadagnino hat ein gutes Händchen dafür, seine Geschichten mit Popmusik aufzupeppen – zuletzt bewiesen in seinem sexy Tennisdrama „Challengers“. In „Queer“ aber wirkt der Einsatz von cooler Musik krampfhaft – da kann auch Kurt Cobain mit Nirvana nicht helfen.